Leeres Paradies

Die schamanisch-ökologische Bewegung Pachamama Universal ist in ganz Latein­amerika bekannt. Ihr spiritueller Führer und Initiator Chamalú betreibt im Regenwald Boliviens eine Kommune, in der er in den vergangenen Jahren viele »moderne Menschen«, insbesondere aus dem Westen, in das alternative Leben und die innere Revolution eingeführt hat. Umweltbewegte Besucher konnten dort auch lernen, wie man die Erde »heilen« und den Regenwald schützen kann. Doch dem vermeintlichen Paradies droht nun die Krise: Die Kommune wird derzeit kaum mehr besucht. von ben beutler (text und bilder)

»Señor Espinoza? Sie meinen wohl den Chama­lú. Klar kennen wir den.« Wir sind auf der Suche nach Luis Ernesto Espinoza Sánchez. Weit scheint es also nicht mehr zu sein. »Ihr müsst wieder ein Stück zurückfahren«, heißt es. Wir steigen wieder in unser aufgeheiztes Taxi ein, die Irrfahrt durch das grüne Tal unweit von Cocha­bamba geht weiter. Langsam entfernt sich das irrtümlich angesteuerte Dorf. Der mit Reisig bepackte Bauer, der uns zuvor den falschen Weg gewiesen hatte, ist nirgends mehr zu sehen, dafür aber ein kleines Holzschild, das wir auf dem Hinweg wohl übersehen haben: »Planet des Lichts«. Darüber ein selbst gemalter Regenbogen. Wir biegen links ab, passieren eine bewachte Schranke, die ohne die ansonsten üblichen Fragen geöffnet wird. Bahn frei, die Vegetation wird dichter und dichter, über einem Tor ist die einladende Schrift zu lesen: »Kommune Janaj­pacha. Hier beginnt das Paradies!«

Ganz einfach ist der Zutritt zu diesem Ort der Seligkeit aber nicht. Der Fahrer ist gezwungen, den Wagen zu stoppen. Vor uns steht eine fast drei Meter hohe Steinmauer, bemalt im Hippie-Stil mit Blümchen, Sonne, Mond und Sternen. In allen Weltsprachen steht »Willkommen« darauf geschrieben. Der einzige Durchgang ist ein schweres Tor aus Tropenholz. Rechts und links flankieren Köpfe wie auf den Osterinseln die Riesentür, allerdings sind sie mit Goldlack bepinselt, der bereits abblättert. Ich steige aus dem Taxi, das in respektvollem Abstand vor dem Gelände geparkt wurde, und gehe langsam auf das irgend­wie deplatziert wirkende, aber dennoch beeindruckende Ensemble zu. Zwei billige Klingeln aus Plastik beeinträchtigen den Eindruck, den die Kommunebewohner offenbar hervorrufen wollen: dass sie im Einklang mit der Natur leben. Die Klingelschilder sind offenbar am hauseigenen Drucker hergestellt: Im Büro und im Hotel kann man sich anmelden. Die paradiesische Illusion ist dahin. Das macht aber nichts, denn die Natur wirkt ungestört auf Leib und Seele, die Luft auf fast 3 000 Metern Höhe ist sauber und klar, der Himmel nah. Die Sicht ins oft verrauchte Tal ist kaum getrübt, Adler kreisen am Himmel. Ich drü­cke beide Klingelknöpfe gleichzeitig. Nichts rührt sich. Schon will ich unverrichteter Dinge zum Auto zurückgehen, da öffnet sich in der großen Tür eine winzige Schießscharte. Durch den Schlitz fragt eine dünne Frauenstimme unfreund­lich: »Was wollen Sie hier?« Ich nenne dreimal meinen für spanische Ohren schwer verständ­lichen Namen. »Ich bin der deutsche Journalist.« Kurze Stille tritt ein. Das scheint das Sesam-öffne-dich gewesen zu sein. Mit lautem Knallen löst die wortkarge Wächterin die Riegel und Schlösser, ein deutscher Schäferhund bellt mir entgegen. Schnell werden wir hereingewunken und rollen in das selbst ernannte Ökoparadies. Hinter uns wird zugeschlossen. Jetzt fehlt nur noch der Grund unseres Kommens: Chamalú.

Er ist nicht da, wohl unterwegs. »Kommt sofort.« Soeben hat ihn die Empfangsdame per Mobiltelefon von unserer Ankunft informiert. Sie entschuldigt sich kurz, bis zu seiner Ankunft könne sie uns eine Führung über das Gelände anbieten. Einverstanden. Catherine de la Trinidad ist Anfang 30 und kommt aus Venezuela. In ihrem »vorherigen Leben« hatte sie einen gut bezahlten Bürojob, doch habe sie irgendwann gemerkt, dass ihr »etwas« fehlte. Zufällig sei ihr ein Buch von Señor Espinoza alias Chamalú, dem Gründer der Kommune Janajpacha, in die Hände gefallen; darin schreibt er über Jahrhunderte alte Anden-Weisheiten, über Mutter Erde – Pacha­mama – und die Folgen des globalen Konsumterrors für Natur und Mensch. Catherine gab alles auf und flog nach Bolivien. Im obligatorischen Bewerbungsgespräch konnte sie Chamalú von ihrer ehrlichen Bereitschaft überzeugen, in der nach kommunitären Prinzipien funktionierenden Gemeinschaft über einen längeren Zeitraum mitwirken zu wollen. Wer diese erste Hürde über­wunden hat, lebt hier umsonst, bekommt Essen und ein Zimmer in einem der Wohntürme aus Lehm mit Strohdach. Die anderen müssen dafür entweder bezahlen oder gehen.

Das grüne und schattige Areal zieht sich weitläufig über den Berghang. »Es gibt ein ökolo­gi­sches Hotel, eine Klinik mit alternativen Heilmethoden, einen Pool, eine ökologische Sonnensauna, Mülltrennung, einen Konferenzraum, eine Theaterbühne, eine ökologische Disko«, erzählt Catherine. Hier scheint alles öko zu sein. Doch wo sind die Gäste, die anderen Bewohner der Kommune? Die Antwort kommt zögerlich: »Wir haben gerade wenige Bewohner, viele haben uns verlassen. Auch im Hotel. In der Saison gibt es hier meistens so zwischen 30 bis 50 Leute.« Weit und breit ist kein einziger Tourist zu sehen, wo sie doch andernorts im Land zuhauf herumlaufen. Dennoch ist das Angebot vielfältig, es richtet sich sowohl an Esoteriker als auch an Geschäftsleute. Auf dem Gelände befindet sich ein unspektakuläres zweistöckiges Haus aus Beton, wo der genügsame Besucher ein relativ einfach eingerichtetes Zimmer mieten kann, dort findet sich aber auch die riesige Executive Suite auf der ersten Etage – mit Fernseher, Wireless-Lan und Whirlpool. Ganze Firmenpakete kann man buchen: »Anti-Stress-Wochenende für Manager«, »Die Unternehmensstrategie für den Erfolg«, aber auch den Kurs »Die ökologische Kosmetik für die Sekretärin«. Auch in der internen Orga­nisation funktioniert die ökologische Kommune eher nach den Regeln der Hotelwirtschaft. »Für den Zimmerservice und die Reinigung kommen Anwohner aus der Umgebung her«, erzählt Ca­the­rine. Auch hier – wie in vielen anderen Tou­ris­tenparadiesen dieser Welt – wird der Seelen­ur­laub durch Outsourcing möglich gemacht.

»Diese bewohnbare Skulptur hat Chamalú selbst entworfen«, sagt Catherine. Wir stehen vor einem blütenblattartigen Gebäude, das aus einem unergründlichen Material erbaut wurde. In den blatt­förmigen Doppelbetten, die auf zwei Etagen in sechs kleinen Waben Platz finden, sollen sich die Besucher wie Käfer oder Raupen fühlen. Der star­ke Blumenduft, der durch die offenen Fenster strömt, soll unsensiblen Stadtnasen dabei hel­fen. Eine Treppe wie aus Baumpilzen führt aufs Dach, von dem man die wohl beste Sicht über die Kommune hat. Im architektonischen Zentrum der Gemeinschaft steht ein Schamanen-Tempel, in jeder Himmelsrichtung von ihm ist ein Wohnturm gebaut. Als Versammlungsplatz dient eine Wiese, auf der gerade zwei Lamas für die Gegend ungewöhnlich grünes Gras fressen. Hinter ihnen steht eine Bühne von beachtlichem Ausmaß, über­dacht von einem Steingewölbe voller Höhlenmalerei. Von den Hauswänden fordern Motivationsgraffiti zum Glücklichsein auf: »Dringend lieben«, »Ich lade Dich ein, frei zu sein«, »Ich genieße, also bin ich« und »Lasst uns die Utopie zur Wirklichkeit machen«. Wieder auf festem Boden laufen wir bergab, überqueren den verwaisten zweigeteilten Pool und gelangen schließlich in eine Empfangshalle aus Weidenholzgeflecht. Unerwartet und kaum von uns bemerkt erscheint eine andere Bewohnerin der Kommune und flüstert unserer Führerin ins Ohr: »Er ist da.« Wir neh­men auf den herumstehenden Weidenstühlen Platz. Señor Espinoza kommt sofort.

Wir fühlen uns ein wenig so, als würde uns ein König Audienz gewähren. Von drei Frauen begleitet, schreitet ein bunt gekleideter mittelgroßer Mann auf einem der Wege auf uns zu. Wir stehen automatisch auf. Die Frauen bleiben zurück, Chamalú tritt ein. Meine Hand drückt er nur schwach, wir begrüßen uns höflich und nehmen nebeneinander Platz. »Fangen wir direkt mit dem Interview an?« fragt er nach kurzem Hüsteln. Er will es also förmlich. Auf seinen Wollschal sind Hakenkreuze gestickt. Mit den Fragen fängt er an. Ob ich seine Bücher gelesen habe, beginnt er das Gespräch. Ich verneine das, kenne aber Teile seiner Biographie. 1982 gründete er nach dem Vorbild der europäischen Grünen die Ökologische Bewegung Pachamama und versuchte, mit ihr in der bolivianischen Parteienlandschaft Fuß zu fassen, jedoch ohne großen Erfolg. Gleichzeitig versuchte er, eine Schule für alterna­tive Medizin zu eröffnen, doch der Staat verweigerte ihm die nötige Genehmigung. Um seine Kenntnisse zu verbreiten, begann er 1984 mit welt­umspannenden Reisen, er wurde als Experte auf Konferenzen und Seminaren über Pädagogik und Heilkunde eingeladen, auch nach Europa. Im Nachbarland Argentinien füllte er einmal sogar ein ganzes Stadion. Weltbekannt sind die von ihm angeleiteten so genannten Erdheilungsverfahren, schamanische Rituale zur Wiederherstellung verloren gegangener Energieharmonien; eines davon hat er auch in Süddeutschland zelebriert. Ende der achtziger Jahre konnte er dank seiner Einnahmen Schritt für Schritt Land aufkaufen, auf dem er dann Ende der neunziger Jahre die Kommune Janajpacha gründete.

Eine junge Frau mit einem langem Poncho aus Lamawolle tritt in den von Büschen umfassten Weidenraum, die Vögel zwitschern so laut, dass sie das Gespräch beinahe übertönen. Sie setzt sich neben Chamalú, der seine Weltanschauung darlegt und über »die Dummheit, den Konsumis­mus, die Promiskuität« redet, über »Solidarität und Reziprozität« als Grundlage des Kommunelebens und über seine Gemeinschaft als eine »Kon­stellation von geflügelten Herzen, die in die gleiche Richtung fliegen«.

Er spricht durchaus geübt. Seine Rolle als Inter­viewter schmeichelt ihm, »große Reportagen« seien über ihn veröffentlicht worden, sagt er, in den neunziger Jahren habe die deutsche Cosmopolitan ihm »fünf Doppelseiten« gewidmet, als eines seiner Bücher in Argentinien in die Bestsellerliste vordrang, und das »obwohl damals nur zweiseitige Porträts üblich waren«, erzählt er stolz. Die Frau an seiner Seite streichelt liebevoll seine Hand, die in ihrem Schoß ruht, sein Nacken bekommt ab und zu eine Massage.

Auf die Frage, warum trotz der internationalen Bekanntheit so wenige Leute in der Kommune wohnen, bekomme ich keine eindeutige Antwort. »Viele Kommunen scheitern und versuchen es an einem anderen Ort, mit anderen Leuten, aber mit denselben Ideen.«

Angesichts der gesellschaftlichen Umbrüche in Bolivien scheint das introvertierte Kommune­leben nicht besonders angesagt zu sein – in einer Zeit, in der die Politik und die sozialen Bewegungen alle Aufmerksamkeit für sich beanspruchen. Dass man sich wieder verstärkt nach außen richtet, ist für die Buchhalter der Kommune ein Problem. Die von der Kommune herausgegebene Monatszeitung über Ökologie und Zeitgeschehen schreibt rote Zahlen. Chamalú wird älter, seine Kraft reicht nicht mehr aus für die anstrengenden Reisen um den Globus, allein vom Erlös aus dem Verkauf seiner zahlreichen Bücher können keine neuen Projekte begonnen werden. Darum müssen derzeit neue Einnahmequellen erschlossen werden. Man sei nun darauf angewiesen, mit NGO zusammenzuarbeiten, erzählt Cathe­rine. »Chamalú hat sich aber nicht getraut, den Kontakt herzustellen. Ich muss es für ihn machen.« In der Kommune machen die Frauen eigentlich alles, auch Pressearbeit und Fundraising.