Lebst du noch oder träumst du schon?

Christian Petzolds neuer Film »Yella« zeigt: In der kapitalistischen Nahtoderfahrung kann nur von der eigenen Verwertbarkeit halluziniert werden. von manfred hermes

Derzeit wird im neueren deutschen Film die sichtbare Wirklichkeit ein wenig zu intensiv herbeigesehnt. Es geht das Gespenst einer Filmethik um, die Anschluss an das Pa­radies einer Filmkultur sucht, das auch in Deutschland spätestens seit Anfang der achtziger Jahre verloren ist. Das wäre nicht weiter schlimm. Aber es geschieht mit einer großen Gespreiztheit. »Kino muss gefährlich sein«, heißt es, wenn doch nur Historismus oder Piktorialismus gemeint sind. Jedenfalls wird dem filmischen Bild aus Deutschland nun wieder all­seits zugetraut, eine Pädagogik des Sehens zu fördern. Der Ernst wird also ernst genommen. Dabei gilt Christian Petzold, neben einigen ande­ren, als Vorreiter dieses Kinos des »guten Deutschen«.

In seinem neuen Film erhält die junge Frau Yella ein Angebot für einen Arbeitsplatz und muss ihren Vater und ihren Wohnort in den neuen Bundesländern verlassen. Auf dem Weg zum Bahnhof fängt der ehemalige Ehemann sie ab und will, dass sie da bleibt. Sein Fahrstil macht ihr Angst, und tatsächlich haben sie auf der Brücke, über dem Fluss, einen Unfall. Dann bringt das Abenteuer Yella in die Großstadt, aber auch dort setzen ihr die Männer zu. Als erstes zerrinnt ihre Aussicht auf Arbeit, dafür wird sie vom bankrotten Firmenchef angepumpt. Im Hotel läuft ihr ein weiterer Mann über den Weg, der sie für seine Geschäfte einsetzen kann und ihr diverse Hoffnungen macht.

Petzold hat den Ehrgeiz, Aussagen über ein zeitgenössisches, »modernes« Deutschland zu treffen, und zu seinen Zeichen werden vor allem pragmatische Orte wie Messegelände, saubere Interieurs von Büros, Autos und Hotels. In diskreten Andeutungen wird aber auch auf ein europäisches Kinoerbe der Nachkriegszeit verwiesen, etwa auf Michelangelo Antonioni. Aller­dings hat dieses Filmemachen einen vor allem unübersehbar französischen Charakter.

Der Reduktionismus erscheint aber oft nicht in der Idee, sondern im Aussehen. Das führt zu Konfusionen in der Anlage der Figuren. Der vom nachindustriellen Wirtschaften hervorgebrachten Umwelt wird einerseits Sterilität und Trostlosigkeit unterstellt, andererseits trägt sie nicht unerheblich zum Aussehen des Films und seinem Ideal der Sauberkeit bei. Die Welt der so genannten Heuschrecken wird vermeintlich kri­tisch betrachtet, dabei gleichzeitig aber kaum der Spaß verborgen, selbst über ein scheinbar geheimes Wissen zu verfügen und am Drehen des »großen Rades« mitzuwirken. Als besonders modernistisch gilt die Verminderung von Ausdruck, die nicht nur die Emotionalität des amerikanischen Typs, sondern jede Form von Profanisierung abwenden will. In dieser Welt wären Zooms, Unflätigkeiten, Albernheiten und selbst die Spezifik eines bestimmten Milieus schlicht unangebracht. Die Essenz entsteht aus der Schweigsamkeit der Hauptfiguren und einer glasklaren Optik.

Robert Bressons Filme sind bekannte Beispie­le für einen extrem reduktionistischen Bild- und Figurenbau. Sie sind zwar schon etwas älter, aber wie in ähnlich gelagerten Fällen hat er filmische Modelle gerade aus der engen Verbindung mit außerfilmischen entwickelt. Wie ein gefilmter Körper zu abstrahieren sei, der ja unweigerlich aus einem zu hohen Maß an Realismus besteht, war eine wichtige Frage. Den Körper in Reden, Blicke, Gesten, Teile und ihre Bewegung zu zerlegen, war Bressons Lösung. So räumte er auch dem Zuschauer gewisse Freiheiten ein.

Zwar herrscht auch in »Yella« ein asketischer Sinn, allerdings löst die teutonische Sparsamkeit völlig gegenteilige Effekte aus. Die Melancholie wird als Grundgefühl bestimmt und der Figur als Eigenschaft unterlegt. Die Stimmung markiert einen Riss oder einen Mangel an gesellschaftlicher Teilhabe. Man könnte darin die politisch relevante Rückseite dieser Formation sehen: In der filmischen Präsentation wird die Melancholie als alternativlos verfestigt und das Innenleben als Rückzugsgebiet besetzt. Daher kommt diese in deutschen Filmen ohnehin beliebte, verdruckste Aufsässigkeit, die als Haltung zur Identifikation freigegeben wird. Deshalb sagen die Figuren immer so viel weniger, als sie wissen. Und wenn sie den Mund aufmachen, fallen Bemerkungen von niederschmetternder Prägnanz, die keine Antwort brauchen, wie etwa: »Du gehst so erfolgreich. Man geht anders, wenn man erfolgreich ist.«

Yella lernt die Welt der rabiaten Firmenübernahmen kennen. Es gefällt ihr, schnell und fast intuitiv ihre Regeln erfasst zu haben, und sie zeigt sogar charakterlich fragwürdige Seiten. Nun aber drängen sich zunehmend dramaturgische Kleinelemente, effektvoll inszenierte »Plötzlichkeiten«, ins Spiel. In »Yella« kommen sie als Schreckmomente vor, wenn etwa die Frau glaubt, von ihrem Ex-Mann verfolgt zu werden. Der Zuschauer wird dabei übertölpelt.

Es verschärft sich allerdings auch das ohnehin schon eindringliche Geschlechterszenario. Die an Bambi erinnernde, etwas benommen wir­kende und ständig Röcke tragende Frau wird von einem Zufall mit aller Gewalt zum Subjekt im allerkrudesten Sinn gemacht. Es wird im Ver­lauf zudem fast unmöglich, diese Ereignisse nicht als Yellas hysterische Symptome zu deuten. Sie könnte sich auch lediglich einbilden, verfolgt zu werden.

Am Ende wendet sich das Ganze dann aber auch noch völlig. Da sehen wir die durchnässte Yella unter der Brücke, die man vom Anfang des Films kennt: Der Autounfall war fatal, Yella liegt im Sterben. Die erzählte Zeit hat also unmerklich Sprünge gemacht, die schöne neue Arbeitswelt hat sich nur im Gehirn der Figur entfaltet, als verschachtelte Halluzination. Der Film ist dann zwar zu Ende. Dieses Spiel mit den Zeitebenen und Perspektiven wirft im Nach­hinein aber einige Probleme auf, und die Entwertung des bislang Gesehenen ist nicht das gravierendste. Verschärft wird die bereits erwähnte Geschlechterproblematik, denn nun haben sich der Frau ja nicht nur alle Männer in den Weg gestellt, sondern die Erzählung selbst hat sich gegen sie gewendet. Aus vermeintlich kinogemäßen Gründen wie der Irritation von Erwartungen und einem interessanten Ende werden der Raum, die Zeit und das Leben der weiblichen Hauptfigur beschnitten. Die Zwänge einer cineastisch geprägten Intertextualität verhalfen der Darstellung der letzten Dinge zu einer eigenartigen Auslegung.

»Yella« ist also eine verfilmte »Nahtoderfahrung«, in der der »Ernst des Lebens« noch den allerletzten Moment zu einem Traum macht, der nur von der eigenen Verwertbarkeit handeln kann. Wenn etwas anderes als das nicht einmal mehr als Fiktion denkbar ist, muss der Kapitalismus wirklich beinahe unüberwindbar sein. So gesehen hat man es in Petzolds Film tatsächlich mit einer Kunst der Widerspiegelung zu tun.

»Yella« (Deutschland 2007). Regie: Christian Petzold. Start: 13. September