Klassenfahrt ins Provo-Land

»Rap bleibt ein Hahnenkampf«, sagt die Berliner Band K.I.Z. In ihren Texten geht es um Schwänze, Gewalt, Rausch und Schweinekopfmasken. Spaß oder Ernst? Provokation oder Parodie? Markus Ströhlein hat nachgefragt

Sil-Yan ist nach dem Gespräch mit seinem Vater noch sichtlich konsterniert. Der alte Herr scheint wenig begeistert zu sein von der neuen Platte »Hahnenkampf« von Sil-Yans HipHop-Band K.I.Z. »Er meint, viele unserer Hörer seien zu jung, um zu erkennen, dass wir uns nur über bestimmte Attitüden lustig machen. Nun gut, ein Teil versteht die Querverweise und Metaphern sicher nicht. Ein anderer tut es aber«, sagt der Musiker.

Wie Sil-Yans Vater dürften viele Eltern reagieren. »Was würden wir tun, wenn wir diese Fans nicht hätten, die das dritte Album kaufen, auf dem wir ausschließlich über Schwänze rappen?« fragt die Berliner Gruppe gleich im ersten Song. Das Quartett besingt häufig überdimensionale männliche Genitalien (»keine Schwänze, sondern Baumstämme«). Doch es hat noch mehr zu bieten: Kampfhunde auf dem Kinderspielplatz, exzessiven Drogenkonsum, ungeschützten Sex mit 80jährigen und Neonazifrauen, Aufrufe zum Schulmassaker, psychopathische Killer mit Schweinemasken oder automobile Amokläufe. Im Video des Songs »Geld essen« wird ein Altnazi im Rollstuhl von einer SS-Pflegerin in Strapsen herumgeschoben. Zwei schwule HipHopper knutschen.

Die Zielgruppe goutiert diese krude Mischung. In der vergangenen Woche luden K.I.Z. auf ihrer Homepage zu einem Konzert in der Berliner U-Bahn ein. »Wir hatten damit gerechnet, dass 60 oder 70 Leute vorbeikommen, wir mit ihnen U-Bahn fahren und dann vom Personal rausgeworfen werden«, sagt Nico im Rückblick. »Oder dass wir selbst die Polizei rufen, damit ein wenig Action entsteht«, ergänzt Maxim. Die Polizei kam von selbst. Denn etwa 700 Zuhörer standen am U-Bahnhof Schlesisches Tor. Der Bahnhof wurde gesperrt. K.I.Z. spielten auf einer Grünfläche unter anderem den Song »Klassenfahrt«, so gestaltete sich der Abend auch, ehe die Polizei dazu überging, betrunkene Teenager umherzuscheuchen. Acht Leute wurden auf zum Teil rabiate Weise verhaftet, kamen aber schnell wieder frei. »Wir haben das nicht so geplant. Dass das Konzert politisch wurde, war dem Beitrag der Polizei zu verdanken. Das war extrem gute Werbung«, resümiert Maxim.

Im Gästebuch auf der Myspace-Seite der Band schrieben tatsächlich Unzählige die immer gleichen Worte: »Geile Aktion!« Und sogar am Online-Stammtisch Indymedia wurde diskutiert. Denn K.I.Z. hatten ihren Auftritt im bekannten linken Jargon als »Reclaim-your-U-Bahn«-Party gegen die »Verkommerzialisierung des öffentlichen Raums« angekündigt. So mancher Schreiber auf Indymedia fühlte sich anscheinend um seine originelle Protestform betrogen und sah sie zu schnöden Werbezwecken instrumentalisiert.

Die linken Diskutanten widmeten sich aber auch noch einer Frage, der sich zurzeit jede HipHop-Band stellen muss: Sind das nicht gewalttätige Macker und Sexisten? Die Debatte blieb bisher offen. So verhält es sich auch in der Fachpresse und in den Feuilletons. In der Musikzeitschrift Intro sind K.I.Z. Unpersonen, denn »sexistische Lyrics gewinnen ja nicht dadurch, dass sie ausgefeiltere Bilder bemühen«. Die Spex entdeckt in den Texten der vier Männer »Battle Rap und Story Telling, derben Humor und politisches Feingespür, Machogehabe und Migrationskritik, Berliner Rapkolorit und die Persiflage all dieser Posen«. Die Süddeutsche Zeitung befindet, K.I.Z. böten einen »Ausweg aus der Misere« von Porno- und Gangsterrap. Spiegel-online lobt die »längst fällige Dekons­truktion des deutschen Gangsta-HipHop«. Die Zeit schrieb über die Musik der Band: »Weil die einzelnen diskreten Zeichen ihre Bedeutung kontextuell, arbiträr bis vollkommen chaotisch wechseln, ergibt sich trotzdem ein vielschichtiges Bild, das ziemlich deutlich zeigt, welche Straßen im Ghetto gerade noch begehbar sind und welche nicht.«

»Nachdem ich diese Stelle gelesen hatte, hatte ich Tränen in den Augen vor Lachen«, sagt Tarek, das vierte Mitglied von K.I.Z. Der Rezensent der Zeit jedenfalls mochte die Band. Maxim hat eine Erklärung: »Die Medien suchen nach einem Gegenpol zum Gangsterstyle und meinen, in uns eine annehmbare Variante gefunden zu haben. Dabei wird uns einiges in den Mund gelegt. Plötzlich steht in einer Zeitung: K.I.Z. schieben dem Gangster-Gehabe einen Riegel vor.« Sil-Yan hat diese Beobachtung gemacht: »Es gibt zwei Extreme. Auf der einen Seite steht das Feuilleton, das uns zu einer Anti-Gangster-Truppe kürt. Dann gibt es die Jugendzeitungen, die uns als die härtesten Gangsterrapper präsentieren.«

Die unterschiedlichen Ansichten sind der Methode der Band geschuldet: Sie betreibt einerseits Provokation, andererseits Parodie. Wer so häufig von so großen Schwänzen rappt, macht sich zwar über den Härte- und Männlichkeitsfimmel der Kollegen aus dem vermeintlichen Ghetto lustig. Aber auch K.I.Z. entwerfen die gängigen, der Provokation dienenden Kopu­lationsszenarien, in denen die als »Nutten«, »Schlam­pen« oder »Fotzen« titulierten Frauen imaginierter Gegner Bekanntschaft mit männlichen Riesengenitalien machen. Die pennälerhaften Schlüpfrigkeiten machen K.I.Z. sicher nicht zu Vergewaltigern im Wartestand. Ein Zeichen sexueller Unverkrampftheit sind solche Zeilen aber auch nicht. Vor allem sind sie so öde und vorhersehbar, wie es kalkulierte Provokationen nur sein können.

Wenigstens ersparen einem K.I.Z. das ansonsten übliche Schwulenbashing. »Es wird Zeit, sich die Hände zu reichen und sich auch unter Männern an die Schwänze zu fassen«, heißt es auf der neuen Platte. »Wir sagen wohl als einzige, dass Schwulenhass nazimäßig ist«, sagt Tarek. Maxim führt die weiteren Pläne aus: »Auf dem nächsten Album legen wir uns vielleicht ein Schwulenimage zu.« Tarek ergänzt: »Inzest und Sodomie haben wir bisher ausgelassen. Wir brauchen ja noch Material für die kommenden Platten.« Und sollte die Provo-Masche langweilig werden, kann man umsatteln, wie Nico sagt: »Wir malen dann einfach Aquarelle mit der Gulaschkanone und verkaufen sie bei Ebay.«

Doch K.I.Z. verfügen auch über eine parodistische Seite. »Walpurgisnacht« und »Neuruppin« sind überdrehte Slashermovie-Zitate. Das »House of the rising sun«, das in dem altbekannten Song in New Orleans steht, wird zum »Haus in Neuruppin«, zu dem ein Serienmörder seine blutigen Wochenendausflüge macht. »Pauch it« ist ein Loblied auf das Kettenrauchen. »Der durch die Tür Geher« ist eine Persiflage auf das Durchschnittswochenende eines Berliners aus der Unterschicht. Diese Songs sind in der Tat ziemlich amüsant.

Die Parodie gelingt K.I.Z. jedoch vor allem in der Musik. Sie erinnert irgendwie an HipHop, klingt jedoch so daneben, als spiele jemand Klingeltöne auf einer Stereoanlage am Ballermann ab. Nur »Schwarz, rot, Geld«, eine peinliche Mischung aus Raps und Rockgitarren, hätte man sich sparen können.

Der Hype um »Hahnenkampf« ist recht groß. Das Majorlabel Universal hat das Rumoren um die Band im vergangenen Jahr registriert, sich die Lizenz für den Verkauf des Albums gesichert und eine große Werbekampagne betrieben. K.I.Z. sind für den MTV Europe Music Award in der Kategorie »New Sound of Europe« nominiert. Die Provokationen mögen die Aufmerksamkeit ebenso auf sich ziehen wie die Parodien. Der vermeintliche Abschied vom Gangster- und Pornorap, der in den Feuilletons bejubelt wird, hat einen anderen Grund: Es gibt zu viel von dem Kram. Bei der Flut von Veröffentlichungen des gottesfürchtigen Gangsters Bushido, des als »Arschfickmann« bekannt gewordenen Sido und ihresgleichen haben die Käufer irgendwann genug. K.I.Z. kommen da gerade recht, dem Feuilleton wie dem Musik­geschäft.