Man kann nicht nicht über Sarkozy berichten

Sachbücher, Comicbände, Spielfilme. Der französische Präsident beherrscht längst nicht nur die Politikseiten, er ist auch zu einer literarischen Figur geworden. Von Bernhard Schmid

Man findet fast alles über Nicolas Sarkozy, in unterschiedlichen Genres und Gattungen. Vielfältig ist die kulturindus­trielle Produktion, die sich mit dem französischen Präsidenten beschäftigt. Das hat es so in der Vergangenheit noch nie gegeben, jedenfalls nicht zu Zeiten der bürgerlichen Republik. Nur Napoleon Bonaparte, mit dem Sarkozy hin und wieder verglichen wird und in dessen Nähe er sich bisweilen selbst gern rückt, spielte da noch mal in einer anderen Liga.

Am Dienstag strahlte der Sender France 2, der öffentlich-rechtliche zweite Kanal des französischen Fernsehens, den Spielfilm Human Bomb aus. Protagonist und als strahlender Superheld dargestellt: Nicolas Sarkozy. Gespielt wird Sarko­zy von dem Schauspieler Frédéric Quiring, der nach Auffassung der meisten Kritiker seine Rolle »glaubwürdig« spielt. Um Missverständnissen vorzubeugen: In dem Film geht es zwar, wie der Titel nahelegt, um eine »menschliche Bombe«. Bei dieser handelt es sich allerdings nicht um den notorisch hyperaktiven Politiker Sarkozy, auch wenn dessen Wutausbrüche im engeren Kreise seiner Berater inzwischen im ganzen Land berühmt-berüchtigt sind.

Vielmehr stellt der Film die Geiselnahme in einem Kindergarten im Pariser Millionärsvorort Neuilly-sur-Seine im Mai 1993 nach. 46 Stunden lang hatte sich dort der hochverschuldete und depressive Informatiker Eric Schmitt verschanzt. Der Mann drohte damit, sich selbst und die Kin­der einer Vorschulklasse in die Luft zu sprengen, falls man ihm nicht 100 Millionen Francs gebe. Der junge und ehrgeizige Sarkozy war damals Bürgermeister von Neuilly. Und er verhandelte persönlich mit Eric Schmitt, der sich nur mit dem Kürzel HB – für human bomb – anreden ließ. Die Nation verfolgte das Geiseldrama gebannt auf den Bildschirmen. Damals traten einige Cha­raktereigenschaften Sarkozys, der zu jener Zeit auch bereits Regierungssprecher im Kabinett von Edouard Balladur war, hervor: eine Vorliebe für Action, eine Spur kaltblütiger Unverfrorenheit und die Lust auf die direkte Konfrontation mit dem Gegner. Aug’ in Aug’.

Am Ende wurde der Geiselnehmer mit Betäubungsmitteln, die seinem Kaffee beigemischt waren, in Tiefschlaf versetzt. Während er fest schlief – was überprüft wurde, indem man die Kinder geräuschvoll die Möbel im Gebäude hin- und herrücken ließ –, wurde er von einem Sondereinsatzkommando der Polizei getötet, mit drei Kopfschüssen aus nächster Nähe. Eine Hinrichtung eines zu dem Zeitpunkt Wehrlosen, wie Kritiker meinen, die seit damals nicht verstummen mögen, oder die einzige Möglichkeit, zu ver­hindern, dass der Mann doch noch die Bombe zündet, wie der Todesschütze sich rechtfertigt? Der Film lässt die Frage unbeantwortet.

Die Zuschauer lernen jedenfalls erstens: Wer sich mit Nicolas Sarkozy – Auge in Auge – anlegt, könnte schlimm enden. Und zweitens: Ihr Präsident ist wirklich ein toller Kerl, ein Superheld, der Großartiges geleistet hat – auch wenn die Aktion in Wirklichkeit vor allem von Psychologenteams, die aus Eliteeinheiten der französischen Polizei zusammengestellt worden waren, gemanagt wurde.

Dass ein amtierender französischer Präsident als Figur in einem Spielfilm auftaucht, hat es noch nicht gegeben. Auch vergeht kein Tag, an dem er nicht minuten- oder gar stundenlang in den Nachrichtensendungen, Politmagazinen und anderen Beiträgen der verschiedenen Fernsehstationen zu sehen ist. Auch die Titelseiten der Zeitungen scheinen geradezu für ihn reserviert zu sein, vor allem natürlich die der Regenbogenpresse, die immer wieder einen Anlass findet, über Sarkozy zu berichten. Und fehlt der starke Mann Frankreichs einmal im Blatt, dann bestehen gute Chancen, dass er dort von seiner Ehefrau Cécilia vertreten wird. Frau Sarkozy schmückte vergangene Woche die erste Seite mehrerer Zeitschriften. Die Geschichte ist dünn: Ihr verstorbener erster Ehemann, Jacques Martin, war ein beliebter Fernsehmoderator. Nicolas Sarkozy hatte in seiner Funktion als Bürgermeister die beiden dereinst getraut und Martin später die Frau ausgespannt. So eine Geschichte gefällt dem Publikum. Sie ist zumindest nicht ganz so langweilig und öde wie die ständigen Seitensprung-Geschichten von Jacques Chirac und die streng katholisch fundierte Empörung seiner Gattin Bernadette. Er hatte zwar einige Affären, aber seine Frauengeschichten interessierten niemanden.

Überhaupt hätte Sarkozys Amtsvorgänger nicht zur Film- und Romanfigur getaugt. Über ihn wurden trockene Sachbücher geschrieben und Witzfilmchen gedreht, in denen eine Chirac-Puppe als Supermenteur (Superlügner) auftrat – das war’s auch schon. Erst kurz vor Ende seiner Amtszeit wurde im vergangenen Jahr ein Film auf den Markt gebracht, in dem die Person Jacques Chirac im Mittelpunkt stand. Der Film reih­te seine politischen Versprechungen aus seiner Karriere aneinander, um den Eindruck zu erwecken, dass dieser Mann alles und das Gegenteil davon versprochen habe – und nichts davon Sub­stanz hatte.

Sein Nachfolger ist da anders. Wenn Chirac vor Wahlen wohlklingende Versprechungen machte und erst später – nach dem Wahltermin – unschöne »Reformprojekte« aus der Schublade zog (weshalb sich die Leute massenweise hintergan­gen fühlten und protestierten), bekennt Sarkozy von Anfang an Farbe. Tatsächlich entspricht die Politik, die er real betreibt, durchaus dem, was er zuvor angekündigt hat. Einschränkung des Streik­rechts? Ich hatte es euch doch gesagt! Ver­längerung der Lebensarbeitszeit? Ihr wart gewarnt! Damit erntet er bei so manchen Leuten Anerkennung für seinen »Mut« und seine Offen­heit, zumal seine Wähler (vor allem Männer) gerne so hart und durchsetzungsfähig wären wie er. »Unverschämt gewinnt« lautet die Botschaft. Und man möchte sich gar nicht wirklich darüber aufregen. Deswegen wohl auch der Trend, das Ganze lieber wie eine gekonnte schauspielerische Inszenierung zu genießen, es als Quasi-Fiktion zu betrachten.

Nun hat sich auch noch die französische Star­autorin und Dramatikerin Yasmina Reza Sarkozys angenommen und ihn in ihrem 200seitigen Buch mit dem poetischen Titel »Die Dämmerung, der Abend oder die Nacht« auf sehr persönliche Art porträtiert. Die 48jährige Schrift­stellerin, die in Paris geboren wurde und deren Familie aus dem Iran, aus Russland und aus Ungarn stammt, hat ihr letztes Buch über ihn geschrieben, nachdem sie bislang vor allem mit Theaterstücken reüssiert hatte. Nun interessiert sie sich erstmals für die Inszenierung von Politik. Ihr Buch wird mittlerweile als Anwärter für den renommierten Goncourt-Literaturpreis gehandelt.

Seit dem Herbst 2006 konnte sie den damaligen Innenminister und Präsidentschafts­kan­di­da­ten im Wahlkampf begleiten. Reza hatte Sarkozy zuvor ihr Projekt vorgestellt, und dieser hatte dem Vorhaben sofort zugestimmt. Sie begleitete ihn, bis Sarkozy im Mai zum Staatsober­haupt gewählt wurde.

Am 24. August erschienen, hat das Buch, das selbst in Bahnhofsbuchhandlungen erhältlich ist, sich binnen eines Monats über 200 000 Mal verkauft. Noch immer rangiert es in den Top Ten der Bestsellerlisten. Sarkozy sells. Dabei erfährt man in dem Buch keine Geheimnise, es gibt keine Enthüllungen, die das politische Wirken Sarkozys in einem neuen Licht erscheinen lassen würden. Denn dafür interessiert sich Yas­mina Reza nicht. Es geht ihr vielmehr, wie zuvor in mehreren ihrer Theaterstücke, um die Spannung zwischen dem, was eine Figur sein möchte, und dem, was sie tatsächlich ist.

In dieser Hinsicht ist das Werk – das über keine zentrale These und keinen roten Faden verfügt – reich an kleinen, in sich geschlossenen Szenen, in denen Yasmina Reza dieses Span­nungs­feld darstellt. Es schält sich das nicht wirk­lich überraschende Bild eines Mannes heraus, der es ständig eilig hat, der kaum etwas um ihn herum wahrnimmt. Einer, der fast gänzlich auf sein Ziel, auf seine Mission konzentriert ist. Die Autorin fragt sich, ob Sarkozy die Landschaft wahrnimmt, die im Zug »nutzlos an ihm vor­bei­fliegt« oder ihm bei einem Besuch in Korsika »zu Füßen liegt«. Nein, lautet ihre Antwort. Immer aufs Neue wird geschildert, wie Sarkozy in einer »wandelnden Festung« von Kameras und Mikrofonen voranschreitet, und weder selbst etwas von seiner Umgebung wahrnehmen noch vom Publikum gesehen werden kann.

Besonders eindrucksvoll ist etwa die Schilderung seines Besuchs auf einem christlichen Fried­hof in der nordafrikanischen Metropole Algier, während einer Kurzvisite in Algerien. Die Journalisten prügeln sich um die besten Plätze in der Nähe Sarkozys, »stolpern über Grabplatten, werfen Grabsteine um«. Zurück in Frankreich erklärt Sarkozy: »Ich ging auf den christlichen Friedhof, um mich zu besinnen.«

Dinge, die bis dato unbekannt gewesen wären, entdeckt man kaum bei der Lektüre, oder allenfalls am Rande, wenn man sehr genau hin­schaut. Man erfährt etwa, welch intensive Bezieh­ungen autokratische Herrscher des französischen Einflussgebiets – von Abdelaziz Bou­te­fli­ka bis zum seit 40 Jahren amtierenden Präsiden­ten Omar Bongo – zum Kandidaten Sarkozy pfleg­ten. Bei ihnen holte er sich zum Teil Rat. Algeriens Bouteflika war es demnach, der Sarkozy dazu geraten hat, im Wahlkampf auch hin und wieder seine soziale Ader erkennen zu lassen. Man erfährt auch, dass der Chef eines der größten Umfrageinstitute – IPSOS – Sarkozy vor der entscheidenden Fernsehdebatte mit seiner Gegenkandidatin, Ségolène Royal, coachte und mit ihm per Du ist. Auch kann man sich aus einer Szene erschließen, dass Sarkozy während seiner Wahlkampftournee fremdging. Auch das verwundert freilich kaum, seine Eheprobleme waren bereits zuvor bekannt.

Cécilia Sarkozy, die oftmals im Mittelpunkt der Neugier der französischen Öffentlichkeit stand (und steht), durfte Yasmina Reza übrigens nicht oder nur ganz am Rand in ihrem Buch erwähnen. Das war Teil ihrer Abmachungen mit Nicolas Sarkozy, mit dem und mit dessen Umgebung sie sich offenkundig duzte. Ansonsten durf­te Reza beobachten und ohne Vorgaben schreiben. So kann sie etwa Passagen seiner »Rede an die Jugend« – auf wenigen Seiten fällt 54 Mal das Wort »Liebe« – gnadenlos verreißen. Sarko­zy dürfte das im Nachhinein gleichgültig sein.

Sarkozy im Film, Sarkozy in der Literatur, Sar­kozy in der Regenbogenpresse: Was kommt als nächstes? Das Publikum wartet gespannt. Unterdessen ruft eine Gruppe kritischer Journalisten, die sich unter dem Namen »Sammlung für Demokratie im Fernsehen« zusammengeschlos­sen hat, für den 30. November zu Unerhörtem auf: Einen »Tag ohne Nicolas Sarkozy in den Me­dien« soll es geben. An diesem Tag soll der Präsident, so lautet ihre Forderung an alle Journalisten und Medienschaffenden, weder erwähnt noch gelobt oder kritisiert werden. Der Aufruf hat viel Staub aufgewirbelt, die Presse hat breit darüber berichtet. Der Sprecher des Präsidentenamts, David Martinon, erwiderte jüngst auf einer Pressekonferenz sarkastisch darauf, die Journalisten könnten sich ja aussuchen, »ob sie an dem Tag freiwillig Zensur in Kauf nehmen oder aber einen Urlaubstag nehmen«. 24 Stunden, an denen es nichts über Sarkozy zu sehen, hören oder lesen gäbe – es ist einfach un­vorstellbar.