Die City im Ausstand

Im britischen öffentlichen Dienst finden Auseinandersetzungen um die Löhne statt. Während Premierminister Gordon Brown versucht, den Einfluss der Gewerkschaften auf die Labour Party zu reduzieren, lieferte der Streik im Londoner U-Bahnnetz in der vergangenen Woche einen Vorgeschmack auf das, was der Labour-Regierung in diesem Herbst bevorsteht. von fabian frenzel, leeds

Wenn in London die U-Bahn nicht fährt, dann geht gar nichts mehr. Unter den Transport­adern der Stadt sind die Tunnels der Tube die Arterien: Täglich befördert Londons Underground mehr Menschen als das gesamte britische Eisenbahnnetzwerk.

In den vergangenen Wochen erinnerten rund 2 000 Angestellte der Betreiberfirma des U-Bahnnetzes Metronet daran, wie wichtig ihre Arbeit für den Betrieb der britischen Metropole ist. Sie traten in einen zweitägigen Streik, um nach der Pleite von Metronet ihre Renten- und Arbeits­garan­tien zu erhalten. Der Streik legte zwei Drittel des U-Bahnnetzes lahm. Millionen Londoner kamen nicht oder nur verspätet zur Arbeit. Bereits vor zwei Wochen hatten die Auseinandersetzungen über Löhne im britischen öffent­lichen Dienst zu Streiks der Justizbeamten geführt. Krankenschwestern, Lehrer und Polizisten stehen derzeit auch in Verhandlungen.

Eigentlich galt Premierminister Gordon Brown, im Gegensatz zu seinem Vorgänger Tony Blair, zumindest in den vergangenen Jahren als Freund der Gewerkschaften. Doch es ist bereits abzusehen, dass ihm in diesem Herbst eine größere Auseinandersetzung mit den Gewerkschaften bevorsteht. Heftig kritisiert werden unter anderem seine Pläne, den traditionell großen Einfluss der Arbeitnehmerverbände auf die Labour Party durch eine Änderung im Statut der Partei zu reduzieren. In einem Dokument, das den verheißungsvollen Titel »Erweitern und erneuern der innerparteilichen Demokratie« trägt, stellte Brown seine Reformen vor. Das Verabschieden regierungskritischer Resolutionen auf dem Parteitag, mit denen die Gewerkschaften in den vergangenen Jahren oft Schlagzeilen machten, soll künftig erschwert werden. Hinzu kommt, dass Brown sich in der vorigen Woche auch noch selbst mit Margaret Thatcher verglich, was die Gewerkschafter besonders erregt hat. Die »eiserne Lady« hatte in den achtziger Jahren die britischen Gewerkschaften offen bekämpft und dauerhaft geschwächt.

Eine besondere Auseinandersetzung war die um die Löhne der Justizvollzugsbeamten, die in den vergangenen zwei Wochen eskalierte. Vor allem die Gefängniswärter zeigten sich frustriert über die Tarife im öffentlichen Dienst. Eine unabhängige Kommission hatte für 2007 eine Lohn­erhöhung von 2,5 Prozent empfohlen, aber die Regierung erklärte, sie wolle dieser Empfehlung nur stufenweise nachkommen. Infolge der Verzögerung entspricht der Lohnanstieg nun nur noch 1,9 Prozent und ist damit niedriger als die Inflationsrate. Die Gewerkschaft der Justizbeamten, POA, erklärte, sie könne nicht ein drittes Jahr in Folge einen Reallohnverlust akzeptieren. Die britischen Gefängnisse sind seit Jahren am Rande ihrer Kapazitäten, das System ist überlastet. In diesem Jahr wurden bereits mehrere Male Häftlinge frühzeitig entlassen, weil es schlicht keinen Platz mehr für sie gibt. Die POA reklamierte entsprechend, dass ihre Mitglieder erhöhten Belastungen ausgesetzt seien.

Brown argumentierte wirtschaftspolitisch, dass die Lohnerhöhungen im öffentlichen Dienst mäßig ausfallen müssten, um inflationäre Tendenzen in der britischen Volkswirtschaft zu bekämpfen. »Wir sind erfolgreich mit unserer Wirtschaftspolitik, weil wir zehn Jahre lang Disziplin gewahrt haben«, erwiderte er auf die Kritik der Gewerkschaften.

Die POA war nicht überzeugt und rief zur ersten Arbeitsniederlegung in ihrer 68jährigen Geschichte auf. Dies ist nicht nur neu, sondern auch ziemlich mutig. Die Konservativen hatten 1994 Justizbeamten verboten, in den Streik zu treten. Die Labour-Regierung hob dieses Verbot auf, allerdings hatte sie mit der POA einen freiwilligen Streikverzicht ausgehandelt, der heute noch gilt. Somit war der Streik de facto illegal, und Funktionäre der POA werden nun vermutlich juristische Konsequenzen tragen müssen.

Noch mutiger waren in der vergangenen Woche die Mitglieder der Transportgewerkschaft RMT. Millionen Londoner wollten wissen, warum sie nicht zur Arbeit kommen. Die konservative Londoner Abendzeitung Evening Standard zeigte den frustrierten Pendlern am zweiten Tag des U-Bahn-Streiks den angeblich Schuldigen. Sie titelte mit einem ganzseitigen Foto des Gewerkschaftsführers Bob Crow und der Schlagzeile: »Der Mann, der London zum Entgleisen brachte«. Crow war bereits vor dem letzten Streik berühmt geworden. Bis er die RMT 2002 übernahm, hatte die Gewerkschaft als loyal zu Labour gegolten. Doch Crow, der als junger Mann Mitglied der Kommunistischen Partei war und 1996 einen Versuch unterstützte, die Socialist Labour Party links von New Labour zu etablieren, änderte das. 2004 beendete er die historische Verbindung der Gewerkschaft mit der Labour Partei, die seit dem Ende des 19. Jahrhunderts bestanden hatte. Er modernisierte die Gewerkschaft, die unter seiner Führung begann, prekäre und so genannte undokumentierte Arbeiter zu organisieren. Die Mitgliederzahl stieg in den vergangenen fünf Jahren um ein Drittel, mehr als in jeder anderen britischen Gewerkschaft.

Hintergrund des Streiks ist die Teilprivatisierung des U-Bahnnetzes, ein Lieblingsprojekt von New Labour, das nicht nur von Gewerkschaften, sondern auch von Londons Bürgermeister Ken Livingstone massiv abgelehnt wurde. Brown setzte 2003 als Finanzminister durch, dass die Sanierung des maroden U-Bahnnetzes von privaten Firmen in so genannten Public Private Partnerships (PPP) betrieben wurde. PPP sollten sicherstellen, dass Kosten und Zeitpläne nicht – wie bei öffentlichen Bauaufträgen häufig – aus dem Ruder laufen. Das Konsortium Metronet erhielt den Auftrag, für rund 17 Milliarden Pfund über 30 Jahre zwei Drittel des Londoner U-Bahnnetzes zu modernisieren.

Während es Metronet über vier Jahre gelang, 300 Millionen Pfund als Gewinne an Aktionäre auszuschütten, konnte das privatwirtschaftliche Engagement sonst nicht halten, was es versprach. Verzögerungen und Probleme im Bau gab es von Beginn an, in diesem Frühjahr sprach Metronet dann von Finanzierungsproblemen. Man verlangte eine halbe Milliarde Pfund zusätzliches Geld vom Staat, und als der Vermittler nur rund 121 Millionen Pfund bot, erklärte sich Metronet Mitte Juli für zahlungsunfähig.

Mit dem spektakulären Scheitern von Metronet hat Browns Politik der Public Private Partnerships einen Rückschlag erhalten, was sich viele Parteilinke und insbesondere die Gewerkschaften schon lange gewünscht haben. Statt »neoliberaler Experimente« propagieren sie eine Politik der »sozialen Umverteilung«.

Während auch der Premierminister gerne von »Marktversagen« spricht, auf das der Staat mit Steuerungsmaßnahmen reagieren müsse, hat seine Politik nicht verhindern können, dass die Kluft zwischen Arm und Reich in Großbritannien immer größer wird. Sein Mantra von der »Disziplin« in den öffentlichen Tarifverhandlungen verteidigt Brown auch damit, dass der Privatsektor lediglich einen Lohnzuwachs von durchschnitt­lich drei Prozent verzeichnet. Nicht eingerechnet in diesen Betrag sind allerdings die Bonuszahlungen und so genannten Leistungsgehälter von höheren Angestellten und Managern, insbesondere im Finanzbereich. Die Gesamthöhe dieser Gehälter beträgt dem britischen Statistikbüro zufolge in diesem Jahr 26 Milliarden Pfund. Angesichts solcher Zahlen stellen nicht nur die britischen Gewerkschaften die Frage, wer die inflatorischen Tendenzen zu verantworten hat.