Li’nks, Inch’Allah!

Oskar Lafontaine beschwor als einer der ersten offen die angeblichen »Schnittmengen« zwischen dem Islam und linker Politik. Für viele Angehörige des traditionellen linken Spektrums verkörpert der Islam einen Bündnispartner im Kampf gegen den US-Imperialismus. Von Richard Gebhardt

Nichts weniger als das Ende der Linken konstatierte der Hamburger Literatur- und Sozialwissenschaftler Jan Philipp Reemtsma kurz vor Beginn des zweiten Golf-Kriegs im Jahr 1990 in der Zeitschrift konkret. Sein Argument lautete: Durch das Scheitern des Staatssozialismus habe die Linke ihren »weltgeschichtlichen Bezugsrahmen« verloren. Später sagte er in einem Streitgespräch: Solange es den Bezugsrahmen gegeben habe, habe man einen Konflikt, »der dann entsteht, wenn eine imperialistische Macht Krieg führt gegen eine Macht der Dritten Welt, in diesen Bezugsrahmen eingeordnet und gehofft, dass im Widerstand gegen diese imperialistische Aggression eine antiimperialistische Befreiungsbewegung herauskommt«.

Der Befund, dass die Existenz dieses Bezugsrahmens Voraussetzung für eine linke Perspektive sei, wurde weder von Reemtsma noch von den damaligen Antipoden des Streits ausgearbeitet oder widerlegt. Nicht wenige derjenigen, die sich damals noch zur Linken zählten, haben seitdem politisch vielfältigste Mittel-, Irr- und Sonderwege bestritten. Und die verbliebenen Fraktionen führen in den linken Debatten zum politischen Islam, zu Antisemitismus und Anti­amerika­nis­mus seit dem Jahr 1990 derart erbitterte Gefechte, dass es kaum möglich sein dürfte, Schnittmengen zwischen jenen auszumachen, die »links« nicht bloß für eine anachronistische Parlamentssitzordnung des 18. Jahrhunderts, sondern für ein unverzichtbares Programm halten, an dem es sich zu orientieren gilt.

Die Linke ist nicht tot – allen Abgesängen und internen Antagonismen zum Trotz. Sie agiert nur seltsam. Große Teile ihres traditionalistischen Spektrums führen die Auseinandersetzungen von heute mit den Kategorien von gestern. Nichts illustriert dies so deutlich wie die gegenwärtige Wiederentdeckung der »islamischen Befreiungstheologie« durch Steinzeitantiimperialisten und ex-linke Konvertiten (siehe Seite 4), für die der Kommunismus keine zu erstrebende freie Assoziation freier Individuen, sondern primär eine Gemeinschaftsideologie war und die in ihrer Sehnsucht nach weltanschaulicher Sicherheit den Verbindungen zwischen Marx, Mohammed und Mekka nachspüren. Nicht wenigen linken Außenpolitikern erschien im vergangenen Krieg zwischen Israel und der Hizbollah die »Partei Gottes« als adäquater Verhandlungspartner und politischer Bezugspunkt. Viele der traditionalistischen Linken operieren unverändert mit einem hoffnungslos antiquierten Koordinatensystem, in dessen Zentrum die Reste des seit 1967 zerfallenden »arabischen Sozialismus« stehen. Was vom »alten« Antiimperialismus bleibt, sind die bereits im »Befreiungsnationalismus« angelegten reaktionären Tendenzen und die alten Feindbilder: der US-Imperialismus und Israel.

Die Pamphlete der linken Apologeten des Islamismus, in dessen Namen täglich auch Muslime ermordet werden, sind eine Bankrotterklärung für die Partei der Aufklärung. Für einige Aufregung sorgte im vorigen Jahr der Vorsitzende der Partei »Die Linke«, Oskar Lafontaine, als bekannt wurde, dass er einen Besuch beim Präsidenten des Iran, Mahmoud Ahmadinejad, plante. Im Februar 2006 entdeckte Lafontaine in einem Interview mit dem Neuen Deutschland »Schnittmengen zwischen linker Politik und islamischer Religion« und forderte einen »Dialog«, der im Namen der Aufklärung und Toleranz zu führen sei.

Auffällig war, welche Themen er ins Zentrum dieses Dialogs stellen wollte. Er lobte die herausragende Stellung der »Gemeinschaft« im Islam, der sich gegen einen »übersteigerten Individualismus« wende, dessen Konzeption im Westen zu scheitern drohe. Zudem seien gläubige Muslime verpflichtet zu teilen. Und drittens spiele »das Zinsverbot noch eine Rolle, wie früher auch im Christentum. In einer Zeit, in der ganze Volkswirtschaften in die Krise stürzen, weil die Renditevorstellungen völlig absurd geworden sind, gibt es Grund für einen von Linken zu führenden Dialog mit der islamisch geprägten Welt.«

Unerwähnt blieb damals, wer denn sein Gesprächspartner werden sollte. Liberale Muslime, die gegen das iranische Regime Stellung beziehen? Die Regenten der Golf­-Monar­chien, die kaum als Kritiker spekulativer Inves­titionen in Erscheinung getreten sind? Und wäre ein Gedankenaustausch über das Zinsverbot auch Gegenstand des schließlich abgesagten Treffens Lafontaines mit Ahmadinejad gewesen? Lafontaine verschwieg vornehm, wer üblicherweise in Zeiten, in denen ganze Volkswirtschaften in die Krise stürzten, die »antikapitalistische« Kritik auf den Zins statt auf die kapitalistische Mehrwert­aneignung fixiert.

Der außenpolitische Sprecher der Fraktion »Die Linke«, Norman Paech, stimmte Lafontaine in einem Interview mit der Islamischen Zeitung zu: »Wenn aber eine Religion gerade den Gerechtigkeits- und Teilungsaspekt hervorhebt, dann sind wir damit konform. Die gerechte Verteilung der Reichtümer eines Staates ist eine Grundlage von Politik – und vor allem der nationalen Reich­tümer, die nicht von anderen geplündert werden sollten. Dies ist eine Haltung, die durchaus in der Tradition des Antimperialismus steht.«

Mochten Paech, der im selben Gespräch zugab, ihm sei »der Islam als Religion nicht so präsent, dass ich mich dazu äußern könnte«, auch die Verteilungsraten islamischer Staaten »nicht so präsent« gewesen sein, bestätigte er dennoch eine der Ursachen für die ideologischen Schnittmengen zwischen Teilen der traditionellen Linken und militanten »Widerstandskämpfern«: die unreflektiert weitergeführte »Tradition des Antiimperialismus«.

Es ist gerade die bruchlose Fortführung des klassischen Antiimperialismus, die tribalistische Terrorgruppen in den Rang von Befreiungsbewegungen hebt und der Hamas und der Hizbollah den Status verleiht, den einst etwa die nicaraguanischen Sandinisten oder der südafrikanische ANC innehatten. Die Vorwürfe, die neuen »Volkskrieger« seien antisemitisch, werden dabei schlicht zur Propaganda des Klassenfeinds erklärt und der alten Feindbestimmung untergeordnet. Mit semantischen Feinanalysen und Übersetzungskünsten präsentierte zum Beispiel der Friedenspolitische Ratschlag Kassel 2006 unter dem Titel »Der Krieg gegen den Iran hat längst begonnen« eine Analyse zu »angeblichen Äußerungen« Ahmadinejads, die den Nachweis erbringen wollte, dass dieser seine Vernichtungsdrohungen gegen Israel gar nicht geäußert habe. Dass der iranische Präsident, der sich ausgerechnet mit einer Konferenz der Holocaust-Leugner in Teheran als Verteidiger der Meinungsfreiheit ausgewiesen hat, Ende Mai 2006 im Interview mit dem Spiegel eindeutig antisemitische Töne anschlug, schien die Friedensratgeber kaum zu beeindrucken.

Übrig bleibt bei diesem Antiimperialismus, der die vergangene bipolare Konstellation auf die Gegenwart überträgt, eine Karikatur des Internationalismus, welche die historischen Konsequenzen kommunistischer Kollaboration mit dem politischen Islam ignoriert. In einer Tragödie endete zum Beispiel während der iranischen Revolution die Politik der kommunistischen Tudeh-Partei, als sie nach 1978 im Namen einer Theorie des Dritten Weges in einer gemeinsamen antiimperialistischen Allianz mit den Geistlichen gegen Frauen agitierte, die gegen den Schleierzwang kämpften. Im Verlauf der iranischen Entwicklung wurden die Mitglieder der Partei schließlich verhaftet, gefoltert und zur öffentlichen »Selbstkritik« gezwungen.

Die Debatte über Schnittmengen mit den Linken wird in islamischen Zeitungen oder Internet-Portalen allerdings mit Skepsis geführt. Der Rechtsanwalt Andreas Abu Bakr Rieger kommt in einer umständlichen Meditation zum Thema »Islam und Ökonomie« in der von ihm gegründeten Islamischen Zeitung zu dem Ergebnis, dass bei allen Gemeinsamkeiten die Unterschiede zentral seien. Der Islam könne kaum als prinzipiell »globalisierungskritisch« eingestuft werden, da er »ja gerade über Jahrhunderte entscheidend die ökonomische Globalisierung vorangetrieben hat«. Zudem glaube »der Islam« nicht, »dass man die notwendige Begrenzung ökonomischer Möglichkeiten organisieren kann«.

Im Internet-Portal »Muslim-Markt« wird in einem Beitrag zum Parteitag der »Linken« Lafontaines Eröffnungsrede in Bezug auf die Haltung zum »Krieg gegen den Terror« anerkennend, im Ganzen aber meist spöttisch abgetan. Die »Freiheit zu sagen, dass der Zionismus ›Rassismus‹ ist«, heißt es dort süffisant, »wird sicherlich der eine oder andere in der Führungsriege der Linken zu verhindern wissen«.

Statt eines Abbaus des Zinssystems propagiere die Linke den »Raub an Gütern späterer Generationen«. Zudem missachte die materialistische Weltanschauung der Linken die »spirituelle Dimension des Menschen«. Denn ohne die Bereitschaft, »sich für ewige Ideale einzusetzen, ohne die Bereitschaft ganzer Generationen, Opfer zu bringen, wird eine materialistische Unterdrückung nicht zu überwinden sein (siehe Palästina).« Was ist hier umschrieben? Der Opferkult der Selbstmordattentäter?

Zu verhindern, dass die Hamas oder die Hizbollah auf deutschen Podien im Namen des Friedens Propaganda machen können, wäre ein emanzipatorisches, linkes Vorhaben. Einem linken Antiimperialismus aber, der zur Förderung islamistischer »Widerstandsgruppen« Spenden sammelt, zustimmend deren Meinungen verbreitet und aktive Solidarität leistet, ist mehr abhanden gekommen als ein historischer Bezugsrahmen.