National, pazifistisch und total identisch

Der Politikwissenschaftler Clemens Heni legt eine Studie über den Vordenker der »Neuen Rechten«, Henning Eichberg, vor. Von Peter Bierl

Jede »Kulturgemeinschaft« grenze sich selbst von anderen ab. Der Beschluss des Laterankonzils aus dem Jahr 1215, wonach Juden ein gelbes Abzeichen zu tragen hatten, sei darum Zeichen der »selbstverwalteten Kleiderordnung eines Standes« gewesen. Auch das Ghetto sei keineswegs erfunden worden, um Juden einzusperren. Im Gegenteil, es sei im Mittelalter sogar vorteilhaft gewesen, Jude zu sein, weil diese Zinsen nehmen durften.

Solche Ansichten finden sich in dem Schulbuch »Minderheit und Mehrheit«, das im Jahr 1979 im Georg-Westermann-Verlag in einer Auf­lage von 15 000 Exemplaren erschienen ist und in sechs Bundesländern einschließlich West-­Berlin für den Unterricht zugelassen wurde. Im Jahr 1983 wurde es makuliert, also aus dem Verkehr gezogen.

Autor dieses Schulbuchs ist Henning Eichberg, ein Vordenker der so genannten Neuen Rechten. Mit ihm befasst sich der Berliner Politikwissenschaftler Clemens Heni in seinem Buch »Salon­fähigkeit der Neuen Rechten«. Er erläutert den Werdegang und die Ansichten Eichbergs, seinen Einfluss auf Wissenschaft, Medien und Politik und geht auf die Defizite der Politik- und Geschichtswissenschaft und der Linken ein. Das große Manko der Forschung wie auch herkömmlicher linker Faschismustheorien sei, so schreibt Heni, Rechtsextreme nicht als bewusste Individuen zu sehen, die aus politisch-weltanschaulichen Motiven bestimmte Ideologeme produzieren. In Deutschland sei in den Geisteswissenschaften ein sozialstruktureller Zugang vorherrschend,» der von bewussten Akten bewusster Subjekte nichts oder wenig wissen möchte und zudem den Antisemitismus der Deutschen gezielt herunterspielt«.

Eichbergs Ansichten finden sich heute etwa in der Rede von einem »deutschen Sozialismus« bei der NPD und den Kameradschaften wieder. 1973 erfand er den Begriff des »Ethnopluralismus« und stützte sich dabei auf Theorien des Verhaltensforschers Konrad Lorenz. Eichberg zufolge sind Völker so homogen und unveränderlich grundverschieden, dass sie am besten voneinander getrennt werden. Er fand damit einen Weg, das Wort »Rasse« zu vermeiden. Auch den Begriff der »nationalen Identität« hat er mit geprägt. Sein gleichnamiges Werk von 1978 war, so legt Heni dar, das erste deutschsprachige Buch, das diesen Begriff im Titel führte. »Identität ist stets kollektive Identität«, schreibt Eichberg. Sie »konstituiert sich zugleich aufgrund von Unterscheidung, von Einsicht in das andere, das Fremde und seine Eigentümlichkeit«. Er kämpft gegen die »Umerziehung« Deutschlands, gegen die »weltweit-amerikanische TV-Zivilisation« und für ein »deutsches Deutschland«.

Seine Tiraden gegen Coca-Cola und multinationale Konzerne lesen sich zuweilen wie Traktate von Attac. Sein Antiamerikanismus, sein versteckter Antisemitismus und seine Relativierungen sind heute zukunftsträchtiger als das direkte Leugnen des Holocaust. »Eichberg steht exemplarisch für die politische Kultur im postnationalsozialistischen Deutschland, für eine rhetorisch gewandte Art und Weise, Deutschland zu rehabilitieren, den Zivilisationsbruch gleichsam im Orkus der Geschichte, ja als Resultat ›der Moderne‹ untergehen zu lassen«, schreibt Heni.

Heni definiert die Neue Rechte nicht als Rechts­abweichung von der CDU, sondern als »national-sozialistische« Ideologie nach ­Ausch­witz. In einem Beitrag zum renommierten »Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte« von 1989 durfte Eichberg das Märchen verbreiten, die »Vernichtung von kulturellen Minderheiten« sei in Nazideutsch­land »geheimgehalten« worden und »vielen Deut­schen nicht bekannt« gewesen. Seine Masche ist, Auschwitz als Folge des »industriellen Rassismus« zu relativieren, der Indianer, Inuit, Sinti, Juden und Deutsche gleichermaßen getroffen habe. Diese Sichtweise bietet Anknüpfungspunkte für Umweltschützer, Regionalisten und Antiimperialisten. Eichberg sei ein Vorreiter der Verharmlosung von Auschwitz gewesen, schreibt Heni.

Ende der fünfziger Jahre bewegte sich Eichberg, Jahrgang 1942, im Umfeld der »Deutsch-­Sozialen Union« Otto Strassers, bis er unter die Fittiche Arthur Ehrhards kam. Der ehemalige SS-Hauptsturmführer im Führerhauptquartier gründete die Zeitschrift Nation Europa mit. Eichberg war kurzzeitig Mitglied der CDU, dann im Umfeld der »Aktion Widerstand« anzutreffen, die im Kampf gegen die Ostverträge die Parole »Brandt an die Wand« prägte. 1972 verfasste er das Gründungsmanifest der »Aktion Neue Rechte«, einer Abspaltung der NPD. Später veröffentlichte er einen Text mit dem Titel »Warum sind wir Sozialisten« in dem Naziblatt La-Plata-Ruf von Wilfred von Oven, einem Spiegel-Redakteur und ehemaligen Adjutanten von Goebbels. In dem Text vertrat Eichberg das Konzept eines »deutschen Sozialismus«.

1970 promovierte er in Bochum und habilitierte sechs Jahre später als Historiker in Stuttgart. 1974 wurde er mit dem Preis des Deutschen Sportbundes für die Monographie »Der Weg des Sports in die industrielle Zivilisation« ausgezeichnet. Sein Anliegen ist »die nationale Frage im Sport« und die Rehabilitierung des antisemitischen »Turnvaters« Ludwig Jahn.

Nachdem ihn Stuttgarter Studenten im Sommer 1978 als Rechten entlarvt hatten, behauptete Eichberg, er habe sich »in den Jahren um 1970« von rechten Anschauungen allmählich entfernt, »ohne Renegat geworden zu sein«. Das ist offensichtlich eine Schutzbehauptung, wie sich anhand seiner Schriften belegen lässt. In den achtziger Jahren engagierte sich Eichberg in der Friedensbewegung und im Umfeld der Grünen.

Zusammen mit dem grünen Bundestagsabgeordneten Alfred Mechtersheimer gründete er das »Friedenskomitee 2000« und entwickelte das Konzept des »National­pazifismus«.

In den neunziger Jahren referierte er vor der FPÖ nahe stehenden Verbänden in Österreich, bis ins Jahr 2002 war er Autor der nationalrevolutionären Zeitschrift Wir selbst. Er lobte den Patriotismus der DDR, in der die Deutschen noch deutsch gelebt hätten, später würdigte er die PDS als »ostdeutsche Heimatpartei«. In Dänemark, wo er seit 1982 lebt, schloss er sich schließlich der Sozialistischen Volkspartei an. Diese linke Partei scheint bisher keinerlei Probleme mit ihm zu haben.

Clemens Heni: Salonfähigkeit der Neuen Rechten. »Nationale Identität«, Antisemitismus und Antiamerikanismus in der politischen Kultur der Bundesrepublik Deutschland 1970-2005: Henning Eichberg als Exempel, Tectum-Verlag, Marburg, 2007, 24,90 Euro