Dialektik der Treue

Ein Plädoyer für eine Gratwanderung jenseits von Omnipotenzphantasien, nach denen man sein Privatleben ganz alleine gestalten könne, und vorauseilender Selbst­aufgabe des Subjekts, das, weil es an gesellschaftlicher Totalität eh nichts ändern könne, mit gutem Gewissen weiter seine Liebsten terrorisiert. von les madeleines

Im Gegensatz zu Sebastian Winters redlicher Kritik (Jungle World 37/07) an der Dr.-Sommer-Predigt »Dem Leben Schönes schenken« von Oliver Schott (35/07) schlägt »Effizienz macht hässlich« von Katrina Blindow und Alek Ommert (38/07) trotz aller vorgeblicher Abgrenzung in die gleiche Kerbe. Das in seinem Titel behaup­tete Thema weit verfehlend, leistet auch dieser Text Beziehungsberatung, anstatt Kritik zu üben – wenn auch weniger als Bastelanleitung für stabile, dauerhafte Hauptbeziehungen mit Schadensbegrenzung, sondern als Packungsbeilage, die andere Nebenwirkungen des Beziehungs­alltags auflistet; Hauptsache, Optimismus ist Trumpf.

Mit dem Plädoyer für Verantwortung und Verbindlichkeit verlagern sich auch Blindow und Ommert auf die Immanenz der Intimität, wie es bei Schott Programm ist. Beziehungen seien zwar schon irgendwie diffus von »Macht- und Hierachieverhältnissen überformte Situationen«. Aber die gesellschaftlichen Bedingungen von Liebe zu reflektieren wie Winter, dagegen werden dann doch Vorbehalte geltend gemacht: »Oh Schreck, ein Adornit« – also einer, der Leiden glatt der gesellschaftlichen Totalität zur Last legt (was sie dann zu »Basis und Überbau«-ML und »Leiden als Programm« verhumbugeln). Wie Schott stellen auch sie dem Dogmatismus traditioneller Zweierbeziehungen lediglich andere Beziehungs- und Freundschaftsmodelle gegenüber, die die Intention, ein gutes oder zumindest besseres Leben zu schaffen, einmal mehr dem Einzelnen auf­bürden – auch wenn sie dabei nicht mit der zynischen Aufforderung zur Selbstdisziplinierung auftrumpfen wie Schott. Mag die Ablehnung von Unverbindlichkeit und Verantwortungslosigkeit auch richtig und wichtig sein, bloße Appelle, dass alle an sich selber arbeiten müssen, vernachlässigen die Vermittlung des Individuellen mit dem Gesellschaftlichen.

Zudem teilen Blindow/Ommert mit Schott den Sexualpessimismus: Hatte man in »Dem Leben Schönes schenken« anfangs noch den Eindruck, dem Autor käme es nur darauf an, »in der festen Beziehung mit Affären klarzukommen« und endlich auch mit FreundInnen poppen zu dürfen, schlägt der Text schließlich in ein Lob der asexuellen Intimität des Nacktbadestrandes um – fürs »reibungslose« Funktionieren der Beziehung scheint »das Reiben von Geschlechtsteilen« wenig zuträglich. Eine Aushandlung von »Regeln« ermöglicht ja so viel Tiefe und Ehrlichkeit, auch ohne Sex! Nicht auf einem rationalisierten Modell wie dem von Schott beruhend, sondern unter unangetasteter Anerkennung dessen, was sie »zu­tiefst irrational« nennen, kommen Blindow und Ommert doch zum selben Schluss: »Eher müsste es darum gehen, den Sexus aufzulösen, indem Intimität ohne ›Sexualität‹ verstärkt wird.« Die erotische Komponente des Wörtchens Intimität, wie sie im Begriff Intimzone wenig subtil daherkommt, wird abgespalten – und damit die Mög­lich­keit besonderer Intensität durch Berührungen, die jenseits des stumpfen Reibens Banalitäten durchbrechen, negiert. Gemeinsam ist Schott und Blindow/Ommert auch, dass sie sich an ab­s­trakten Allgemeinplätzen entlanghangeln, die den Eindruck erwecken, persönliche Erlebnisse würden ohne Rücksicht aufs Besondere generalisiert. Diskutiert wird dann nur, ob Beziehungen an und für sich wegen langweiligem Sex und Seitenspringerei kaputt gehen, oder wegen Streit und Enttäuschungen, die trotz Liebe auf Dauer zu anstrengend sind. Hauptsache, es lässt sich auf den Punkt bringen.

Dass der Begriff Treue sich schlecht in solcher Ein­deutigkeit auflösen lässt, mag auch ein Grund sein, warum beide Texte ihn auffällig meiden. Über dessen Dialektik hätte Adorno mehr zu sagen gehabt: »Der Befehl zur Treue, den die Gesell­schaft erteilt, ist Mittel zur Unfreiheit, aber nur durch Treue vollbringt Freiheit Insubordination gegen den Befehl der Gesellschaft«, heißt es in den »Minima Moralia«. Die Kritik gilt dabei sehr wohl dem ausschließenden Charakter der monogamen Beziehungen (der übrigens auch im Prioritätsrecht der hierarchisch geordneten Haupt- und Nebenbeziehungen aufzufinden ist), jenem »Besitzverhältnis am Menschen« (Adorno), das einen jeden und eine jede auf dem Heirats- und Beziehungsmarkt als austauschbar dastehen lässt. Und doch entlarvt sie zugleich das scheinbar nonkonformistische Bestreben, die Liebe zur reinen Gefühlssache zu machen und – juchheissa! – ganz unbekümmert jede sich bietende attraktive Gelegenheit zu nutzen, als Spielart der gesellschaftlich vorgeschriebenen Suche nach dem eigenen Vorteil. Und die wird mit Schotts Technokratenjargon, in dem Zahnarzt­angst­über­winder »hedonistischen Gewinn« einstreichen, in ihrer ganzen Marktförmigkeit beworben. Nur die Erfahrung der Einmaligkeit kann hingegen der mit der abstrakten Ausschließlichkeit kor­respondierenden Austauschbarkeit einen Strich durch die Rechnung machen. Treue, so verstanden, meint gerade nicht – wie es heute die Regel ist – das Gebot, die Liebe bloß auf ein Objekt zu reduzieren, was jeglichen Überschwang im Ehe- und Beziehungsknast ersticken muss. Genauso aber steht sie dagegen, einen Menschen für den anderen wegzuwerfen wie eine abgenutzte Jacke für eine neue.

Allerdings ist es schlecht bestellt um die Erfahrungsfähigkeit der Individuen, die schon in der Kindheit zugerichtet werden für gesunden Spaß und lebenslängliches Lernen, und deren Leben zwischen vorgestanzter Arbeit und effektiv für Wellness und Hobbys zu nutzender Freizeit wenig Raum und Kraft lässt für Unreglementiertes. Nicht zuletzt daraus speist sich der Wunsch nach der erleichternden Sicherheit und – trügerischen – Eindeutigkeit, dass der oder die Geliebte ganz mir gehört. Schon im Begriff des »Fremdgehens« scheint die Angst vor der Verstörung bei der Konfrontation mit fremdem Begehren auf: Eine Verstörung, die im besten Falle zurückbleiben mag, wenn die kühnsten Erwartungen und die eigenen verpanzerten Grenzen gesprengt wer­den in leidenschaftlicher Hingabe an andere – und das ist nicht nur dysfunktional für entspann­ten Feierabend-Spaß, Ehe-Hygiene, Gemütlichkeit und Familienplanung. Glück und Genuss können bis zur Unerträglichkeit die mühsam aufrechterhaltene Selbstsicherheit ins Wanken bringen. In der Partnerschaft, deren Begriff schon daran gemahnt, dass es sich um Geschäftspartner handelt, wird versucht, das Versprechen der Liebe, die zugleich Bedrohung der real existierenden Subjekte meint, zur Harmlosigkeit zu domes­tizieren. Wahrscheinlich geht Liebe deshalb so häufig an Gewöhnlichkeit zugrunde.

Die Frage nach dem ständigen Scheitern der klas­si­schen Zweierbeziehungen werfen die beiden kritisierten Texte zwar auf. Aber weder Schotts definitorische Zirkelschlüsse über Eifersucht noch Ommerts/Blindows zivilgesellschaftliches Engage­ment für Verantwortung und Verbindlichkeit können klären, warum die Leute sich gegenseitig, in welcher Beziehung auch immer, zwanghaft das Leben zur Hölle machen. Und solange sie davon auch nichts wissen wollen, läuft die geforderte Potenzierung von BeziehungspartnerInnen, ob nun als Bettgeschichten oder als beste FreundInnen, allzu leicht auf die Potenzierung von Gelegenheiten hinaus, Menschen Böses zuzufügen – nicht aus bösem Willen, sondern aus Gedankenlosigkeit, Trägheit und Angstbeißerei. Promis­kuität steht wie wenig anderes für das Glück der Verschwendung; kaum etwas kann aber zugleich so sehr zu Pragmatismus und zu Härte verführen wie die Entscheidungsgewalt, bei wem man schläft und wen man warten lassen muss.

Damit wird nun nicht für kalte Gleichgültigkeit oder zynische Resignation argumentiert, jedoch ebenso wenig für die reflexhafte Forderung, wenigstens auf persönlicher Ebene alles richtig zu machen. Patentrezepte erweisen sich als gerade nicht hilfreich beim Nachvollzug der eigenen Verstrickung, die doch der erste Schritt wäre, eine Gratwanderung zu wagen jenseits von Omnipotenzphantasien – mein Privatleben gestalte ich mir ganz allein! – und vorauseilender Selbstaufgabe des Subjekts, das, weil es an gesellschaftlicher Totalität eh nichts ändern könne, mit gutem Gewissen weiter seine Liebsten terrorisiert.

Die Reflexion auf die Aporie, dass Liebe »in der Gesellschaft eine bessere vorstellen« (Adorno) soll, während sie zugleich die Ware-Geld-Monaden dazu einlädt, die ihnen eigentümliche Kälte im intimen Verkehr noch einmal besonders schmerzhaft zu reproduzieren, kann einem keine Ratgeberkolumne für politisch korrekte Beziehungen abnehmen.

Les Madeleines sind ein überregionaler Zusammenschluss zur Kritik des Geschlechterverhältnisses. Website: www.­lesmadeleines.net