Wechselspiel der Differenzen

Eine Anthologie versammelt postkoloniale Perspektiven von People of Color. Von Philipp Dorestal

Wo kommst du denn her, ich meine, so wirklich?« Mit dieser Frage sehen sich immer wieder Menschen konfrontiert, die nicht die »typisch deutschen« Attribute wie blondes Haar und blaue Augen aufzuweisen haben. Gegen die in dieser Frage mitschwingende Annahme einer »weißen Normalität«, die alles davon Abweichende unter Rechtfertigungszwang stellt, intervenieren die AutorInnen des Sammelbandes »re/visionen«.

Mithilfe »rassischer« Zuschreibungen wird die Bundesrepublik als »weiß« imaginiert und alles von dieser normativen Zuschreibung scheinbar Abweichende als Minderheit klassifiziert. Ob in Form eines Comics, einer wissenschaftlichen Rassismusanalyse oder mithilfe eines Erfahrungsberichts: die Beitragenden versuchen auf unterschiedliche Arten, den Konstruktcharakter dieser »Normalität« aufzuzeigen und kritisch zu hinterfragen. Dadurch, dass ausschließlich Positionen von People of Color versammelt sind, soll den vom Mehrheitsdeutschland marginalisierten oder ignorierten Menschen ein Raum gegeben werden.

Die terminologischen Probleme von Fremdbezeichnungen wie »Nicht-Weiße« oder »Minderheit« werden bei genauerer Betrachtung offensichtlich, da sie – statt gesellschaftliche Realitäten kritisch zu erfassen – nur innerhalb der dominanten Perspektive verbleiben. Denn »Nicht-Weiß« operiert lediglich mit einer Negation des Weißseins und belässt dieses in der Position der Definitionsgewalt, während der Begriff »Minderheit« das als quasi natürlich erscheinen lässt, was Resultat geschichtlicher, sozialer und diskursiver Ausschlussprozesse ist.

Bei dem Begriff People of Color handelt es sich im Gegensatz dazu, wie die HerausgeberInnen betonen, um eine Selbstermächtigung, da der in rassistischer Tradition stehende Begriff »Colored« (»Farbige/r«) aus den USA der sechziger Jahre aufgenommen und als Selbstbezeichnung umcodiert wurde. Der Band versammelt Beiträge von Engagierten und AutorInnen verschiedener sozialwissenschaftlicher Disziplinen, so dass sich neben Paneldiskussionen von künstlerisch Tätigen auch amüsant zu lesende ethnologische Betrachtungen zu deutscher Volksmusik, Reflexionen über HipHop und eine Intervention zu »Queer-Imperialismus« finden.

Kien Nghi Ha analysiert die koloniale Arbeitsmigrationspolitik im »Imperial Germany«. Der Autor zeigt, dass die Forderungen nach einer begrenzten, einträglichen und mit der deutschen »Leitkultur« zu vereinbarenden Zuwanderung keineswegs neu sind, sondern ihre historischen Wurzeln schon im wilhelminischen Kaiserreich haben. Ab Ende der achtziger Jahre des 19. Jahrhunderts wurde in der ostpreußischen Agrarwirtschaft eine grenznahe Arbeitsmigration forciert, die mit anti-polnischen Bestimmungen reglementiert und dann in den folgenden Jahren ausgedehnt wurde, um möglichst »billige und willige« Arbeitskräfte aus Osteuropa zu rekrutieren.

Heike Berner und Sun-ju Choi liefern einen kurzen historischen Abriss über die Situation koreanischer Krankenschwestern in Deutschland, die in den sechziger Jahren angeworben wurden, sich hier niederließen, in den Siebzigern aber wieder zurückgeschickt werden sollten. Im anschließenden Gespräch kommen Mitglieder der koreanischen Frauengruppe zu Wort, die erzählen, wie sie sich wegen der drohenden Ausweisung aus Deutschland politisierten und gemeinsam mit anderen Koreanerinnen Protest und Widerstand organisierten.

Insgesamt stellt der Band wegen der Vielfalt der Perspektiven eine anregende und fast durchweg gut lesbare Zusammenschau widerständiger theoretischer Analysen und Schilderungen von Praktiken gegen Rassismus in Deutschland dar. Zu kritisieren bleibt an »re/visionen«, dass eine kontroverse Debatte des »People of Color«-Konzepts unterbleibt, wenngleich Kien Nghi Ha in seinem Einführungsbeitrag en passant auf Kritik am »People of Color«-Begriff verweist, wie er von schwarzen TheoretikerInnen formuliert wurde. Dass der Begriff People of Color per se und strukturell selbstreflexiv sei und so den Fallstricken der Identitätspolitik dadurch entgehe, dass nicht auf singuläre Unterdrückungsverhältnisse geschaut, sondern multiperspektivisch verschiedene Dominanzverhältnisse in den Blick genommen würden, wird zwar als These postuliert, bedürfte aber einer genaueren Ausführung, als dies eingangs unternommen wird.

Kien Nghi Ha/Nicola Lauré al-Saramai/Sheila Mysorekar (Hg.): re/visionen. Postkoloniale Perspektiven auf Rassismus, Kulturpolitik und Widerstand in Deutschland. Unrast, Münster 2007, 24 Euro