Schneller, lauter, tödlicher

Das Kino will sich mit der Produktion von Tempo und Tod aus der Krise retten. »Das Bourne-Ultimatum« ist das jüngste Beispiel. von jürgen kiontke

Bloßes Tempo herzustellen, scheint die letzte Zuflucht des Mainstream­kinos zu sein. Überhaupt ist die Geschwindigkeit das derzeitig Entscheidende des Kinofilms, wie sonst nur, extrem langsam, im Doom Metal: Während die Arthouse-Regisseure ihr Heil ein ums andere Mal im demonstrativen Abfilmen von Stillstand suchen, soll es im Haupt­haus so rasant zugehen, dass der Verstand den Bildern nicht mehr hinterherkommt.

Ob das eine Analogie zum Leben draußen ist – man soll sich in der Kunst ja wiedererkennen –, sei dahingestellt. Es kommen auch so schon nicht mehr alle Leute mit, warum sollte das im Kino anders sein?

Im Ergebnis sind die einen Filme jedenfalls so träge, dass man einschläft, und die anderen so temporeich, dass das Auge die Reize zwar noch wahrnimmt, aber der Grips sie nicht mehr so ganz verarbeiten kann. Es geht um pure Geschwindigkeit, sie hat kein Sujet, und sie erzählt auch nicht von viel mehr als von Mord. Vielleicht sucht die gebeutelte Branche ihr Heil darin, aufwändige Szenen dermaßen schnell ablaufen zu lassen, dass der Kunde sich danach die DVD ausleihen möge, um im mehrmaligen Durchlauf zu begreifen, was es zu sehen gab.

Alles andere ist nachrangig, den Drehbuchautor kann man zu Hause lassen und durch einen weiteren Stunt-Koordinator ersetzen. Hier hat Casino Royale, der James-Bond-Film von 2006, Maßstäbe gesetzt: zusammengeklebte Szenen, irres Zeug, das irgendwann einfach mit dem Etikett der Filmreihe versehen worden sein musste. Irgendein Schauspieler tut irgendwelche Dinge, die man mit viel Fantasie »James Bond« zuordnen konnte oder nicht. Für den Film war es irrelevant. Für den Zuschauer auch. Es ging um nichts als die actionrelevanten Handlungen, die da sind: töten, rennen, Auto fahren. Quentin Tarantino hat dieses Prinzip mit dem Autofahrerepos »Death Proof« aufgenommen: Beschleunigte Leute töten beschleunigte Leute.

Zurzeit sind mit »28 Weeks Later« und »Trans­formers« zwei weitere Filme im Kino, die um Action-Szenen herumgebaut sind, deren Tempo zu hoch ist, um ihnen folgen zu können. In »Transformers« sind es maßgeblich die Umbauprozesse der gigantischen Maschinen in einem ansonsten unverhohlenen US-Army-Werbespot. In »28 Weeks Later« sind es die Auftritte der Zombies, die von einer seltsamen Seuche befallen in Höchstgeschwindigkeit ihre mensch­lich gebliebenen Artgenossen aufzufressen pflegen.

Ein weiteres Element der Hochgeschwindigkeit: Einsatz, Optik und Wahrnehmung von Schusswaffen. Früher feuerte der Held oder Bösewicht, und es gab einen großen Knall. Heute scheint die Kamera sich auf die Perspektive des Einschlags zu konzentrieren. Wir stehen zwischen den Getroffenen und neben ihnen, wenn die Kugeln in ihre Körper einschlagen. Es handelt sich um bloße, unvermittelte und rasende Wirkung. Die Kriegs- und Schusswechsel­szenen wirken um ein Vielfaches brutaler und unkon­trollierbarer.

Man erlebt den Tod mit den Getroffenen schneller, als man einen Schützen jemals lokalisieren kann. Entwickelt wurde diese Einschlagsoptik wohl von Steven Spielberg in der Anfangssequenz von »Saving Private James Ryan«, kurioserweise sollten hier die Fotografien des D-Day, der Landung der Alliierten in Frankreich, ihre Entsprechung im Kino erhalten.

Dass die Vorgänge zu schnell sind, um sie zu begreifen, sieht man auch im Spionage-Thriller »Das Bourne-Ultimatum«, obwohl es hier immerhin einen halbwegs kontinuierlichen Plot gibt. Der von allen Emotionen befreite ehemalige CIA-Killer Jason Bourne, dargestellt von Matt Damon, wendet sich gegen seinen Auftraggeber. Die Ein-Mann-Armee tickt aus. Unkontrollierbar. Seine Freundin haben sie schon erledigt. Und sein ganzes Leben. Die Verfolger kommen, Verfolger werden Verfolgte, Jason rennt, legt um, Knochenbrüche, Kopfschüsse, Moskau, Paris, London, Madrid, Tanger und so weiter – ein Hochstart wie beim Dragsterrennen.

Die Topics: der moderne Überwachungsstaat mit seinen ultraschnellen Computeranalysen, Spionagesatelliten, die in Windeseile die passenden Bilder liefern, und vor allem: Ortungsinstrumente, die jedem beliebigen Benutzer eines Telefons eine Lenkbombe per GPS schicken können.

»Das Bourne-Ultimatum« wirkt wie ein Action-Spiel für den PC, der Held hangelt sich von Level zu Level, um zu killen, killen, killen. Die filmische Arbeit orientiert sich an der digitalen Massenfotografie, den neuen Sehgewohnheiten. Wir erblicken eine Mischung aus Videomaterial der zahlreichen Überwachungskameras und jeder Menge Happy-Slapping-Bildern, wie sie brutalisierte Jugendliche mit Handys aufnehmen. Ein Zusammenhang der Szenen ist nur noch scheinbar vorhanden, die Kamera ist ins Geschehen hineingesteckt worden. Wir sollen ganz dicht dran sein, Schläge, Bisse, Tritte, Würgegriffe spüren, es erfolgt der direkte physische Zugriff auf den Zuschauer.

Welchen Sinn aber hat ein Tempo, das so hoch ist, dass der Kopf nicht hinterherkommt? Der Filmwissenschaftler Lothar Mikos nennt dieses Verfahren »konstruktive Montage«. Dabei werden nur noch Detailaufnahmen eines Ablaufs gezeigt, den Rest kann man sich nach dem Film zusammenreimen. Man bekommt zwar noch einen Überblick über die Szene, aber den Ablauf erlebt man als Stückwerk. Mikos sagt: »In solchen konstruktiv geschnittenen Sequenzen wird die Action gewissermaßen auf die kognitiven Aktivitäten der Zuschauer übertragen, denn sie müssen sich das Gesamtbild der Sequenz durch eigene, mentale Anstrengung erschließen. Es entsteht eine Art Stroboskopeffekt.«

Gewalt wie ein Lichtblitz – die Wurzeln der Action-Figur Bourne sind denn auch nicht bei vergleichsweise humorvollen Kollegen wie Bruce Willis als John Mclane in »Stirb langsam« zu finden, nicht in gleichsam wortgewandten Helden wie dem »Terminator« oder im Hongkong-Actionkino, das mit reichlich pubertärem Witz durchsetzt ist. Es ist der kalte, emotionslose Horror tierisch-mörderischer Vorbilder, ins Kino kamen sie als James Camerons »Aliens« und Steven Spielbergs Dinosaurier in »Jurassic Park« – und mit ihnen das schnelle, beinahe maschinelle Töten. In seiner Death Disco hat Bourne mehr mit den Fleisch fressenden Velociraptoren gemein als mit John Mclane. Es ist eine reichlich sterile Welt, die auf die Produktion von Tod ausgerichtet ist. In ihr geht keiner essen, auf dem Tisch stehen keine Blumen, Lachen ist verboten, nie muss mal jemand aufs Klo. Hier arbeiten ausschließlich die Untoten, Geheimdienst-Androiden und Fressmaschinen.

Wir wissen nicht weiter und sind traurig – aber wenigstens im Stroboskoplicht: Dass der Held ein entmenschlichter Hauptfiguren-Roboter ist, bleibt wohl das eigentlich Bedrückende am derzeitigen Action-Kino rund um den und im Überwachungsstaat. Liebesszenen sind hier undenkbar. Sollten sie dennoch vorkommen, ist anzunehmen, dass die Protagonisten Eier legen und sich in Labornestern fortpflanzen.

»Das Bourne-Ultimatum« (USA 2007). Regie: Paul Greengrass. Start: 6. September