Verbales Karate

Die Istanbuler Rapperin Ayben ist gegen Kleiderordnungen und für eine Aufhebung des Schleierverbots an türkischen Universitäten. Von Sabine Küper-Busch

Das Festival »Rock’n’Coke« macht seinem Namen alle Ehre. Coca Cola, wohin man schaut. Während die Limonade in islamischen Nachbarländern wie dem Iran als regimefeindliche Droge der imperialistischen Weltmacht USA gilt, fließt sie hier in Strömen. Zwar haben die Türken eine lokale Marke erfunden – der Ülker-Konzern vertreibt »Cola Turca« –, doch der Konzern sponsert nur gediegene Festivals für klassische Musik, während »Rock’n’Coke« sich rühmt, das »Roskilde des nahöstlichen Kulturkreises« zu sein.

Coca Cola lässt sich Roskilde im türkischen Thrakien einiges kosten. Auf einer Flughafenanlage vierzig Kilometer von Istanbul entfernt auf dem Weg zur bulgarischen Grenze wurden die unvermeidlichen Coca-Cola-Zelte aufgeschla­gen. Daneben sind präsent: Mavi-Jeans, Gloria-Jeans, ein Stand einer Gruppe, die Drogen bekämpft, es gibt eine Fast-Food-Meile und eine Zweigstelle des türkischen Kreditinstitutes Akbank. Dort muss sich jeder Besucher eine poppige Kreditkarte kaufen und sofort einzahlen, denn sonst leidet er Durst und Hunger. Mitgebrachtes Essen und Getränke dürfen nicht auf den Platz gebracht werden. Vielleicht ist das bei einem Festival üblich, für die jugendlichen Besucher von »Rock’n’Coke« ist es trotzdem eine Zumutung, denn die meisten übernachten auf dem Zeltplatz und haben wenig Geld.

Auch Ayben sieht etwas abgekämpft aus, als sie nachmittags auf die Bühne steigt. Viele ihrer Songs sind Klassiker in der Istanbuler Club­szene. »Mein Name ist Ayben, habt Angst vor mir«, hieß der erste Hit der einzigen Rapperin der Türkei. »Rap ist meine Lebensphilosophie, ich war noch ein Baby als ich schon Rap hörte, ich habe ihn von meinem Meister erlernt«, rappt Ayben Özçalkan. Ihr »Meister« ist ihr fünf Jahre älterer Bruder Bilgin alias »Ceza«, der Star der Szene. Zusammen mit der Schwester war er auch in Fatih Akins Film »Crossing the Bridge – The Sound of Istanbul« zu sehen. Backstage wartet wie immer Vater Danyal Özçalkan. Ayben strahlt, wenn sie erzählt, dass der erste Film, den sie mit ihrem Vater zusammen anschauen durfte, »Easy Rider« war. Danyal Özçalkan ist zwar nicht der Manager seiner Kinder, begleitet die Tochter jedoch auf fast jedes Konzert. Dass Ayben mit 25 noch bei ihrem Vater im konservativen Stadtteil Üsküdar lebt, ist für die Türkei nicht ungewöhnlich, passt aber dennoch nicht so recht zur schnellebigen Istanbuler Musik­szene.

Das Publikum von »Rock’n’Coke« ist durchschnittlich Mitte Zwanzig und feiert nach dem Konzert bis morgens um fünf, bis es ermattet in die Zelte fällt. Ayben und ihr Vater sind ein merkwürdiges Gespann. Die Tochter ist selbstbewusst und cool, der Vater ein liebevoller, rundlicher Papa-Typ. Danyal Özçalkan gehörte in den siebziger Jahren zu den langhaarigen Hippies, die Jimi Hendrix und Pink Floyd hörten und von den Ultrarechten wegen ihres Äußeren verprügelt wurden. Aybens Mutter, die früh gestorben ist, trug als religiöse Frau ein Kopftuch. Die Rapperin findet jegliche Art von Reglementierung in Bezug auf die Kleidung autoritär, auch das generelle Kopftuchverbot an Schulen, Universitäten und im öffentlichen Dienst in der Türkei.

Gleichzeitig braucht sie den Rap als Ausdrucksmittel für die zahlreichen Widersprüchlichkeiten in einer Stadt wie Istanbul. Sie hat eine eigene Terminologie entwickelt. Rap ist für Ayben die »Kunst der verbalen Verteidigung«. Es macht sie unglaublich wütend, wenn irgendwelche Typen sie auf der Straße anmachen. Vor allem, weil sie davon überzeugt ist, sich völlig unauffällig zu verhalten. Dabei übersieht sie, dass ihr Kleidungsstil gerade die Leute provoziert, deren Frauen sich in Kopftücher und Schleier hüllen. »Das ist ein Vorurteil«, findet Ayben. »Die Leute, die mir Sprüche hinterherrufen, sind nicht religiös, sie terrorisieren ihre Frauen vielmehr mit einer religiös übertünchten Macho-Manier.« Das ist nur zu wahr. Und so schildert Ayben sich am besten selbst in ­ihrem erfolgreichsten Lied »Mein Rap«: »Rap ist für mich meine Balance, mein einziger Liebhaber, red’ mir nicht rein, ich weiß, was mich glücklich macht.«