Auf den Verzicht verzichten

Im antiamerikanischen Weltbild gelten die USA als Hauptverursacher des Klimawandels. Doch die Umweltschutzmaßnahmen der USA scheinen aus emanzipatorischer Perspektive attraktiver. von thomas bockshecker

In den Vorabendapokalypsen, die sich im deutschen Fernsehen mit dem Phänomen Klima­wan­del beschäftigen, gehören neben Bildern von Eisbären und -bergen auch solche von George W. Bush zum Standard. Er schüttelt Hände, sa­lu­tiert vor Soldaten, häufig grinst er auch einfach leicht debil. Die Message ist klar: Er tut nichts, unterschreibt keinen Vertrag und erst recht kein Protokoll. Zwischen den Blick auf die vermeint­lichen Auswirkungen der Klimaerwärmung wie etwa Flutkatastrophen, vorzugsweise in Ostdeutschland, und den auf den amerikanischen Präsidenten gehört eine visuelle Überleitung: starker urbaner Autoverkehr und rauchende Schlo­te.

Diese Gesamtkomposition ist mittlerweile so gebräuchlich, dass die Argumentation mit Unterstellungen kein Aufsehen mehr erregt. Sie geht so: Erstens verursacht primär der Mensch mit seinen Emissionen die Veränderungen des globalen Klimas. Zweitens ist die Menschheit geteilt in Opfer der Klimaerwärmung und Täter. Die Täternation sind hier drittens eindeutig die USA, die keine Spur von Einkehr und Reue zeigen – anders als der geläuterte Rest der Menschheit, allen voran die Deutschen. Allein das Kyoto-Protokoll soll den Klimawandel aufhalten können. Wir lernen, dass der Klimawandel ein globales Problem ist, dessen Lösung sich gerade jene Nation verweigert, die am meisten dazu beigetragen hat: die USA.

Bewusst ausgeblendet wird, dass die Einhaltung des Kyoto-Protokolls für keinen Staat so negative Auswirkungen hätte wie für die USA. Denn sie mussten nicht einen Großteil ihrer maroden Kraft­werke und Fabriken stilllegen, wie es in Osteuropa geschah. Dass für die Reduzierung der Emissionen der Ausstoß im Jahr 1990 als Referenzwert festgesetzt wurde, ist deshalb für die Europäer ein erheblicher Vorteil. Weiterhin wird in den USA am Protokoll kritisiert, dass die Verpflichtungen nicht für Schwellenländer gelten. Insbesondere China als der potenziell bedeutendste ökonomische Kon­kurrent in den kommenden Jahrzehnten würde gestärkt. Diese Einwände haben dazu beigetragen, dass das Protokoll von den USA nicht ratifiziert wurde. Es ist mehr als fraglich, ob ein anderer Staat angesichts dieser Kosten-Nutzen-Kalkulation anders handeln würde.

In der hiesigen Berichterstattung trat an die Stelle von rationaler und gewissenhafter Auseinandersetzung mit dem Komplex von Beginn an die Verfolgung der vermeintlichen Klimawandler. Einerseits habe man es mit einer unheimlichen Ignoranz zu tun: Die Amerikaner halten sich wohl für ein sehr auserwähltes Volk, wenn sie sich die Ablehnung des Kyoto-Protokolls so einfach herausnehmen. Manchmal wird auch eine typisch amerikanische Strategie zur Beherrschung des Planeten unterstellt, derzufolge Naturkatastrophen quasi zur Unterwerfung und Domestizierung des Rests der Welt eingesetzt werden. Die bekannte Personifizierung von Menschheitsbedrohungen, gepaart mit Allmachtsfantasien, ist ebenfalls anzutreffen: George W. Bush ist im antiamerikanischen Weltbild nicht mehr nur Völkermörder und Terrorist, sondern auch »Klimakiller Nummer 1«. Im Zuge seiner Universalisierung muss der europäische Antiamerikanismus vermeintliche und tatsächliche ökologische Probleme als »Katastrophe aus Amerika« erklären können.

Dieses Vorurteil brach sich im Jahr 2005 im Zuge der Hurrikan-Katastrophe im Süden der USA das erste Mal Bahn. Das üblicherweise zur Schau gestellte Entsetzen wurde fast vollständig verdrängt durch eine kaum verborgene Schadenfreude: End­lich hat es mal die Richtigen getroffen. Globale Unwetter und Wirbelstürme seien, so der damalige deutsche Umweltminister Jürgen Trittin stell­vertretend für viele, Produkt des amerikanischen »klimapolitischen Irrwegs«. Der durchschnitt­liche Amerikaner erzeuge mehr als doppelt so viel CO2 wie der durchschnittliche Europäer und müsse sich, kurz gefasst, in Zukunft über gar nichts mehr wundern. Die geschundene Natur, der man in Deutschland nicht Herr wird, sondern die zu respektieren und zu fürchten ist, hat zurückgeschlagen. Die Metaphysik, die hier durchscheint, ist der Glaube an eine schicksalhafte Gerechtigkeit, die über Rationalität und Wahrheit steht.

Es spricht einiges dafür, dass bei kommenden Naturkatastrophen der antiamerikanische Reflex noch weiter automatisiert werden wird. Der Glaube, dass die Ratifizierung der Kyoto-Richt­linien durch die USA fünf Jahre später einen Wirbelsturm in der Karibik verhindert hätte, ist absurd. Wenn aber der Hurrikan Katrina das Resultat der amerikanischen Versäumnisse sein soll, warum nicht ein Tsunami, der ja auch irgendwie mit Wasser und Luft zu tun hat? Oder die Waldbrände in Griechenland, die Mückenplage am Oberrhein? Das Geraune über Klimawandel in diesen Zusammenhängen lässt bereits Böses erahnen.

Dabei ist anzunehmen, dass dem amerikanischen Föderalstaat so viel an ungestörten Akkumulationsbedingungen liegt wie jedem anderen Souverän. Ist die US-Regierung von Sinn und Zweck einer internationalen Maßnahme zum Umweltschutz überzeugt, ist mit ihrem Engagement zu rechnen. So geht beispielsweise das vor 20 Jahren abgeschlossene Montreal-Abkommen zum Schutz der Ozonschicht, das als überaus erfolgreich gilt, zu nicht unerheblichen Teilen auf eine US-amerikanische Initiative zurück. Es kann somit auch nicht verwundern, dass das Problem des Klimawandels in den USA ebenfalls wahrgenommen wird – nicht nur von Al Gore. Die US-Regierung betreibt mittlerweile auf eigene Faust eine Klimaschutzinitiative, die in Deutschland als Störmanöver interpretiert wird. In ihr sollen die acht größten Emittenten, inklusive China und Indien, zusammenarbeiten.

Die Klimaschutzpolitik steht auf der politischen Agenda der USA teilweise in einem zunächst über­raschenden Kontext. Seit den Anschlägen vom 11. September 2001 hat sich die Einsicht verbreitet, dass ölreiche Staaten und ihre Rentenökonomie eine Gefahr für die nationale Sicherheit darstellen. Ussama bin Laden verdankt sein Vermögen den engen Verbindungen seiner Familie zum saudischen Königshaus.

Um die Abhängigkeit vom Öl der Opec-Staaten zu vermindern, will die US-Regierung unter anderem Veränderungen in der Automobilbranche fördern. Die in den USA ohnehin größere, bislang in Garagen und privaten Werkstätten angesiedelte Szene von Menschen, die ihre Benzinautos zu rein elektrisch betriebenen Fahrzeugen umbauen, hat mehrere Firmen hervorgebracht, die sich der Produktion von electric vehicles verschrieben haben.

So produziert etwa die nach dem leicht spleeni­gen Physiker und Erfinder benannte Firma Tesla einen Sportwagen, dessen Fahrleistungen von US-Außenministerin Condoleezza Rice persönlich getestet wurden. Der erste Tesla ist dabei nicht zufällig ein Gefährt, das mit Supersportwagen konkurriert: Emissionslos zu fahren, ist sexy und erfordert nicht den Umstieg auf das Holland-Rad, so das Selbstverständnis. Insbesondere von den Behörden der Bundesregierung in Washington wird die Elektrifizierung des privaten Nahver­kehrs zunehmend gefördert und thematisiert – als Beitrag zur nationalen Sicherheit.

Die politische, leider keinesfalls in Stein gemeißelte Ansage, klerikalen und diktatorischen Rentenstaaten ihre Geschäftsgrundlage zu entziehen, paart sich so mit der Bejahung von emissionslosem Fahrspaß und dem Glauben an Veränderung jenseits von Verzicht. Wohin das führt und ob ein paar Spinner mit dem Geld aus ihren früh genug verkauften Startups tatsächlich die amerikanische Autoindustrie umwälzen werden – who knows?

Aus emanzipatorischer Perspektive jedoch erscheint die hier praktizierte Methode zumindest attraktiver als die deutsche, von Untergangs­ängsten gezeichnete, die hinter jedem Übel einen Schuldigen ausmachen muss und in der Umwelt­schutz anscheinend immer nur als Verzicht gedacht werden kann. Selbst wenn sich schließlich herausstellen sollte, dass der Klimawandel mit den Emissionen nichts oder wenig zu tun hat, wären elektrische Autos für den Massenkonsum und eine Schwächung der Öldiktaturen erfreuliche Ergebnisse.