Fischers gegen Ströbeles

Die einen sehen keinen Krieg, die anderen keinen Feind. Seit dem Krieg im Kosovo sind die Grünen in der Frage von Einsätzen der Bundeswehr gespalten. von jan langehein

Keine zwei Monate benötigten die Soldaten der von den USA geführten Operation Enduring Freedom (OEF) im Herbst 2001, um die Herrschaft der Taliban über Afghanistan zu beenden. Dennoch ist das Land auch sechs Jahre später von einem gefestigten Zustand weit entfernt. Jahrzehnte des Bürgerkriegs und der Besatzung haben seine Infrastruktur und Ökonomie zerstört, außerhalb Kabuls liegt die Macht in den Händen konkurrierender Warlords, und im Süden des Landes führen die neu aufgestellten Taliban einen Guerillakrieg gegen die Truppen der OEF.

Hinzu kommt seit einigen Monaten eine steigende Anzahl islamistischer Attentate mit immer mehr Opfern. Ohne eine stabile Wirtschaft, die wenigstens die schlimmsten Formen der Armut lindert, kann es auch keine stabilen politischen Verhältnisse geben, gleichzeitig wäre an eine stabile Wirtschaft erst nach dem Aufbau solcher Verhältnisse überhaupt zu denken – kurz: Bei dem Versuch, in Afghanistan eine funktionierende, laizistische Gesellschaft aufzubauen, stehen die Beteiligten vor ernsthaften Problemen. Und niemand scheint zu wissen, wie man sie überwinden könnte.

Auch die Grünen und »Die Linke«, die demnächst im Parlament über die Verlängerung der Bundeswehrmandate für die OEF, die Isaf-Mission und den Tornado-Einsatz mitentscheiden, haben keine neuen Ideen parat. Die Linksfraktion fordert den Abzug der Soldaten. Sie wirft der Bun­des­re­gie­rung vor, mit der Entsendung der Aufklärungsflugzeuge vollends auf Kriegskurs gegangen zu sein. Damit sei sie jedoch gescheitert: »Die immer größere Opferzahl unter der Zivilbevölkerung ver­stößt gegen das Völkerrecht. Und wer das Völkerrecht missachtet, kann Terrorismus nicht bekämp­fen, sondern wird ihn weiter befördern.« Das Geld für die Auslandseinsätze solle stattdessen in Wirt­schaftshilfe, den Aufbau der Polizei und in die Grenzsicherung investiert werden; die Landwirtschaft soll Subventionen erhalten. Wie das ohne Militär möglich sein soll in einem Land, das nur noch rudimentäre Verwaltungsstrukturen besitzt, die von Besatzungssoldaten geschützt werden müssen, darauf bleibt »Die Linke« eine Antwort schuldig.

Komplexer wird das Thema bei den Grünen verhandelt. Auf ihrem Sonderparteitag am 15. September in Göttingen prallen zwei grundsätzliche Ansichten aufeinander. Die einen meinen, der Einsatz deutscher Soldaten in Afghanistan trage vor allem zum Aufbau der Gesellschaft bei. Die anderen sehen die deutschen Soldaten als Teil einer Kriegsmaschine, die mit ihrem Krieg gegen die Taliban erst den Terror hervorruft, den sie zu bekämpfen vorgibt.

Mit dem zivilen Nutzen hatte der Parteivorstand ursprünglich die Zustimmung zum Isaf-Einsatz begründet. Ein Leitantrag des Vorstandes, über den der Göttinger Parteitag zu entscheiden hat, hält daran grundsätzlich fest, verbindet ihn aller­dings mit der Forderung nach einem Strategiewechsel. Der OEF will die Parteiführung dagegen die Unterstützung entziehen. Zur Frage der Aufklärungsflüge gibt sie keine Empfehlung an die Delegierten. Das wäre auch schwierig, weil sich schon der Vorstand darüber nicht einig ist. Außer­dem soll das Thema im Bundestag zusammen mit dem Isaf-Einsatz verhandelt werden. Den Schwer­punkt der Afghanistan-Politik will der Parteivorstand in Zukunft auf zivile Projekte legen, die Vor­sitzende Claudia Roth sagt aber auch: »Es braucht eine militärische Komponente als Assistenz beim Wiederaufbau.«

Der prominenteste Vertreter der anderen Seite des Meinungsspektrums bei den Grünen ist der Parteilinke Hans-Christian Ströbele. Auch er fordert, die Beteiligung der Bundeswehr an der OEF sofort zu beenden. Zudem verlangt er einen Rück­zug aller deutschen Truppen aus Afghanistan, sollte im Rahmen der OEF weiterhin Krieg gegen die Taliban geführt werden. Ströbele hat ein Papier mit dem zweideutigen Titel »Raus aus dem Dilemma in Afghanistan« vorgelegt, in dem er der OEF de facto die Schuld an der Fortdauer des Krieges gibt: »Jeder Militärschlag schürt den Hass gegen die ausländischen Truppen und treibt den Taliban neue Kämpfer zu.« Das klingt, als verschwänden die Herrschaftsansprüche der Islamisten von allein, hörte man nur auf, gegen sie zu kämpfen.

Die Parteiführung scheint angesichts der internen Gegensätze keine Vorhersagen über den Aus­gang des Parteitags treffen zu wollen. Claudia Roth rechtfertigt sicherheitshalber schon mal alle möglichen Beschlüsse: »Letztendlich entscheidet jeder Abgeordnete. Das ist eine Gewissensentscheidung, da geht es eben auch um Leben und Tod.«

Die Debatte über den Einsatz in Afghanistan zeigt erstmals seit dem Kosovo-Krieg, wie unsicher die Grünen in der Frage von Auslandseinsätzen der Bundeswehr sind, wie fragil der Konsens ist, auf den sie sich damals geeinigt haben. Das ist kaum verwunderlich: Fast 20 Jahre lang verstand sich die Partei als parlamentarischer Flügel der Friedensbewegung. Nach dem Eintritt in die Bundesregierung im Herbst 1998 vergingen gerade einmal 20 Wochen, dann beschloss die Parteiführung den ersten Kampfeinsatz deutscher Truppen seit 1945.

Dass dies gelang, ohne das pazifistische Selbstverständnis der Partei vollständig zu opfern, haben die Grünen vor allem dem Husarenstück Joseph Fischers zu verdanken, das dem militärpolitischen Konsens der Grünen bis heute zugrunde liegt. Hatte Fischer deutsche Militäreinsätze zuvor mit Verweis auf den Nationalsozialismus stets abgelehnt, so drehte er 1999 den Spieß einfach um: Im Kosovo bahne sich ein neues ­Ausch­witz an, und es sei eine Verpflichtung gerade der Deut­schen, dies zu verhindern. So konnten die Grünen mit dem gleichen moralischen Rigorismus den Eintritt in den Krieg fordern, mit dem sie bis dahin sogar Blauhelmeinsätze verdammt hatten. In dieser Lesart führt die Bundeswehr nämlich keinen Krieg gegen einen Feind; sie reist lediglich ins Ausland, um Menschenleben zu retten.

Das gilt in der Logik der Grünen freilich vor allem für Bundeswehreinsätze mit UN-Mandat, nicht jedoch für die US-Armee, die immer noch nach den alten Mustern bewertet wird. Lange ent­sprach die öffentliche Wahrnehmung des deutschen Afghanistan-Einsatzes dem Wunschbild der »Friedensmission«. Die Soldaten in Kabul schienen ausschließlich Schulen zu bauen, Polizisten auszubilden und von der Bevölkerung geachtet zu werden. Für die hässlichen Seiten des Kriegs, für die Kämpfe gegen die Taliban mit immer mehr Toten in der Zivilbevölkerung, waren die Amerikaner verantwortlich, die im Süden des Landes agierten.

Mit der Entsendung deutscher Aufklärungsflug­zeuge und mit den Anschlägen auf Bundeswehrsoldaten ist die Trennung brüchig geworden, die von vornherein eine ideologische war. Den Grünen scheint langsam klar zu werden, dass ein Militäreinsatz zum Zwecke des Staatsaufbaus nicht allein aus der Hilfe für Bedürftige besteht, sondern auch aus dem Kampf gegen einen Feind – und dem hatten sie nie zugestimmt. Insofern könnte der Parteitag am Wochenende etwas realistischer über den Bundeswehreinsatz diskutieren, als es die Grünen je zuvor getan haben; er könnte allerdings auch Ströbeles gefährlicher Illusion verfallen, Afghanistan wäre mit Wirtschaftshilfe allein besser gedient.

Dass es bessere Aufbauhelfer gibt als Soldaten, dass Afghanistan Schulen und Fabriken nötiger hat als alliierte Militärstützpunkte – wer wollte das bestreiten? Nur ist das eine ohne das andere eben derzeit nicht zu haben. Der Traum eines demokratischen Aufbaus ohne Waffen könnte schnell im Alptraum einer erneuten Taliban-Diktatur enden.