Atta und der fliegende Teppich

Eine Diskussionsreihe auf dem internationalen Literaturfestival in Berlin stellte die Frage: Warum hat der Westen Angst vor dem Islam? von markus ströhlein

Wer falsch oder blöd fragt, dem wird meist falsch, blöd oder gar nicht geantwortet. Das kommt vor. Eine unpassende Frage zu stellen, ein solches Missgeschick kann jedem unterlaufen. Wer aber falsch fragt und die falsche Antwort im Anschluss als wahre verkauft, ist entweder nicht bei Trost oder ein Lügner. Er könnte aber auch am Diskussionsprogramm des internationalen Literaturfestivals in Berlin teilnehmen.

Seit dem Jahr 2002 verfügt das Festival über die Veranstaltungsreihe »Reflections«. Sie wurde als Reaktion auf die Anschläge des 11. September 2001 ins Leben gerufen. Jährlich debattieren bekannte Gäste über Fragen des Zeitgeschehens. Zu den vier Podiumsdiskussionen zum Thema »Islam« waren in diesem Jahr unter anderem der schweizerische Islamwissenschaftler Tariq Ramadan, der niederländische Autor Ian Buruma und die marokkanische Soziologin Fatima Mernissi geladen.

Die Gäste widmeten sich stets derselben Frage: Warum hat der Westen Angst vor dem Islam? Am Abend des 11. September eine Antwort zu finden, blieb Mernissi vorbehalten. Ihre persönlichen Ausführungen waren unter dem nebulösen Titel »Träume im Islam« angekündigt, den sie jedoch in eine griffige Behauptung überführte: Im Gegensatz zum von der Ratio beherrschten Westen ließe der Islam die Fantasie und das Träumen zu, wie schon in den »Märchen aus 1000 und einer Nacht« zu erkennen sei. Das wecke im Westen Angst, denn er erkenne im Islam seine verdrängte, abgespaltene Seite.

Dann folgte im Duktus eines Großmütterchens beim Kaffeekränzchen eine Predigt gegen den zersetzenden Einfluss des Individualismus, den Konsum und den Säkularismus. Voll des Lobes zeigte sich Mernissi aber auch: für die große Reproduktionskraft arabischer Mütter und den Gemeinschaftsgeist der Umma. Auf die Frage aus dem Publikum, ob der Attentäter Mohammed Atta also als moderner Sindbad mit einer Boeing als technisch aufgemotztem fliegenden Teppich nur seine Träume am World Trade Center ausgelebt habe, erwiderte die Soziologin nichts.

Nicht so fantasievoll, aber mit größerer rhetorischer Finesse ging Tariq Ramadan der Angst des Westens nach. Die Diagnose, die der im Jargon des Antirassismus geschulte Islamist in Nadelstreifen stellte, war angesichts seiner bisherigen Einlassungen wenig überraschend: Die Europäer fühlten sich angesichts der Massen­immigration von Moslems von einer »Kolonialisierung durch das Fremde« bedroht. Die Medien zeichneten zudem ein falsches Bild der Religion. Kam die Rede auf die Form des Islam, die Tariq Ramadan für die Moslems in den westlichen Gesellschaften propagiert, verfiel der Mann auf dem Podium in die rhetorische Figur: »Ja, aber!« Selbstverständlich müssten sich auch Moslems an die geltenden Gesetze halten. Aber man müsse das Recht nur respektieren, wenn es die Gerechtigkeit fördere. Und selbstverständlich verdamme er den Terror. Er empfehle Moslems: »Tötet nicht, um die Welt zu verändern! Geht wählen!«

Zum Abschluss der Reihe »Reflections« durfte Ian Buruma, der Autor des Buchs »Die Grenzen der Toleranz. Der Mord an Theo van Gogh«, seinen Befund vorbringen: Die Generation der 68er fechte ihren Kampf gegen die eigenen katholischen und protestantischen Elternhäuser fälschlicherweise noch einmal mit dem Islam aus. Die Debatte über den Islam würde vor allem von jüdischen Intellektuellen, die sich immer noch im Jahr 1938 wähnten, im »Schatten des Zweiten Weltkriegs« geführt. Burumas These, der Islam und die liberale Demokratie seien miteinander vereinbar, erhielt so eine neue Dimension: Wer die Frage nach dem Antisemitismus nicht mehr stellt, kann sich wohl wirklich leichter mit dem Islam arrangieren. Allerdings nur zu dem Preis, die Juden und Israel in vorauseilendem Gehorsam ans Messer zu liefern.

Gegen diese Form der Teilnahmslosigkeit hatte zur Eröffnung der Diskussionsreihe die aus dem Iran kommende Schriftstellerin, Sängerin und Filmemacherin Sasha Guppy plädiert. Sie saß mit der Rechtsanwältin Seyran Ates und Azar Nafisi, der Autorin von »Lolita lesen in Teheran«, auf dem Podium. Angesichts dieser dem Islam äußerst kritisch gesonnenen Personen kann man den Veranstaltern sicher keine Einseitigkeit vorwerfen. Der Begriff der Äquidistanz ist zutreffender. Neçla Kelek schien dies erkannt zu haben. Sie hatte ein Gespräch mit Tariq Ramadan auf dem Festival mit den Worten abgelehnt: »Man kann eben mit Muslimen und über sie nicht einfach so offen diskutieren.«