69 ist immer und überall

Krawall in Kopenhagen. Die Bemühungen um ein autonomes Jugendhaus in der Stadt gehen seit der Räumung des »Ungdomshuset« am 1. März unvermindert weiter. Die Polizeiführung spricht inzwischen von Überforderung. von alfred lang, kopenhagen

In der Nacht zum 2. September eskalierten im Zen­trum von Nörrebro erneut die Auseinandersetzun­gen zwischen Demonstranten, Jugend­lichen aus dem Kiez und der Polizei. Vorausgegangen war eine Demonstration mit einigen tausend Teilneh­mern zur Erinnerung an die Räumung des autonomen Jugendhauses »Ungdomshuset« vor einem halben Jahr. In ausgelassener Stimmung bewegte sich die Demonstration durch Nörrebro, einen multikulturellen Stadtteil Kopenhagens. Ihr folgten in geringem Abstand zahlreiche Polizeibusse. Nach einem Zwischenstopp im Park des »Folkets Hus«, eines selbst verwalteten Hauses und Relikts der 68er-Bewegung, ging es weiter zu »Ground 69«. Dort, auf dem verödeten Grundstück, wo früher das autonome Jugendhaus stand, sollte eine Re­claim-the-Street-Party stattfinden.

Das Straßenfest breitete sich schnell bis auf die Hauptstraße des Stadtteils aus, Lagerfeuer wurden entzündet und kleine Barrikaden wurden errichtet, der Verkehr wurde lahmgelegt. Irgendwann wurden dann bei den ersten Banken und Supermärkten die Scheiben eingeworfen. Vermummte Personen, darunter auch Angehörige mehrerer Straßengangs, demolierten zahlreiche Geschäfte. Die Ausschreitungen entwickelten sich planlos, und die Polizisten, die in großer Zahl eintrafen, pumpten ebenso beliebig Tränengas in die nächtlichen Straßen von Nörrebro. Das Ganze endete erst in den frühen Morgenstunden.

Zurück blieben eingeschlagene Scheiben, verwüstete Geschäfte und auf den Straßen Scherben, Abfall und Trümmer der Barrikaden. 65 Personen wurden festgenommen, vier von ihnen wurden in U-Haft überführt, während die übrigen im Lauf des nächsten Tages frei kamen. Die Medien berichteten wie üblich zwar ausführlich, aber fast ausschließlich über den Zorn der Kiezbewohner auf »die autonomen Chaoten«. Die Ausschreitungen sorgten für heftige und kontroverse Diskussionen, auch innerhalb der Linken.

Auf dem wöchentlichen Montagsplenum verfassten die Aktivisten des »Ungdomshuset« eine Pressemitteilung zu den Konfrontationen am Wochenende: »Seit dem 1. März 2007 haben wir versucht, die öffentliche Aufmerksamkeit durch Demonstrationen, Aktionen, Happenings, Hausbesetzungsaktionen etc. auf uns zu lenken. Seitdem ist ein halbes Jahr vergangen, ohne dass die verantwortlichen Politiker den Willen zu einer Lösung des Konflikts gezeigt haben. (…) Es waren nicht nur die Menschen aus dem Umfeld des ›Ungdomshuset‹, die Samstagnacht auf die Straße gingen, sondern eben auch viele Menschen, die sich von den Behörden schikaniert fühlen. Genau­so wie sie uns nicht in unserem Kampf für ein neues ›Ungdomshuset‹ behindern, behindern wir sie nicht ihn ihrem Zorn. Wir setzen unseren Kampf für ein neues »Ungdomshuset« fort.«

Einige Bewohner von Nörrebro, darunter bekannte Rechtskonservative, haben unter großer Aufmerksamkeit der Medien die Initiative »Nachbarn in Nörrebro« gegründet. Sie fordern die »Ungdomshuset«-Aktivisten auf, »ihr« Stadtviertel zu verlassen. Während der wöchentlichen Donnerstagsdemonstration für ein neues autonomes Jugendzentrum rief diese Initiative am 6. September etwa 200 Menschen zu einem »friedlichen Protest gegen die Autonomen« auf, »die unseren Stadtteil terrorisieren«. Sie versammelten sich unweit des ehemaligen Zentrums.

Das Konzept für die Donnerstagsdemonstration der »Ungdomshuset«-Aktivisten basierte in dieser Woche darauf, 69 kleinere Demonstrationen zu veranstalten. Die Teilnehmer sollten sich im gesamten Stadtgebiet vor Häusern mit der Nummer 69 treffen und sich dann zum gemeinsamen Sammelpunkt begeben. Das Ziel war es, die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf das ehemalige Jugendzentrum, dessen Adresse »Jagtvej 69« lautete, zu lenken. Organisiert wurde diese Demonstration vom so genannten Grauen Block, der sich überwiegend aus ehemaligen Angehörigen der autonomen Hausbesetzerszene der achtziger und neunziger Jahre zusammensetzt. Zwischen 2 500 und 3 000 Menschen zogen vom gemeinsamen Treffpunkt weiter zum Kopenhagener Rathaus. Viele Bewohner Nörrebros winkten aus ihren Fenstern der Demonstration zu und widerlegten damit die Behauptung der Medien, die Befürworter eines neuen Jugendzen­trums seien im Kiez isoliert.

Die kontinuierlichen Aktivitäten der Kopenhagener Jugendszene veranlassten vor einigen Wochen den Pressesprecher der Polizei, Per Larsen, gegenüber den Medien einzugestehen, dass die Stimmung im Polizeikorps zurzeit nicht die beste sei und viele Polizisten sich überfordert fühlten. Ursache dafür seien der Stress und die unregelmäßige Arbeitszeit, die die ständigen Aktivitäten der Freunde eines autonomen Zentrums erforderlich machten. Niemand in der Po­lizeiführung habe mit dieser Dynamik der »Ungdomshuset«-Bewegung gerechnet. Larsen zufolge ist es daher dringend angebracht, den Konflikt endlich politisch zu lösen. Die Aktivisten reagierten auf seine Äußerungen mit der Organisierung einer Aktionswoche mit täglichen Happenings.

Die sozialdemokratische Mehrheit im Kopenhagener Stadtrat versucht, so gut es geht, die »Ungdomshuset«-Bewegung zu ignorieren. Bisher haben die zustätzlichen Einsätze der Polizei die Stadt Kopenhagen etwa acht Millionen Euro gekostet. Ein neues Jugendhaus wäre dagegen mit 1,6 Millionen Euro sehr viel billiger zu haben gewesen. Der eigentliche Grund für die ablehnende Haltung der Sozialdemokraten liegt aber offensichtlich in einer simplen Rechnung: Es geht um Stimmen bei der bevorstehenden Parlamentswahl. Umfragen zufolge spricht sich eine knappe Mehr­heit in der dänischen Hauptstadt für ein neues autonomes Jugendzentrum aus, landesweit ist aber die Mehrheit dagegen. Für die traditionell machtbesessene Sozialdemokratie ein durchaus wichtiges Entscheidungskriterium im Hinblick auf den Kampf um die Regierungsmacht.