Effizienz macht hässlich

Der Ausweg aus dem Monopol der Zweierbeziehung kann weder in einer Rationa­lisierung von Beziehungen liegen noch in der Verklärung einer Romantik des Leidens.

Liebe, Freundschaft, Beziehungen und Sex sind aufregende Themen, und doch kommt bei der Lek­türe von Oliver Schotts Text »Dem Leben Schö­nes schenken« (Jungle World 35/07) Langeweile auf. Große Freude dann, dass Sebastian Winter die wesentlichsten Absurditäten jenes Textes in eindrucksvoller Dichte zusammengestellt hat (36/07). Doch, oh Schreck, ein Adornit: am Ende der Verweis aufs Ganze, das Übel und seine Wurzel, die Basis und den Überbau, die Warenver­gesellschaftung und die Liebe. Nicht, dass das als historische These jeder Plausibilität entbehrte, doch als Schlusswort? Leiden als Programm und der Rationalisierung die Irrationalität unglücklicher Romantik entgegenzusetzen, ist nicht der Weg, den wir anstreben. Davor, sich vom Unglück dumm machen zu lassen, hatte auch der große Frankfurter gewarnt. Wir wollen also trotz­dem unser Glück versuchen, ohne System und ohne Garantie und ohne unser Gefühlsleben zu einem weiteren Bereich zu machen, den es ef­fi­zient zu managen gilt. Romantisch? Na klar!

Als sei er der Erste, der Zweierbeziehungen kritisiert, spart Schott Debatten über Polyamorie und Polysex aus, die in feministischen, queeren und schwullesbischen Zusammenhängen längst geführt werden. Für ihn stellt sich die Situation ganz einfach dar: Gefühle müssen nach funktional und dysfunktional unterschieden und dann letztgenannte wie faule Zähne entfernt wer­den.

Nichts liegt uns ferner, als Liebe zum romantischen ­Ideal zu verklären. Dennoch können wir zum Beispiel in der »glühenden Verliebtheit«, die Schott so abschätzig einzig in ihrer Funktion bei der Initiation einer romantischen Zweierbeziehung wahrnimmt, neben der unglaublichen Lust, die sie uns immer wieder bereitet, auch das Moment erkennen, sich hemmungslos op­timistisch auf einen Menschen einzulassen. Die ganze Verhaltenheit der distanzierten, durch­rationalisierten Begegnung, die Schott als Ideal vorschwebt, ist doch eigentlich bloß die traurige Abgeklärtheit, die sich bei den meisten mit den wiederholten Enttäuschungen einstellt, die sie in Beziehungen erfahren oder erfahren haben. Statt Distanzierung, Rationalisierung und Beherr­schung noch in den engsten Zweierbeziehungen schlagen wir eine gnadenlose Romantisierung von Freundschaften vor. Dazu gehört dann auch die gemeinsame Auseinandersetzung mit all den Gefühlen, auch den unangenehmen und unsinnigen, die Schott so gerne wegrationalisieren möchte.

Aus Schotts Text spricht die Melancholie verdrängter Wünsche, die nun nicht einmal mehr zugelassen und daher auch nicht betrauert werden können. Da trifft Winters Hinweis auf die Sehnsucht, die das irrationale Kleben am romantischen Liebesideal noch motiviert, nachdem dieses längst als Code und Klischee bewusst geworden ist, genau den richtigen Punkt. Dieses offenkundig irre Bedürfnis nach Romantik, das nicht totzukriegen ist, nun wiederum abzu­schnei­den, wiederholt tatsächlich nur die Gewalt einer Gesellschaft, die so erbarmungslose Einsamkeit und Sinnlosigkeit produziert, dass Menschen ihre Rettung in der Symbiose mit einer/m konkreten Anderen fantasieren. Die Vorstellung Schotts, schon das Aufweisen von Widersprüchen sei ein Argument, wird dieser Konstellation überhaupt nicht gerecht. Beziehungen sind widersprüchlich, ambivalent und, wenn sie richtig »ziehen«, auch im zugrunde liegenden Begehren zutiefst irrational. Völlig abstrakt wird hier im gesellschaftsfreien Raum argumentiert, gerade so, als seien Beziehungsweisen zwischen Menschen keine historisch gewachsenen Formen, die auch unter konkreten historischen Verhältnissen auf ihre Potenziale und Beschränkungen hin zu befragen sind.

Schott legt den Fokus auf Sex und reproduziert damit ein sehr zeitgenössisches Phänomen. Bei ihm klingt es so, als gebe es nur zwei Probleme in Beziehungen: Langeweile durch schlechten Sex und Eifersucht durch Fremdsex. Doch ebenso wenig, wie sich Eifersucht nur auf Sex mit anderen Personen richtet, sondern sehr wohl auch auf Hobbys und Freundschaften, geraten Beziehungen nur in die Krise, wenn die Leidenschaft beim Sex flöten geht. Die Frage, ob jemand noch aufregend für mich ist, ich Lust auf sie oder ihn habe, stellt sich vielmehr in allen alltäglichen Situationen. Das Ende einer Beziehung ist aber oft gerade deshalb so grausam, weil Lust, Liebe, Begehren noch da, Streit und Enttäuschungen aber unerträglich geworden sind.

Freundschaften sind da gar nicht so anders: Starke Eifersuchtsgefühle, die Angst, der/m Anderen langweilig zu werden, und tief sitzende Enttäuschungen gibt es hier auch. Anstatt wie Schott aufzuzeigen, wie ungewöhnlich und ir­rational die Probleme in romantischen Zweier­beziehungen sind, und sie gegen idealisierte Freund­schaftsbeziehungen auszuspielen, finden wir es genau andersherum hilfreich, darauf hinzuweisen, wie ähnlich sich eigentlich die Problemkonstellationen in romantischen Zweierbeziehungen und in Freundschaften sind und wie unterschiedlich mit ihnen dabei je nach Status der Beziehung umgegangen wird.

»Rationale Beziehungsführung«, wie Schott sie entwirft, heißt anscheinend, immer genau zu wissen, wer die Hauptbeziehung und wer die Affäre ist. Damit verbleibt er in dem Modell einer Zweisamkeit, die andere Personen lediglich zur Befriedigung unbefriedigter (sexueller!) Bedürfnisse einbezieht. Unter verantwortungsvollen Beziehungen mit mehr als einem Menschen stellen wir uns etwas anderes vor, als in der festen Beziehung mit einer Affäre klarzukommen.

Allerdings ist unseres Erachtens der »Seitensprung« in einer monogamen Beziehung noch überhaupt kein Nachweis für ein originäres Begehren nach der Fremdgehpartnerin. Oftmals scheint sich das »Fremdgehen« viel mehr an die Beziehungspartnerin zu richten: als gewollte Verletzung, als Ausgleich eines Gefühls der Machtlosigkeit und/oder als Mittel der Kontrolle, weil eine/r dann ein Geheimnis hat, das Überlegenheitsgefühle verspricht. Die Strategie der bloßen Vervielfachung von sexuellen Möglichkeiten erscheint uns zudem unklug, wenn es um die Auflösung von festgeschriebenen Beziehungsformen gehen soll. Eher müsste es darum gehen, den Sexus aufzulösen, indem Intimität ohne »Sexu­ali­tät« verstärkt wird. Dann verlöre der Sex viel eher die zentrale Rolle, die er in Schotts Text so beispielhaft einnimmt.

In keiner Beziehung stehen sich zwei Gleiche ge­genüber, sondern Menschen, die von Macht- und Hierarchieverhältnissen überformte Situa­tionen erleben, die ungleiche Bedürfnisse und Möglichkeiten bedingen. Ziel kann keine Angleichung und Uniformierung in einer linken Szene sein, die die gesellschaftlichen Bedingungen, in denen sich ihre Mitglieder bewegen, völlig ignoriert und diese gerade dadurch reproduziert. Viel­mehr ginge es darum, auf Unterschiede wohlwollend und offensiv einzugehen. Die Delegitimierung, wie Schott sie mit seinem abstrakten Diskurs über Monogamie und Eifersucht betreibt, wiederholt hingegen genau die Gewalt, die in linken Kreisen ausgeübt wird, wenn Bedürfnisse noch nicht einmal anerkannt, sondern wegdiskutiert werden.

Wenn wir über Beziehungsformen diskutieren, finden wir es sinnvoll, zunächst nachzufragen, was eigentlich die Bedürfnisse sind, die uns immer wieder in Zweierbeziehungen treiben. Unserer Einschätzung nach geht es hierbei um Verbindlichkeit und Verantwortung. Verantwortung füreinander zu übernehmen und verbindlich füreinander da zu sein, sollte aber unseres Erachtens Freundschaften ebenso zugemutet werden. Dadurch werden nicht nur Liebesbeziehungen entlastet und Beziehungspartner/innen unabhängiger voneinander, sondern auch Freund­schaften bereichert.

Der starke Wunsch, eine existierende Zweierbeziehung auf Stillstand zu stellen, sie zu kontrollieren und sogar gegen andere Bedürfnisse zu erhalten, ist, so vermuten wir, nicht nur mit der emotionalen Abhängigkeit verbunden, sondern auch Resultat einer strukturell schwierigen Situation für diejenigen, die keine Anbindung an eine primäre Beziehung haben. Die Angst davor, dass die Beziehung sich löst, hängt nach wie vor mit finanziellen Ängsten, Angst vor Einsamkeit und Krankheit und auch vor der Stigmatisierung als liebes- oder beziehungsunfähig zusammen.

In der linken Szene, in der Politik und Freundschaft so stark ineinander greifen, gilt es daher vor allem, das Thema, wie politische und »persön­liche« Auseinandersetzung miteinander im Verhältnis stehen, wieder aufzugreifen. Dafür haben wir kein Patentrezept, aber genügend Mobbing und Unglück erlebt, um dieses Thema auf der Tagesordnung der radikalen Linken ganz oben anzusiedeln.

Von den Autorinnen erschien gerade der Aufsatz »Glück im Unglück. Un/Möglichkeiten der Romantischen Zweierbeziehung«. In: A.G. Gender-Killer (Hg.): »Das gute Leben. Linke Perspektiven auf einen besseren Alltag«. Unrast, Münster 2007, 208 S., 18 Euro