I Want to Ride My Strike-Bike

Seit Anfang Juli hält die Belegschaft die Fahrradfabrik Bike Systems GmbH in der thüringischen Kreisstadt Nordhausen besetzt. Der Besetzung waren der Verkauf und die Herunterwirtschaftung der Fabrik vorausgegangen. Die Besetzer wollen den Standort retten, indem sie ein eigenes Fabrikat auf den Markt bringen: das Strike-Bike. Von Sarah Kleinmann

Rund 135 Kollegen und Kolleginnen sind es immer noch, die im Drei-Schicht-Dienst arbeiten. Sie wollen verhindern, dass der Betrieb endgültig aufgegeben wird und sie ihre Arbeitsplätze verlieren. Außerdem geht es ihnen um arbeitsrechtliche Mindeststandards wie etwa Kündigungsfristen.

Während der Besetzung nahmen auch Mitglieder der anarchosyndikalistischen Gewerkschaft »Freie Arbeiterinnen- und Arbeiter-Union« (FAU) Kontakt zu den Besetzern auf. Delegierte besuchten das Werk, und gemeinsam wurde die Idee entwickelt, vorübergehend Fahrräder in Selbstverwaltung zu produzieren. Bis zum 2. Oktober wollte man 1 800 Bestellungen mit Vorauskasse für ein Strike-Bike erreicht haben, damit die Produktion aufgenommen werden kann. Aber bereits am Montag verkündete die FAU, dass 1 300 Räder bestellt worden seien. Die Produktion könne aller Voraussicht nach Ende Oktober aufgenommen werden.

»Was wir als Mini-Gewerkschaft bekommen ­haben, ist internationale Solidarität«, sagt Folkert Mohrhof, der Pressesprecher des »Solidaritätskreises Strike-Bike« der FAU, im Gespräch mit der Jungle World. Nur die IG Metall kritisiert er. »Es ist eine absolute Sauerei, von der IG Metall kommt überhaupt nichts.« Und er fährt fort: »Wieso kaufen die eigentlich keine Strike-Bikes? Die hätten die Möglichkeit zu einer Großbestellung.«

Astrid Schwarz-Zaplinski, die erste Bevollmäch­tigte der IG Metall Nordhausen, reagiert auf diese Frage ausweichend: »Einzelne Kollegen und Kolleginnen der IG Metall werden sicherlich bestellen.« Sie betont jedoch, dass die Gewerkschaft die »Kolleginnen und Kollegen selbstverständlich von Anfang an« begleitet und unterstützt ha­be, beispielsweise bei der Pressearbeit.

André Kegel, der Vorsitzende des zum Vertrieb des Strike-Bike gegründeten Vereins »Bikes in Nordhausen«, war optimistisch. »Wir sind sehr zuversichtlich, dass es klappt, genügend Bestellungen zu erhalten. Das Fax steht nicht mehr still.« Nicht gesichtete Anfragen stapelten sich auf seinem Schreibtisch, es gab Bestellungen aus ganz Europa und sogar Anfragen aus Tel Aviv, Johannisburg, Kairo, aus Australien und den USA. Um den Leuten die Bestellung schmackhaft zu machen, gibt es eine »Geld-zurück-Garantie« und eine »Zwei-Jahres Gewährleistungsfrist auf alle Teile des gekauften Rads«, bei dem es sich um ein Herrenrad mit Drei-Gang-Schaltung zum Preis von 275 Euro handelt.

In der selbstverwalteten Fahrradproduktion se­hen die Besetzer aber in erster Linie einen vor­übergehenden und symbolischen Akt. Sie wollen zeigen, dass im Werk Nordhausen durchaus produziert und verkauft werden kann. »Wir warten immer noch auf das Angebot eines Investors«, erzählt die Betriebsrätin Manuela Fischer. Die Stimmung in der Belegschaft sei aber ganz gut. »Nur manchmal, da ist die Luft ein bisschen raus. Es sind ja auch schon drei Monate.«

Die Nordhausener Bevölkerung steht der Besetzung der Fahrradfabrik wohlwollend gegen­über. »Viele Leute kommen persönlich vorbei und erkundigen sich nach dem Stand der Dinge«, berichtet Fischer. Von der Landesregierung fühlen sich die Besetzer jedoch im Stich gelassen, vor allem seit Thüringens Ministerpräsident Dieter Althaus (CDU) einen Besuch verweigerte.

Das Durchhaltevermögen der Belegschaft ist beachtlich. Angst vor einer Räumung gibt es keine mehr. Nur in den ersten Tagen der Besetzung gab es überhaupt derartige Versuche, nachdem der Geschäftsführer der Bike Systems GmbH, Frederik Müller, die Polizei verständigt hatte. Offiziell handelt es sich bei der Besetzung um eine ständige Betriebsversammlung.

In der ortsansässigen Presse wird der Versuch, mit dem Strike-Bike auf den Markt zu gehen, allerdings skeptisch beurteilt. Die Neue Nordhäuser Zeitung schrieb: »Allen Beteiligten ist klar, dass ein mitarbeitergeführtes Unternehmen auf Dauer keine Chance am Markt haben wird.«

Immer öfter ist jedoch in den Solidaritätsbekundungen und in der Berichterstattung auch die Rede von der US-amerikanischen »Heuschrecke«, die die Schuld an der Pleite der Nordhausener Fahrradfabrik trage. Lediglich in einer Pressemitteilung der FAU ist Kritik an der »Heuschrecken«-Metapher zu finden. Es wird darauf hingewiesen, dass auch die Mitteldeutsche Fahrradwerke AG (Mifa) in Sachsen-Anhalt von der Stilllegung des Werkes in Nordhausen profitiere.

Denn im Dezember 2005 verkaufte die Biria AG einer Tochter der US-amerikanischen Investmentfirma Lone Star das Fahrradwerk in Nordhausen. Ende des Jahres 2006 veräußerte die neue Eigentümerin sämtliche immateriellen Vermögenswerte und einen Teil der Maschinen an den bisherigen Konkurrenten der Biria AG, die Mifa. Die Produktion in Nordhausen lief noch bis Juni 2007. Nachdem die Fahrradproduktion gänz­lich eingestellt worden war, begann am 10. Juli die Besetzung des Werkes. Und am 10. August beantragte Geschäftsführer Müller die Insolvenz.

Auch der NPD-Landesverband Thüringen hat auf seiner Website inzwischen zur Solidarität mit der Belegschaft aufgerufen. Dort heißt es: »Die NPD fordert alle auf, jetzt nationale Solidarität zu zeigen und sich jetzt ein ›Strike-Bike‹ zu bestellen, um den Untergang der Bike Systems GmbH zu stoppen und den Heuschrecken zu zeigen, dass sie nicht jeden Betrieb kaputtwirtschaften können.« Es folgt der Link zur Website, auf der man die Räder bestellen kann. Die FAU hat die NPD inzwischen aufgefordert, den Text von ihrer Homepage zu nehmen. Auf einer Unterschriftenliste tauchten auch die Namen der NPDler Tim Koppermann und Marco Kreutzer auf. Aber die Besetzer scheinen gegenüber derartigen Vereinnahmungsversuchen bislang ziemlich resistent zu sein. »Das gefällt den Leuten hier weniger«, meint Betriebsrätin Fischer.

Große Aufmerksamkeit und Unterstützung erhält die Belegschaft vor allem von linken Medien und Projekten. Das hängt sicherlich auch mit der spektakulären und charmanten Solida­ritätsaktion zusammen. Ob die Belegschaft einer Mikrowellen-Fabrik oder eines Autoherstellers ähnlich unterstützt würde, ist fraglich.

Und was geschieht, falls es nicht klappt mit der Produktion in Selbstverwaltung? »Dann«, meint André Kegel, »war es auf jeden Fall ein Versuch.« Die FAU kritisiert in einer Erklärung: »Die Politik bewegt sich nicht, die möglichen Subventionen der EU werden nicht eingeklagt, die vorläufig ein­gesetzte Insolvenzverwaltungsfirma Wutzke & För­ster weiß bereits vor der Erstellung des Insolvenz-Gutachtens, dass das Werk ›geschlossen werden muss‹, da es keinen neuen Investor gebe.« Wenn in dieser Woche noch viele Menschen das Strike-Bike bestellen, könnten sich die Insolvenzverwalter geirrt haben.