Hilfe für die Helden des Jihad

In militärischer Hinsicht ist der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan von geringer Bedeutung. Doch Deutschland spielt eine führende Rolle bei der Integration der Islamisten. von jörn schulz

Afghanische Polizisten leben gefährlich, aber sie genießen auch Privilegien. »Einige Polizisten blieben über Nacht«, berichtet ein Hotelangestellter aus Ghazni. »Sie sagten, ich sollte ihnen etwas charas (Haschisch) geben. Ich rief in der Polizeiwache an, und sie sagten mir, ich sollte es ihnen geben, wenn ich welches hätte.«

Drogen zu schnorren, gehört zu den harmloseren Verstößen von Polizisten gegen die üblichen Vorstellungen von Gesetz und Ordnung, über die den Forschern der International Crisis Group (ICG) berichtet wurde. Im März protestierten Einwohner Lashkar Gahs, der Hauptstadt der umkämpften Provinz Helmand, gegen Polizeibrutalität und Korruption. »Wenn sie bezahlt werden, lassen die Polizisten sogar jemanden laufen, in dessen Wagen Sprengstoff gefunden wurde«, sagte ein Demonstrant. Korruption, Erpressung, Plünderung, Misshandlung von Gefangenen und Parteinahme für lokale Machthaber »entfremden die Bevölkerung nicht nur, sie können sie auch den regierungsfeindlichen Kärften zutreiben«, resümiert die ICG in ihrem am 30. August veröffentlichten Bericht.

Vermutlich hatten die Autoren des am Mittwoch der vergangenen Woche veröffentlichten Afghanistan-Konzepts der Bundesregierung anderes im Sinn, als sie schrieben, beim »Aufbau afghanischer Sicherheitskräfte« habe Deutschland »ein neues Selbstverständnis der afghanischen Polizei geschaffen«. Im Jahr 2002 hatte Deutschland bei der Verteilung der Aufgabenbereiche als »Führungsnation« die Polizeiausbildung übernommen. Doch bereits ein Jahr danach begann die US-Regierung eigene Programme, offenbar unzufrieden mit den deutschen Bemühungen. Die USA investierten zwischen 2002 und 2006 mehr als zwei Milliarden Dollar in die afghanische Polizei, Deutschland zahlte im gleichen Zeitraum nicht einmal 80 Millionen Euro.

Allerdings floss ein nicht unbeträchtlicher Teil des amerikanischen Geldes an Waffenlieferanten und Söldnerfirmen wie DynCorp. Die afghanischen Polizisten, von denen allein in den vergangenen fünf Monaten 500 getötet wurden, wenigstens anständig zu bezahlen, kam niemandem in den Sinn. Dass Polizisten mit umgerechnet 60 Dollar etwa ein Fünftel dessen erhalten, was ein Kämpfer der Taliban kassiert, prägt ihr Selbstverständnis jedoch sicherlich stärker als ein Ethikseminar.

Wer eine Kalkulation des von Deutschland betriebenen Aufwands im Verhältnis zum Nutzen bei der Etablierung als Großmacht erstellt, muss zugeben, dass die Intervention in Afghanistan ein voller Erfolg war. Der Bundesregierung kam Ende 2001 zugute, dass die USA keine Verantwortung für das nation building übernehmen wollten und Deutschland die Führung überließen. Die Verfassung und die Institutionen Afghanistans entstanden unter deutscher Schirmherrschaft, eine Referenz für die Bewerbung um weitere Führungsaufgaben in der internationalen Diplomatie.

Klug genug, sich für den Einsatz den relativ ruhigen Norden auszusuchen, muss die Bundeswehr sich nicht mit den Taliban und al-Qaida herumschlagen. Der vielleicht bemerkenswerteste Erfolg ist jedoch, dass Deutschland als führend beim zivilen Aufbau gilt, obwohl die bislang jährlich gezahlten 80 Millionen Euro selbst im Vergleich mit den Beiträgen der ebenfalls knauserigen anderen westlichen Regierungen dürftig sind. Immerhin gelang es, »mit deutscher Unterstützung« ein neues Investitionsgesetz zu erarbeiten, das »den Ansprüchen internationaler Investoren genügt«, wie das Auswärtige Amt vermerkt. Allerdings wurde es noch nicht verabschiedet.

So kritisiert das Afghanistan-Konzept denn auch das Parlament: »Die Wahrnehmung seiner Hauptaufgabe, die Schaffung eines rechtlichen Rahmens durch zügige Gesetzgebungsverfahren, gestaltet sich allerdings zäh.« Die Bundesregierung kommt nicht umhin, wenigstens einige Probleme zu bennenen. »Der Polizei werden vielfach willkürliche Festnahmen und Folter vorgeworfen«, stellen die für ihre Ausbildung Verantwortlichen fest. Doch wird, ebenso wie bei anderen benannten Problemen wie der Korruption oder dem Drogenhandel, nicht einmal danach gefragt, wo die Ursachen liegen. Dementsprechend soll die Lösung darin liegen, das, was bisher schon getan wird, besser, schneller und effektiver zu tun.

Trotz einiger Erfolge, vor allem im Bildungssektor, ist das Gesamtergebnis des Wiederaufbaus erbärmlich. Selbst die Bundesregierung geht davon aus, dass »zwischen 45 und 59 Prozent der Kinder unter fünf Jahren unter chronischer Unterernährung leiden«, der Senlis Council schätzt den Anteil der chronisch Mangelernährten auf 70 Prozent. Diese katastrophale Situation ist die Folge der beiden Grundfehler der Afghanistan-Intervention. Es gibt keine ernstzunehmende Entwicklungsstrategie, vielmehr wird nach Kräften versucht, den Opiumanbau, den wichtigsten Wirtschaftszweig des Landes, zu bekämpfen, ohne dass den Bauern eine Alternative geboten wird. Und die politische Macht wurde den islamistischen Warlords überlassen, die seit Ende der siebziger Jahre die Bevölkerung terrorisieren.

Bereits das Ende 2001 in Petersberg nahe Bonn geschlossene Abkommen bekundet die »Anerkennung für die afghanischen Mujahedin« und ihre »wichtige Rolle im Kampf gegen den Terrorismus«, die sie zu »Helden des Jihad« gemacht habe. Dieser Lobgesang auf Terror und Massenmord erklärt den Jihad gegen die Sowjetunion zum Gründungsmythos des neuen Afghanistan.

Der Krieg der Sowjetarmee verursachte weit mehr »Kollateralschäden« als die Intervention der US-Armee und der Isaf. Die damalige afghanische Regierung der People’s Democratic Party of Afghanistan betrieb die gesellschaftliche Transformation als militärisches Projekt. Doch die Mujahedin, vom Westen und den arabischen Staaten unterstützte Jihadisten, kämpften in den achtziger Jahren gegen ein Regime, das die richtigen Ziele hatte: Landreform, Säkularisierung, Alphabetisierung und Gleichberechtigung der Frauen.

Der soziale Fortschritt kann nur revolutionär durchgesetzt werden. Die Voraussetzung dafür ist eine Politik, die jene Bevölkerungsgruppen stärkt, die ein Interesse an der Veränderung haben: Frauen, arme Bauern, Lohnabhängige und Jugendliche. Derzeit dominieren in Afghanistan auf dem Land neofeudale Abhängigkeitsverhältnisse, während Lohnabhängigkeit meist mit politischer Abhängigkeit verbunden ist, sei es von einem Warlord, einer NGO oder der Regierung. Noch immer werden 70 Prozent der Frauen und Mädchen zwangsverheiratet.

Solche Abhängigkeitsverhältnisse können durch ökonomischen Fortschritt, der beispielsweise Frauen ein eigenes Einkommen verschafft, geschwächt werden. Notwendig für eine Demokratisierungspolitik wäre es jedoch auch gewesen klarzustellen, dass der gesellschaftliche Fortschritt nicht gegen die Religion, wohl aber gegen islamistische Warlords, reaktionäre Geistliche und Clanführer durchgesetzt werden muss.

Mit der Anerkennung der Mujahedin, die der UN-Gesandte Lakhdar Brahimi Ende 2001 für die »internationale Gemeinschaft« durch seine Unterschrift bezeugte, wurde dagegen die Bereitschaft signalisiert, die Kriegsverbrechen der Warlords zu vergessen, ihre Macht in einem neuen institutionellen Rahmen zu legitimieren und den Islamismus anzuerkennen. Die im Jahr 2004 verabschiedete Verfassung lobt in der Präambel noch einmal »Opfer, historische Kämpfe, Jihad« und macht die »Bewunderung für die höchste Position der Märtyrer« zur Grundlage der »Islamischen Republik«, deren Justiz auf die »Bestimmungen der heiligen Religion des Islam« verpflichtet wird. Paragrafen über die Beachtung demokratischer Regeln stehen unverbunden neben dieser islamistischen Doktrin.

Weil die Interventionsstaaten dann doch die Notwendigkeit sahen, die Macht der Islamisten zu begrenzen, griffen sie zu autoritären Maßnahmen. Als Gegengewicht zu den Warlords wurde Präsident Hamid Karzai an die Spitze des Staates gestellt, der ein religiöser Reaktionär, aber kein Anhänger der Sharia ist. Um ihm die Arbeit zu erleichtern, wurde ein Präsidialregime eingeführt. Deshalb gibt es zwar mehrere Dutzend Parteien, doch in der Politik dürfen sie keine Rolle spielen. Bei den Wahlen war es den Kandidaten verboten, sich zu einer Partei zu bekennen. Statt eine aus den sozialen Interessen hervorgehende Organisierung zu fördern, wurde die Politik personalisiert.

Während sich islamistische Warlords im Parlament um die Talibanisierung von innen bemühen, verstärken sich seit dem vergangenen Jahr die Angriffe der Taliban von außen. Es ist mitt­lerweile nicht mehr ausgeschlossen, dass beide Strömungen sich vereinigen könnten. In der Abschlusserklärung der peace jirga, zu der sich Mitte August etwa 700 Warlords, Politiker und Clanführer versammelt hatten, wird ein Dialog mit der »Opposition« gefordert. Deutlicher wurde der pakistanische Präsident Pervez Musharraf: »Die Taliban sind ein Teil der afghanischen Gesellschaft.«

Unter den westlichen Staaten wagte sich Deutschland bei den Verhandlungen mit den Taliban am weitesten vor. Die US-Regierung, die bereits 2003 Kontakte zu den Taliban aufgenommen hatte, besteht offenbar auf Garantien für eine Trennung von al-Qaida. In Deutschland gibt es andere Auffassungen darüber, wer als »moderater Taliban« gelten kann. Im Jahr 2005 reisten zwei Taliban, die auf US-Fahndungslisten standen, zu Geheimverhandlungen nach Deutschland. Die Gespräche blieben ergebnislos, offenbar hatten die Angereisten kein klares Mandat. Doch den Recherchen von Asia Times online zufolge kommen die Verhandlungen derzeit erneut in Gang.

Von Deutschland wurde immer der Dialog mit Islamisten propagiert. Doch auch die US-Regierung ist mit fundamentalistischen Regimes wie dem Saudi-Arabiens verbündet, und die Demokratisierungsrhetorik ist weitgehend verstummt. Meist haben die westlichen Staaten sich mit antiliberalen kapitalistischen Regimes arrangiert, nicht selten wurden sie gefördert. Wenn die Taliban die nötige Kompromissbereitschaft zeigen, könnte es bereits in den kommenden Monaten zu einem Deal kommen, der sie an der Macht in Afghanistan beteiligt.