Man denkt deutsch

Die Welt deutscher Islam-Konvertiten und der Drang zum Unbedingten. von udo wolter

Seit der Verhaftung dreier Jihadisten im Sauerland ist die wachsende Zahl zum Islam konvertierter Deutscher das Thema in allen Medien (gemeint sind dabei stillschweigend stets »autochthone« Deutsche). Als ob nicht bereits seit Jahren Konver­titen wie Ayyub Axel Köhler, Vorsitzen­der des Zen­tralrates der Muslime, in Führungspositionen islamischer Verbände in der öffentlichen Diskus­sion um den Islam eine wichtige Rolle spielen würden, ebenso wie Konvertitinnen beim Kampf ums Kopftuch. Nun durften uns allerlei religiöse Dampfplauderer aufs neue in den Feuilletons mit ihren Erweckungserlebnissen belästigen.

Angesichts der offenbar gewordenen Möglichkeit, dass die »home-grown«-Jihadisten in Deutsch­land auch auf Namen wie Fritz oder Daniel getauft sein können, wird nun über das Terrorismuspoten­zial unter Konvertiten spekuliert. Und wie bei der Diskussion um Islam und Islamismus generell wird auch hier schnell davor gewarnt, Verbin­dungs­linien zwischen den ideellen Motiven von Konvertiten und terroristischen Neigungen zu ziehen. Denn das käme ja einem Generalverdacht gleich. »Die Vorstellung, dass insbesondere Konvertiten anfällig für extremistische Positionen sind, weise ich entschieden zurück«, erklärte denn auch der Konvertit Köhler.

Als Henryk M. Broder dieser Tage auf Spiegel Online der ideologischen Motivation islamischer Konvertiten etwas auf den Zahn fühlte, schob die Redaktion gleich einen Artikel nach, der solche Kritik gründlich konterkarierte. Die Anthropologin Esra Özyrek erklärte: »Vielmehr sind ethnische Deutsche, die zum Islam konvertieren, für Deutschland ein Gewinn, da sie als Vermittler zwischen muslimischen Immigranten und dem nicht-muslimischen Deutschland fungieren und damit zur Schaffung einer gut-integrierten deutschen Gesellschaft beitragen.« Etwa so wie die Altvordere der deutschen Konvertitenszene, Fatima Grimm? Sie leistete ihren Integrationsbeitrag schon 1975 in einem Text über »die Erziehung unserer Kinder«. Dort wird die »Bereitstellung eines islamischen Milieus« als wichtige Voraussetzung zum Erreichen des »Erziehungsziels Jihad« erklärt. Man solle den Kleinen »immer vor Augen führen, was für eine große Auszeichnung es für jeden Muslim ist, für die Sache des Islam mit der Waffe in der Hand kämpfen zu können«. Das Pamphlet wird immer noch auf islamischen Buchmessen vertrieben, zuletzt im März dieses Jahres in der Berliner Mevlana-Moschee. Herausgeber ist der Garchinger Dar-us-Salam-Verlag des Konvertiten Tilmann Schaible.

Unterbelichtet blieben auch weitere ideologische Bezüge der Konvertiten, die nun durch die Medien gereicht werden. Etwa des Schriftstellers Hadayatullah Hübsch, langjähriger Pressesprecher der Ahmadiyya-Gemeinde in Deutschland und Imam der Nuur-Moschee zu Frankfurt am Main. Er ist Verfasser von Werken wie »Alles war Geheimnis. Vom LSD zum Islam«. Der Alt-Konvertit durfte in der Berliner Zeitung über seine »Abkehr von der Lebens­einstellung ›High sein, frei sein, ein bisschen Terror muss dabei sein‹« und die Bekehrung zum Islam räsonieren und Abwiegelndes zur Frage nach der »Nähe von Glaubenswechsel und Fanatismus« beitragen. Interviews und Beiträge von ihm finden sich auch in extrem rechten Blättern wie Junge Freiheit, Deutsche Stimme und Hier & Jetzt, einem Online-Magazin der Jungen Nationaldemo­kraten Sachsen. Denen erzählte er, was nicht nur in rechten Kreisen gern gehört wird: dass die USA und der von ihnen beherrschte Westen mit ihrem »Kulturimperialismus« und »Steinzeit-Kapitalismus (…) Ellenbogen-Mentalität, Eigennutz, Sucht­verhalten und sexuelle Obsessionen« verbreiteten und das »Streben nach Reinheit des Herzens und des Gemüts« untergraben würden. Deshalb seien in islamischen Ländern die USA verhasst, während »Deutschland aber geliebt (wird), weil man die Werte schätzt, die sein Volk auszeichnen«. Mit »geistigen Visionen vom Leben« will Hübsch im Islam »Wesentlicheres« als den US-Kulturimperialismus gefunden haben.

Der jüngst in der FAZ zur »schillernden Persönlichkeit« erklärte Herausgeber der Islamischen Zeitung (IZ) und Vorstandsmitglied des Islam­rats, Andreas Abu Bakr Rieger, machte früher aus seinem Herzen keine Mördergrube. Auf youtube.com findet sich ein Video, in welchem er vermutlich 1993 vor Tausenden Anhängern der Kalifatstaats­bewegung des Metin Kaplan in schönstem badischen Dialekt verkündet, »auch wir Deutschen (haben) in der Geschichte schon oft für eine gute Sache gekämpft«, um dann hinzuzufügen, »obwohl ich zugeben muss, dass meine Großväter bei unserem gemeinsamen Hauptfeind nicht ganz gründlich waren«. Heute gibt sich der Rechtsanwalt als Vertreter eines gemäßigten, zivilgesellschaftlich und vor allem globalisierungskritisch orientierten Islam. Dass der Kreis um Rieger und seine IZ an das Gedankengut der so genannten Konservativen Revolution und Vordenker wie Martin Heidegger, Carl Schmitt und Ernst Jünger anknüpft, wird auch in neueren IZ-Artikeln immer wieder deutlich (Jungle World 04/2002 und 52/01/2001). Neben einem auf das »globale Finanz­system« fixierten, fetischistischen Antikapitalismus steht bei dem in der IZ propagierten Islam zivilisationskritisches Geraune vom Unvermittelten, »Echten« und »Ganzheitlichen« im Vordergrund.

Das zum Islam konvertierte ehe­ma­lige DKP-Vorstandsmitglied Peter Schütt durfte auf Welt-Online sein auf der Suche nach Erfüllung als »wahrer Muslim« pochendes Herz ausschütten. »Für mich war der Islam damals zuallererst eine Befreiungstheologie für die Völker der Dritten Welt«, schreibt er über seine studentenbeweg­ten Tage. Wie romantischer Antikapitalismus, Antiimperialismus und der mit beidem einhergehende Antisemitismus sich zu einem terroristischen Konvertitentum verdichten können, zeigte sich bereits Mitte der neunziger Jahre bei der damals als skurrile Randerscheinung der Terror­szene gehandelten Zwei-Mann-Combo Antiimperialistische Zelle (AIZ). »Wir haben den Islam als revolutionäre Waffe in voller Schärfe und Schönheit kennen lernen dürfen«, schrieben die beiden und traten im Gefängnis zum Islam über. Dort fand einer der beiden, Michael Steinau, in dem ebenfalls wegen eines Terroranschlags einsitzenden Neonazi Kay Diesner einen neuen Freund.

Solche ideologischen Schnittmengen mögen den Islamismus für Linke wie Rechte politisch attraktiv machen. Dahinter liegen Denkmuster, die zum »echten, unverdünnten Stoff« (Jörg Lau in der Zeit) gehören, nach dem es auch die rein spirituellen Sinnsucher unter den Konvertiten dürstet. Die manichäische Aufteilung der Welt in Gläubige und Ungläubige, das Gefühl von Zugehörigkeit und Aufgehobensein in der Umma als Gemeinschaft der Guten mit klaren Regeln sind autoritäre Versprechen, die nicht zuletzt auf identitäre Bedürfnisse sinnkrisengebeutelter Mittelklassekids treffen. Dem anti-aufklärerischen Affekt gegen das Vermittelte und Abstrakte entspringt auch jener Hang zum Unbedingten und »Wesentlichen«, der schon immer zum Kernbestand deutscher Ideologie gehörte. Er war auch der RAF nicht fremd. » … kämpfend gegen die Schweine als Mensch für die Befreiung des Menschen: Revolutionär, den Tod verachtend. Das ist für mich: dem Volke dienen«, schrieb Holger Meins, bevor er sich zu Tode hungerte. Ersetze Mensch durch »Muslim«, »Volk« durch »Um­ma« und »Schweine« durch »Ungläubige«, und heraus kommt, was Fritz G. und Daniel S. ebenso wie vor ihnen den Konvertiten Steven Smyrek, der sich 1997 im Auftrag der Hizbollah in Israel in die Luft sprengen wollte, am Jihad lockte.