Home Grown Rätsel

Nachdem die Anschlagspläne einer islamistischen Terrorgruppe vereitelt wurden, warnen die meisten Parteien vor einer Einführung der Online-Durchsuchungen. Einer Analyse des islamistischen Terrorismus widmen sie sich weniger. Von Cord Riechelmann

Den Fahndungerfolg der Polizei gegen drei mutmaßliche Terroristen im sauerländischen Medebach-Oberschledorn nahmen in der vergangenen Woche nahezu alle Parteien zum Anlass, der Polizei ihre Glückwünsche auszusprechen. Gleichzeitig sprachen die meisten jedoch die Warnung aus, den Vorfall nicht zum Vorwand zu nehmen, nun etwa das Gesetz zur Online-Durchsuchung folgen zu lassen. Die SPD, die Grünen, die FDP und die Partei »Die Linke« stellten fest, die Fahndungserfolge seien ein Beleg dafür, dass die bestehenden rechtlichen Mittel ausgereicht hätten, um die Täter dingfest zu machen.

Das aber stimmt so nur bedingt. Die FAZ wies darauf hin, dass es den deutschen Strafverfolgungsbehörden »nicht zuletzt wegen der technischen Online-Möglichkeiten anderer Dienste« gelungen sei, »den mutmaßlichen Terroristen auf der Spur zu bleiben«. Gemeint war die Zusam­menarbeit mit US-amerikanischen Behörden. Die Ergreifung der mutmaßlichen Terroristen war auch deshalb möglich geworden, weil die Behörden deren E-Mail-Verkehr überwacht hatten.

Nach Einschätzung der Ermittler wollte die Gruppe mehrere Autobomben herstellen. Hierfür hatten die Verhafteten Fritz G., Daniel S. und Adem Y. 730 Kilogramm einer 35prozentigen Wasserstoffperoxidlösung beschafft. Damit hätten sie den Behörden zufolge eine Sprengkraft erzielen können, die weit größer gewesen wäre als die der Bom­ben von London im Jahr 2005, bei deren Zündung in Bussen und U-Bahnen Islamisten 56 Menschen getötet und über 700 verletzt haben. Die in der vorigen Woche aufgedeckte deutsche Gruppe habe mit einer usbekischen Terrorgruppe, der Islamic Jihad Union, in Kontakt gestanden, die wiederum Verbindungen zu al-­Qaida pflege.

Die möglichen Ziele für einen Anschlag erfuhren die Ermittler Spiegel online zufolge, weil sie ein Auto der Verschwörer mit Wanzen versehen hatten. Auf einer Autofahrt zu einem Chemika­lienhändler in Hannover diskutierten Fritz G. und Adem Y. demnach darüber, welche Ziele man ins Auge fassen könne. Genannt wurden neben Flughäfen auch Nachtclubs oder »eine Disco mit ame­rikanischen Schlampen«.

Aber um all das ging es in den Stellungnahmen der Parteien weniger. Ziel war nicht die sorgfältige Analyse dessen, was geschehen war und wel­che Schlüsse aus dem verhinderten Anschlag zu ziehen seien, sondern eher die Verfolgung eigener Interessen. Und das größte Interesse einer Mehrheit der Parteien scheint derzeit die Verhinderung der Online-Durchsuchungen zu sein. Dass die Äußerungen in ihrer Wirrheit dabei auf erschreckende Weise den schrillen Vorschlägen Schäubles aus den vergangenen Wochen nachzueifern scheinen, könnte einem gleichgültig sein, wenn nicht die Qualität des Terrorismus, der aus den Planungen der Islamisten spricht, darauf hindeuten würde, dass es sich hier weder um Einzeltäter noch um ein irgendwann wegen Substanzlosigkeit vernachlässigbares Netz von zwar gefährlichen, aber doch lokal agierenden Spinnern handeln würde.

Alles, was bisher zu dem Fall bekannt geworden ist – von den Ausbildungslagern in Pakistan, in denen sich die festgenommenen Verschwörer hatten ausbilden lassen, bis hin zu den Verbindungen zum Netz von al-Qaida –, deutet daraufhin, dass man es mit gut organisierten Gruppen zu tun hat, denen der Atem in absehbarer Zeit nicht ausgehen dürfte. Und das bedeutet für die Auseinandersetzung mit ihnen, dass geeignete Gegenmaßnahmen eben nicht aus tagespolitischen Parolen abgeleitet werden können, sondern aus Analysen hervorgehen müssen, die zumindest versuchen zu verstehen, mit wem und was man es zu tun hat.

Die Bundestagsabgeordnete der Partei »Die Linke«, Ulla Jelpke, demonstrierte, wie es auf gar keinen Fall geht. Nachdem sie in einer Presseerklärung der Bundesregierung zunächst die Duldung des US-amerikanischen »Staatsterrorismus« vergeworfen hatte, kam sie auf Afghanistan zu sprechen: »Mit diesem von der Mehrheit der Bevölkerung abgelehnten Bundeswehreinsatz in Afghanistan wird Deutschland erst zum potenziellen Ziel von Anschlägen. Die wirklichen Gefährder sitzen nicht in Neu-Ulmer Moscheen, sondern im Bundeskabinett.«

Diese Äußerung entspricht dem Niveau nach etwa Ussama bin Ladens weltgeschichtlichen Betrachtungen. Mit dem einen Unterschied, dass für bin Laden nicht nur der US-amerikanische Staat terroristisch ist, sondern jeder Amerikaner schul­dig gesprochen wird, ganz gleich, wie er sich persönlich zur gegenwärtigen Politik der USA stellt. Bin Laden sagt allgemein über den Amerikaner: »Er ist unser Feind, ob er direkt gegen uns kämpft oder bloß seine Steuern zahlt.«

Im Unterschied zu Jelpkes Versuch, den deutschen Steuerzahler vor den Bomben der al-Qaida durch offenen Antiamerikanismus zu retten, erklärt bin Laden sehr klar einen Grundsatz seines Terrorismus.

Terroristen unterscheiden sich von Freiheitskämpfern oder Guerilleros für gewöhnlich dadurch, dass sie planvoll Zivilisten angreifen. Das heißt natürlich nicht, dass nicht auch Guerilleros zuweilen Zivilisten töten. Die Hauptziele der Kämp­fer unterscheiden sich aber fundamental. Guerilleros beschränken in der Regel ihre Angriffe auf staatliche Institutionen und ihre Repräsen­tanten, während Terrorgruppen keine Unter­schie­de zwischen diesen und der Zivilbevölkerung machen. Deshalb lassen sich Terroristen auch nicht mehr mit auf das Staats- oder Völkerrecht bezogenen Begriffen wie Krieg oder Bürgerkrieg greifen und beschreiben. Das ist wesentlich mehr als eine Begriffsunsicherheit, es ist die Voraussetzung für das Verständnis ihrer Aktionen und damit auch der Bedingungen der Möglichkeit ihrer Bekämpfung.

Die in Harvard lehrende Terrorismusforscherin Louise Richardson überschreibt deshalb eines der Kapitel ihrer gerade erschienenen Studie »Was Terroristen wollen« mit dem Satz: »Warum der Krieg gegen den Terror niemals gewonnen werden kann«. Sie kritisiert George W. Bushs »Krieg gegen den Terror« und stellt die Untauglichkeit von Mitteln im Kampf gegen Terroristen heraus, die aus der klassischen Kriegslogistik stammen.

Weltweit agierende Terrornetzwerke wie al-Qaida halten sich nicht mit staats- oder völkerrechtlich verankerten Kategorien auf. Ihre Feinde bestimmen sie so willkürlich, wie sie sich ihre Opfer suchen. Den al-Qaida-Kämpfern geht es nicht, wie etwa noch den italienischen Roten Brigaden oder der RAF, um den Angriff auf Repräsentanten des gehassten Systems oder die Freipressung inhaftierter Genossen. Für eine rationale Auseinandersetzung mit dem Terror hier­zulande heißt das zuerst, die islamistische Logik zu begreifen, um ihre Anziehungskraft zu verstehen. »Terrorismus ist attraktiv, weil er einfach ist und die Schwachen stärker erscheinen lässt, aber wenn wir die entscheidenden Schwach­punkte der Terroristen erkennen, die Widerstands­­fähigkeit der Gesellschaft stärken und unsere Reaktionen den tatsächlichen Risiken anpassen, dann machen wir den Terroristen ihre Aufgabe schwerer«, schreibt Richardson.

Der Schwachpunkt der islamistischen Krieger hierzulande besteht unter anderem in ihren einfachen Welterklärungen, die an den tatsächlichen Verhältnissen scheitern, weil man mit ihnen nicht mal die Innenstadt von Dortmund verkehrstauglich machen könnte. Das macht ihre Anhänger extrem abhängig von der bestärkenden Zuwendung ihrer geistigen Führer, wie sie in der Neu-Ulmer Moschee residieren. Daraus folgt aber auch, den Neu-Ulmer Think Tank ernst zu nehmen. Erfolgversprechend ist im Kampf gegen den Terror nur der Versuch, den geistigen Führern ihre Basis zu nehmen. Das geht aber auf Dauer nur mit einer Analyse, die tiefer geht als Jelpkes Antiame­rikanismus.