»Die private Krankenversicherung ist eine asoziale Veranstaltung«

Wie sich in Zukunft die Krankenversicherung in Deutschland entwickeln wird, steht in den Sternen. Ein Gespräch mit Rolf Ro­sen­brock, dem Leiter der Forschungsgruppe Public Health im Wissenschaftszentrum Berlin. interview: nada kumrovec

Wer kann es sich heute eigentlich noch leisten, krank zu sein?

Trotz je nach Einkommen sehr unterschiedlicher Wirkungen von Praxisgebühr und Zuzahlungen und trotz Unterschieden in der Qualität der Behandlung zwischen gesetzlich und privat Versicherten sind Zugang und Qualität der Krankenversorgung in Deutschland das geringere Problem. Größere Schwierigkeiten haben chronisch Kranke und Nichtversicherte. Deren Zahl wurde trotz der eingeführten Versicherungspflicht, die für arme Menschen das Recht auf staatliche Unterstützung des Versicherungsbeitrags enthält, bislang nicht geringer. Flüchtlinge mit ungeklärtem Aufenthaltsstatus haben überhaupt kein Recht auf Krankenversorgung, Flüchtlinge mit legalem Status sind diskriminierenden Zugangs- und Behandlungsbedingungen ausgesetzt.

Aber auch für Versicherte hat sich einiges verschlechtert.

Zum einen müssen immer mehr Zuzahlungen geleistet werden. Das ist übrigens ein Grund dafür, warum der Anteil der Krankheitskosten am Bruttoinlandsprodukt konstant bleibt. Von einer Kostenexplosion im Gesundheitswesen kann keine Rede sein. Die Krankenkassenbeiträge steigen nicht wegen explodierender Kosten, sondern wegen erodierender Einnahmen, denn das fehlende Geld ist vor allem eine Frage des Arbeitsmarktes und der Tarifabschlüsse.

Zum anderen wird zunehmend nur noch das von den Krankenkassen bezahlt, wofür es eine empirische Grundlage der Wirksamkeit gibt. Die Leistungsgrenzen sind aber in Deutschland verglichen mit den meisten europäischen Ländern immer noch ziemlich großzügig.

Trotzdem tendiert auch die deutsche gesetz­liche Krankenversicherung dazu, wertlos zu werden. Wie sieht die Zukunft der Krankenversicherung in Deutschland aus?

Wertlos würde ich gewiss nicht sagen. Im Jahre 2009 soll entschieden werden, ob die Bürgerversicherung oder die Kopfpauschale eingeführt wird. Unter gesundheitlichen und volkswirtschaft­lichen Gesichtspunkten ist die Bürgerversicherung eine vernünftige Lösung, da sie einen trans­parenten Solidarausgleich zwischen Arm und Reich, Singles und Familien, Alt und Jung, Gesunden und Kranken gewährleistet. Die Kopfpauschale verlagert den gesamten Solidarausgleich ins Steuersystem. Die Umverteilung über das Steuersystem ist bei weitem nicht so verlässlich und gerecht wie die Sozialversicherung. In einer Welt, in der viel Kapital nach risikoarmen Anlagemöglichkeiten sucht, wird die soziale Krankenversicherung mit einem jährlichen Umsatz von 150 Milliarden Euro außerhalb der profitorientierten Wirtschaft als Provokation empfunden.

Mittlerweile gibt es aber auch Privatisierungsgegner, die einer Teilprivatisierung beispielsweise von Krankenhäusern nicht abgeneigt sind, da Ausstattung und Leistung in öffent­lichen Krankenhäusern schlechter werden.

Man muss zwei Ebenen unterscheiden. Grundsätz­lich ist es sozial und gesundheitlich schädlich, das Gesundheitsrisiko, das heißt konkret die Behandlungskosten, zu privatisieren. Dadurch haben Menschen mit dem höchsten Bedarf die schlechtesten Chancen auf eine gute Versorgung. Im Versorgungssystem – Ärzte, Krankenhäuser, Pflegedienste, Pharmaindustrie etc. – sind hingegen immer schon große Sektoren gewinnwirtschaftlich organisiert. Das muss nicht nur schlecht sein. Die Qualität in deutschen Privatkliniken ist keineswegs schlechter als in öffentlichen Häusern.

Eines der großen Leitthemen der Gesundheitspolitik der vergangenen Jahre ist die Präven­tion. Wer raucht, Alkohol trinkt und kein Gehirnjogging betreibt, ist selber schuld, wenn er krank wird.

Das Potenzial der Prävention ist groß und wird erst zu einem geringen Teil genutzt. Wer allerdings meint, mit Prävention die gesundheitlichen Folgen schlechter Bildungschancen, von Arbeitslosigkeit und miesen Arbeitsbedingungen kompensieren zu können, der überschätzt dieses Potenzial krass. Trotzdem unterstütze ich die Ausrichtung des jetzt wieder neu diskutierten Gesetzes zur nichtmedizinischen Primärprävention. Denn damit soll »insbesondere ein Beitrag zur Verminderung sozial bedingter Ungleichheit von Gesundheitschancen« geleistet werden. Ein solches Gesetz würde nicht nur die Gesundheit erhalten, sondern wäre auch ein beständiger Garant dafür, dass das Thema soziale Ungleichheit auf der politischen Agenda und im Bewusstsein der Öffentlichkeit bleibt.

Was wäre denn der richtige Schritt, um die soziale Ungleichheit aufzuheben?

Die größten gesundheitlichen Erfolge wären in der Bildungs-, Arbeitsmarkt- und Verteilungspolitik zu erzielen. Auch sollte die private Krankenversicherung abgeschafft werden, denn sie ist auch im europäischen Vergleich eine anachronistische und asoziale Veranstaltung. Kein anderes Land leistet es sich, dass ausgerechnet die Menschen mit den geringsten Gesundheitsrisiken und dem größten Einkommen aus der Solidargemeinschaft straflos ausscheren dürfen.