Buch zum Ball

Auf dem Fußballbuchmarkt herrscht nach dem WM-Boom 2006 wieder die gewohnte Flaute. Das ist besser als nichts. von martin krauss

Früher wurden Fußballbücher noch von Ghostwritern geschrieben. Auf den Buchdeckeln standen dann Namen wie Fritz Walter, Helmut Rahn oder Uwe Seeler. Früher hieß der Spit­zentitel im Segment der Fußball­bücher jahrelang »Einer wie ich«, später dann »Ich«, und alle wussten, dass dahinter nur Er stecken konnte, Franz Beckenbauer.

Und früher hatte dieser Zweig der Buchbranche auch eine übersichtliche Kontinuität, denn alle zwei Jahre kam nach der jeweiligen EM oder WM der neue Faßbender oder der neue Valérien heraus: dicke Bildbände mit schauerlichen Texten, deren einzige Qualität darin bestand, es schon zwei oder drei Wochen nach dem Finale in die Auslage geschafft zu haben.

Damit ist seit einem Jahr Schluss. Kein Faßbender mehr, stattdessen lagen zur Fußball-WM im vergangenen Sommer viele hochwertige Fußballbücher vor, die beinah an das in dieser Hinsicht einiges gewohnte England erinnerten.

Der Kölner Kiepenheuer & Witsch-Verlag legte eine Reihe auf, in der der spanische, der englische und der italienische Fußball vorgestellt wur­den; vor der WM gelang dem Verlag mit Chris­toph Biermanns »Fast alles über Fußball« ein Bestseller, und nach der WM mit »Deutschland. Ein Sommermärchen. Das WM-Tagebuch« von Sönke Wortmann und Christoph Biermann noch einmal.

Der Göttinger Werkstatt-Verlag, der seit 1992 qualitativ hochwertige Fußballbücher verlegt, bekam zur WM den verdienten Aufwind und bewies mit Titeln wie »Die Geschichte der Fußball-Weltmeisterschaft 1930 – 2006« von Dietrich Schulze-Marmeling und Hubert Dahlkamp, dass er zu Recht der führende Fußballverlag im deutschsprachigen Raum ist.

Vor allem Bücher des so genannten Fußballfeuilletons lagen vor der Weltmeisterschaft so aufdringlich in den Buchhandlungen herum, dass man sie nicht übersehen konnte. Eher intellektuelle Fußballfans, die jahrelang auf solche Titel gewartet hatten, wurden nun geradezu von ihnen erschlagen: So viel konnte man gar nicht lesen, wie plötzlich auf dem Markt war. Grandiose Bücher wie Franklin Foers »Wie man mit Fußball die Welt erklärt« (Heyne) oder Jürg Altweggs »Ein Tor, in Gottes Namen!« (Hanser) gingen fast unter.

Es sah wie ein Fußballboom aus, was sich An­fang 2006 im deutschen Verlagswesen abzeichnete. Auch linke Kleinverlage wollten daran par­tizipieren. Nicht nur solche wie der Kölner Papy­rossa-Verlag, der sich in den Jahren zuvor auch schon des Öfteren mit Fußballtiteln vorgewagt hatte, auch der Verlag Assoziation A, der mit Sport nie etwas zu tun haben wollte, legte auf einmal mit »Futbolistas« ein lesenswertes Buch zum Fußball in Lateinamerika vor.

193 Prozent mehr Umsatz als üblich machten die Fußballtitel im ersten Halbjahr 2006. Und 46 Prozent aller Sportbücher waren Fußballbücher.

Aber: Vom Fußballboom ist nichts mehr geblieben, er war etwa so nachhaltig wie das Som­mermärchen, von dem es doch hieß hatte, es habe Deutschland so gründlich zivilisiert.

Einerseits war die Nachfrage nach Fußballbüchern bei Fans dreimal so groß wie in den Vorjahren. Aber andererseits war das Titelangebot zehnmal so groß. Und während der WM passierte gar nichts. »Das Fußballfest der letzten vier Wochen brachte keine Käufer in die Buchhandlungen«, hieß es in einer Analyse des Börsenvereins des deutschen Buchhandels, die sofort nach der WM erstellt wurde. Ein Minus von 4,1 Prozent war im Sommer zu beklagen. Und die Verlage legten nach der WM kaum noch Fußballbücher auf. Unter den nominierten Titeln für den »Deutschen Fußball-Kulturpreis 2007« beispielsweise, vergeben von der »Deutschen Akademie für Fußball-Kultur«, selbst ein Relikt aus den Tagen vor der WM, waren allein vier Titel des Werkstatt-Verlags, darunter auch das Buch, das am Ende gewann: »Im Schatten des Spiels. Rassismus und Randale im Fußball« von Ronny Blaschke.

Für die Euro 2008, die in Österreich und der Schweiz stattfindet, mithin in zwei deutschspra­chigen Ländern, ist kein neuer Fußballbuchboom zu erwarten. Verlage, die aufs schnelle Geschäft gehofft hatten, werden keine Titel mehr vorlegen. Und die renommierten Verlage bleiben bei Titeln, deren Erfolg halbwegs berechenbar ist. Vom Werkstatt-Verlag beispielsweise kommt »Die Geschichte der Fußball-Europameisterschaft« vom bewährten Autorenteam Dietrich Schulze-Marmeling und Hubert Dahlkamp und der erste Band einer »Weltfußball Enzyklopädie« von Hardy Grüne. Speziell für die EM gibt es »Das große Buch der österreichischen Fußballstadien«. Den Ruf, ein kritischer Fußballverlag zu sein, bewahrt Werkstatt mit »Querpass. Sport und Politik in Europa und den USA« von Andrei S. Markovits und Lars Rensmann. Der Band enthält Essays der zwei in den USA lehrenden Sozialwissenschaftler über Fußball und Globalisierung über den Wandel der Sportkulturen.

Der Agon-Verlag aus Kassel, in dem Statistik- und Nachschlagebücher erscheinen, bringt eine »Bildgeschichte des deutschen Fußballs« heraus: seltene Fotodokumente aus der Vorbundesligazeit, also von 1947 bis 1963.

Der Essener Klartext-Verlag hat mit dem Sam­melband »Das Spiel mit dem Fußball« schon im Frühjahr einen großen Wurf gelandet. Journalisten und Wissenschaftler gehen auf hohem Niveau beinah allen Fragen nach, die Soziologen und Historiker an den Sport haben.

Dass der Fußballboom des vorigen Jahres in deutschen Verlagen also schon schnell zu Ernüchterung führte, ist eher zu begrüßen denn zu beklagen. Nicht nur die – auch linken Sportbetrachtern nicht fremde – Überzeugung, dass man über Fussball machen könne, was man wolle, es würde schon gekauft, hat sich als falsch erwiesen. Auch die hiesige Unsitte, Fußballliteratur durch bekannte Fernsehgesichter, die von den Covern dicker Bildbände grinsen, verkaufen zu wollen, ist sympathischerweise verschwunden. Übrig geblieben sind die Autoren und Verlage, die sich schon seit Jahren kom­petent um Fußball kümmern.

Jürgen Mittag/Jörg-Uwe Nieland (Hg.): Das Spiel mit dem Fußball. Interessen, Projektionen und Vereinnahmungen. Klartext-Verlag, Essen 2007, 592 S., 27,90 Euro

Thomas Metelmann/Hans Vinke: Bildgeschichte des deutschen Fußballs. Band I: Deutsche Fußballmeisterschaft 1947 bis 1963. Agon, Kassel 2007, 160 S., 25 Euro

Andrei S. Markovits/Lars Rensmann: Querpass. Sport und Politik in Europa und den USA. Werkstatt-Verlag, Göttingen 2007, 200 Seiten, 18,90 Euro

Dietrich Schulze-Marmeling/Hubert Dahlkamp: Die Geschichte der Fußball-Europameisterschaft. Werkstatt-Verlag, Göttingen 2007, 400 S., 24,90 Euro