In einem fremden Land

Der Chelsea FC hat als erster Weltklasseclub einen israelischen Trainer verpflichtet. Aber Avram Grant wird angefeindet – mit antisemitischen Untertönen. von martin krauss

Avram Grant hangelt sich von Spiel zu Spiel. Gewinnt sein Chelsea FC, gibt es für ihn zwei, drei Tage Ruhe. Verliert er, werden wieder die großen Namen gehandelt, die den Club übernehmen sollen: Marco van Basten, Guus Hiddink, Jürgen Klinsmann. Aber noch hat Avram Grant den Job.

Der 52jährige Israeli ist seit kurzem Cheftrainer des Londoner Spitzenclubs und damit Nachfolger des zurückgetretenen José Mourinho. Der Chelsea FC, der Club, bei dem Michael Ballack auf der Bank sitzen darf und nicht mal für den Champions-League-Kader nominiert wurde, ist ein Starensemble von kaum vorstellbarem fußballerischen Wert. Mit Michael Ballack, Petr Cech, Didier Drogba, Frank Lampard, Claude Makélélé, Andrej Schewtschenko und John Terry steht eine ganze Reihe Weltstars unter Vertrag.

Nur der neue Trainer ist kein Star. Viele stellen sich die Frage, warum der Besitzer des Chelsea FC, der russische Ölmilliardär Roman Abramowitsch, Grant vom Fußballdirektor zum Cheftrainer beförderte. Die Antworten, die man findet, sind nicht nur Ergebnis sportlicher Spekulationen.

Wie die Jerusalem Post berichtet, wandte sich die britische Anwaltskanzlei Teacher, Stern, Selby brieflich an diverse Zeitungen des Landes und erklärte, dass man besorgt sei »über Ton, Inhalt und versteckte Andeutungen einiger Artikel, die in der britischen Presse veröffentlicht wurden«. Die Kanzlei nannte keine Beispiele, aber Fälle von antisemitischer Berichterstattung lassen sich leicht finden. Im Evening Standard schreibt der ehemalige konservative Kulturminister David Mellor, dass Grant, der noch nie einen großen Club trainierte, nur »aus einem Grund« kam: »Er ist ein Israeli-Russe in einem Klub, der einem von Israel besessenen Russen gehört.« Weiter heißt es in dem Artikel des 1992 wegen einer Sexaffäre zurückgetretenen Politikers: »Caligula machte sein Pferd zum Konsul, und Abramowitsch machte seinen Fußballdirektor, Gott hilf uns, zum Trainer.«

Die Frage, was Avram Grant für seinen neuen Job qualifiziert, ist, möchte man es sportlich diskutieren, damit natürlich immer noch nicht beantwortet. Er ist der erste Israeli, den es als Fußballtrainer in solch hohe sportliche Regionen verschlagen hat. Bislang war, wenn sich nicht gerade die heimische Profiliga mit ihren zwölf Vereinen anbot, bestenfalls Griechenland ein attraktiver Arbeitsmarkt. Ran Ben-Shimon, Trainer des israelischen Erstligisten Hapoel Kiryat Shmona, ist von Grants neuem Job begeistert: »Dass Grant Trainer von Chelsea wurde, ist das Gleiche wie Neil Armstrongs historische Landung auf dem Mond.« Das Bild ist freilich nicht so ganz stimmig. Weder kann man behaupten, dass Grants Verpflichtung ein »großer Schritt« für die Fußballwelt ist, noch spricht irgendetwas dafür, dass sie ein »kleiner Schritt« für Grant war. Vielmehr dürfte eher schon die Jerusalem Post Recht haben, wenn sie schreibt, dass Cheftrainer des Chelsea FC »einer der größten Jobs im Sport« ist. Und Gavri Levi, ehemaliger Präsident des israelischen Verbandes, meint völlig zu Recht: »Egal, wie lange Grant bei Chelsea bleibt, sein Ansehen als Trainer wird gestärkt.«

Grant hat nie selbst professionell Fußball gespielt, sondern schon mit 18 Jahren bei Hapoel Petah Tikwa die Jugendmannschaft übernommen. Mit Maccabi Tel Aviv und Maccabi Haifa wurde er je zweimal Meister, aber der israelische Titel zählt in der großen Welt des Fußballsports nicht viel. Als israelischer Nationaltrainer verpasste Grant in seinem vierjährigen Wirken die Qualifikation sowohl für die Europameisterschaft 2004 als auch für die WM 2006. So etwas – knapp Erfolge zu verpassen – hat José Mourinho bei Chelsea den Job gekostet. Grant kann immerhin darauf verweisen, dass er die WM-Qualifikation nicht schaffte, ohne ein Spiel verloren zu haben; nur wegen der besseren Tordifferenz von Frankreich und der Schweiz blieb Israel zu Hause. Doch dieser Umstand, die zu wenig geschossenen Tore, kennzeichnet ein anderes Problem: Grant ist ein Vertreter des defensiven Fußballs, den Fans nirgends auf der Welt gerne sehen.

Und Grant, der in Israel geboren wurde, aber fließend Russisch spricht, gilt als ein Netzwerker, dem die Kunst der Intrige nicht fremd ist. Entsprechend schlecht ist Grants Ruf bei seinen israelischen Kollegen. Der ehemalige Nationaltrainer Shlomo Sharf hält ihn für einen »Illusionisten«, der mehr Glück als Können habe. Der gegenwärtige Nationaltrainer, Dror Kashtan, ist stolz darauf, dass Grant nicht seine Mobilfunknummer besitzt. Kashtan wurde 1996 mit Maccabi Tel Aviv sowohl Meister als auch Pokalsieger, aber Grant sorgte durch Intrigen, so sagen es seine Kritiker, für die Entlassung des erfolgreichen Kashtan – Grant selbst bekam den Job. Damals klüngelte Grant mit dem Clubbesitzer Loni Herzikowitz, heute verweisen Kritiker darauf, dass er sich gut mit Chelsea-Besitzer Roman Abramowitsch versteht.

Aus genau diesem Umstand entstehen antisemitische Verschwörungstheorien. Der Fußballchef der renommierten Times, Martin Samuel, berichtet beispielsweise über die mangelnde Qualifikation Grants, erwähnt seine »guten Beziehungen, sein großes Glück und seine mächtigen Freunde in hohen Positionen«, und selbst sein Hinweis, dass er »ein Kumpel des Besitzers, ein Mitglied von dessen Entourage ist«, könnte noch als überspitzte und nicht ganz falsche Beschreibung der Person Avram Grant durchgehen. Aber damit das ja keiner falsch versteht, schreibt Samuel noch, dass Abramowitsch von »seinem jüdischen Erbe« getrieben sei und erwähnt, dass Abramowitsch »ein häufiger Israel-Besucher ist, der bei Länderspielen Israels anwesend war und nach den Spielen nahe den Umkleideräumen gesehen wurde«. Der Artikel fügt auch den israelischen Spieleragenten Pini Zahavi, der angeblich Grant mit Abramowitsch in Kontakt gebracht haben soll, ins nun fast geschlossene Weltbild ein: »Mit Abramowitsch als Besitzer, Grant als Cheftrainer und Zahavi als zuverlässigem Vertrauten des Paares ist Chelsea nicht so sehr russisch wie koscher.«

Was Blätter wie Evening Standard und Times mit ihrer kaum verhüllten Judenfeindschaft schreiben, entspricht der Stimmung bei den Fans. Die Chelsea-Anhänger galten schon immer als politisch rechts und antisemitisch, woran auch die Übernahme durch den Juden Roman Abramowitsch nichts änderte, obwohl nicht zuletzt dessen Geld dem Verein zweimal zum englischen Meistertitel verhalf. Unmittelbar nach Bekanntgabe der Beförderung Grants zum Cheftrainer quollen die Internetforen förmlich über. »Vielleicht wird er auf brutalen Angriff setzen«, tat ein Fan kund, »das ist doch eine Taktik, die die Israelis gerne anwenden, besonders gegen Palästinenser.« Ein weiterer Forumsdiskutant schreibt: »Grant ist nur einer von vielen Hebräern, die in den letzten Jahren gekommen sind, um unseren Club zu retten.«

Zunächst mal aber ist Avram Grant, der in Fachkreisen umstrittene und von Antisemiten angefeindete Trainer, Chefcoach des reichsten Fußballclubs der Welt. Der Job ist für ihn die größte Herausforderung seines Lebens. Dabei kann er sich nicht mal sicher sein, dass er wirklich beweisen darf, was er als Trainer kann, und dass er es so wenigstens seinen israelischen Kritikern zeigen könnte. Die anderen wird er ohnehin nie erreichen können: Gewinnt er, dann nur, weil er das Geld von Abramowitsch im Rücken hat, heißt es dann. Und verliert er, dann weil er nichts kann, außer Beziehungen zu Abramowitsch zu knüpfen.