Ein Bett ist schon Luxus

Für einen Platz in einem Zwei- oder Dreibettzimmer sind Studenten in Rom bereit, bis zu 400 Euro zu bezahlen. Insbesondere in Universitätsstädten verlangen Eigentümer exorbitante Preise, fast immer ohne Mietvertrag. Widerstand bildet sich angesichts der chronischen Wohnungsnot kaum. von catrin dingler, rom

Dass in Rom das Universitätssemester beginnt, fällt beim Müllentsorgen auf. Auf den Tonnen kleben nicht nur wie gewohnt die Werbeanzeigen kleiner Umzugsunternehmen, sondern immer mehr private Anfragen: Studenten, »seriös«, »zuverlässig« und »anständig«, suchen nach einem Zimmer oder wenigstens nach einem posto letto, einem Bett in einem Zwei- oder Dreibettzimmer. Meist steht die Suchanzeige auf einer billigen Kopie, deren Rand die übliche Borte aus Telefonnummernstreifen ziert, seltener sind farbige Aufkleber, oft sind es nur eilig handgeschriebene Zettel: »Zimmer gesucht«, eine Telefonnummer, mehr nicht.

Zimmersuchen in Rom ist eine dreckige Angelegenheit. Das Anzeigenblatt Porta Portese ist kaum mehr als ein in Plastikfolie eingeschweißter Packen Altpapier. In seiner immer gleichen schäbigen Aufmachung erscheint es dienstags und donnerstags. Schon während des Aufblätterns beschmiert man sich mit Druckerschwärze. Die Seiten sind so dünn, dass sie beim Umblättern einreißen. Die Spalten sind schmal, der Schriftgrad winzig, es ist mühsam, die ansatzweise nach Preisklasse und Stadtviertel geordneten Angebote zu entziffern. Immerhin findet man einen Teil der Angebote inzwischen auch auf der Internetseite der Zeitung, das macht die Suche ein wenig einfacher. Doch die Ästhetik der Internetseite kann nicht über die Misere des Angebots hinwegtrösten.

Die Region Latium zählt 250 000 Studenten, die meisten sind an einer der drei staatlichen Universitäten der Hauptstadt eingeschrieben. 85 000 studieren fuori sede, was wörtlich »außer Haus« bedeutet. Gemeint ist, dass sie nicht aus der Stadt kommen, in der sie sich eingeschrieben haben. Andernorts eine Selbstverständlichkeit, bilden die zugereisten Studenten in Rom eine eigenständige Kategorie. Verantwortlich dafür sind nicht nur die sprichwörtlichen italienischen Familienbande, sondern das Schicksal, das die fuori sede in der fremden Stadt erwartet. Die Tageszeitung La Repubblica bezeichnete die bedauernswerten Auswärtigen jüngst als die »Verdammten« des Unibetriebs, weil sie auf dem Weg in die Vorlesungen erst einmal die Höllenkreise des römischen Wohnungsmarkts ablaufen müssen. Tatsächlich ähnelt dieser dem Dante­schen Fegefeuer. Nur knapp 20 Prozent der Mietwohnungen sind in öffentlicher Hand, der private Markt ist nach der Deregulierung Ende der neunziger Jahre, als der gesetzlich festgelegte Mietspiegel abgeschafft wurde, völlig außer Kontrolle geraten. Nach einer Studie der Mietergewerkschaft Sunia stiegen die Mietpreise in Rom zwischen 1999 und 2006 um 112 Prozent. Nach einer Umfrage des Studentenportals studenti.it liegen insbesondere die Mieten für Zimmer in Universitätsnähe weit über dem nationalen Durchschnitt. Außerdem haben 80 Pro­zent der in Rom Studierenden keinen Mietvertrag.

Vor der katholischen Universität Tor Vergata, die etwas außerhalb des Stadtzentrums liegt, und der erst in den neunziger Jahren entstandenen Roma Tre bevorzugt die Mehrheit der fuori sede die altehrwürdige Universität La Sapienza, Italiens größtes Athenäum. Der Campus mit seinen riesigen, weißen Marmorbauten im typischen Stil der faschistischen Architektur liegt zwischen Hauptbahnhof, Zentralfriedhof und dem traditionsreichen Arbeiter- und Studentenviertel San Lorenzo. Die Vorlesungen beginnen erst Mitte Oktober, trotzdem sind die Campuseingänge, Telefonzellen, Bars und – natürlich – die Mülltonnen mit Zimmeranzeigen zugekleistert. Die Zahl der Angebote übertrifft die Zahl der Nachfragen. Zu Semesterbeginn wird sich das Verhältnis umkehren. Auf dem Weg zur Cafeteria sind viele Aushänge zu lesen. Die Preise sind unglaublich. Ein Bett im Doppelzimmer in unmittelbarer Nähe zur Uni kostet zwischen 350 und 400 Euro, entlang der einzigen beiden Metrolinien der Stadt bleibt der Preis stabil bei 300 bis 350 Euro; sinkt der Preis unter 300 Euro, ist klar, dass die Wohnung außerhalb, im römischen Umland liegt. Einzelzimmer werden seltener angeboten, die meisten liegen Richtung Cinecittà, entlang der Metrolinie A, die nicht direkt mit der Sapienza verbunden ist, und kosten zwischen 450 und 550 Euro.

Ilaria kommt aus Umbrien, studiert im vierten Semester Philosophie. Wie jedes Jahr im September muss sie sich ein neues Zimmer suchen. Ihre Eltern können sie finanziell unterstützen, deshalb kann sie es sich erlauben, nach einem Einzelzimmer zu suchen. Sie hat ein paar Seiten der Porta Portese vor sich liegen, die Prepaid-Karte ihres Mobiltelefons ist aufgeladen, jetzt kann sie anfangen, eine angestrichene Nummer nach der anderen abzutelefonieren.

»Einzelzimmer, 550 Euro plus Nebenkosten und Küchenbenutzung«, lautet die Anzeige. »Na ja, Sie können sich gerne morgens einen Kaffee kochen«, sagt die Frauenstimme am anderen Ende der Leitung, »aber essen können Sie ja in der Mensa an der Uni.« Ilaria entschuldigt sich, unter diesen Umständen ist sie nicht an dem Zimmer interessiert, sie verabschiedet sich höflich.

Die nächste Nummer: »Einzelzimmer, 600 Euro alles inklusive, Metroanschluss«. Wieder meldet sich eine Frau: »Ja, das Zimmer ist noch frei, Sie können es sich gerne anschauen.« Ilaria schreibt sich die Adresse auf und stellt fest: Die Gegend liegt nicht an einer der beiden Metrolinien. »Doch«, antwortet die Frau, »schon bald fährt hier die neue Metro C.« Ilaria lacht. Erst vor wenigen Wochen haben die archäologischen Vorstudien begonnen, mit dem Baubeginn für die neue Metrolinie ist frühestens in ein paar Jahren zu rechnen und nur, wenn sicher ist, dass auf der geplanten Strecke keine antiken Stadtanlagen liegen.

Die nächste Nummer: »Einzelzimmer, 550 Euro, Subaugusta, Nähe Metro«. Die Station Subaugusta gibt es wirklich, nur leider ist es eine der letzten der Linie A, das bedeutet mindestens eine Stunde Fahrzeit bis zur Innenstadt. Außerdem fährt die Metro nur bis 23.30 Uhr. »In der Gegend brauchst du eigentlich ein Mofa.« Ilaria hat keines und streicht die Anzeige von ihrer Liste. »Einzelzimmer, 450 Euro, Monteverde«. Das hört sich besser an. Das Viertel hält, was der Name verspricht. In der Nähe gibt es einen großen Park, und mit der Straßenbahn ist man in zehn Minuten im Zentrum. Am Telefon meldet sich eine ältere Frauenstimme: Ja, das Zimmer sei noch zu haben, es liege im oberen Stock ihres Einfamilienhauses. Dass man mit seinen Vermietern unter einem Dach wohnt, ist keine Seltenheit, daran darf man sich nicht stören. Wieder will Ilaria einen Besichtigungstermin vereinbaren. Doch die Frau zögert: »Nicht dass wir Zeit verlieren, es ist Ihnen doch klar, dass ich keinen Besuch wünsche, nicht?« Ilaria ist genervt, sie legt einfach auf, ohne sich zu verabschieden. Sie erzählt, dass es öfter passiert, dass ältere, verwitwete Frauen ein Zimmer in ihrer zu groß gewordenen Wohnung vermieten. Nicht selten handelt es sich dabei um das ehemalige Kinderzimmer. »An den Wänden hängen noch die Poster von den Popstars der achtziger Jahre, auf den Betten lagern Plüschtiere. Wenn du Glück hast, bieten sie dir an, einige in eine Schachtel zu packen, aber eigentlich wollen sie, dass du nichts veränderst.«

Das ist eine weitere Besonderheit des römischen Wohnungsmarkts: Die zur Miete angebotenen Räumlichkeiten sind möbliert. Riesige, klobige Schränke, muffige Kommoden, wacklige Bettgestelle und durchgelegene Matratzen bilden das übliche Inventar. Tische, die nicht nur zu klein, sondern auch viel zu niedrig sind, müssen als Schreibtischersatz genügen, ein Bücherregal gibt es fast nie. Aber das sind Widrigkeiten, mit denen man zu leben lernt. Man arrangiert sich, klebt eigene Plakate auf die hässliche Schrankwand und improvisiert ein Bücherregal aus leeren Pappkartons. »Ich bin schon froh, wenn sich das als ›geräumig‹ angebotene Zimmer nicht als eine winzige, dunkle, ehemalige Abstellkammer entpuppt, im schlimmsten Fall sogar ohne Fenster.« So ein Nachmittag am Telefon ist anstrengend, Ilaria ist frustriert.

Laura, eine Freundin von ihr, erzählt von einer Anzeige, die sie vorige Woche gelesen hat: »Junge Frau mit Kind vermietet Einzelzimmer, Euro 350 plus gelegentliches Babysitten«.

»Die Wohnung war wirklich gut, das Zimmer sehr schön, aber ich sollte tatsächlich jeden zweiten Abend auf das Kind aufpassen.«

Viele Zimmerangebote sind geschlechtsspezifisch: »nur für Frauen«, »nur für Arbeiterinnen« und sowieso »nur für Nichtraucherinnen«. Männer haben es anscheinend noch schwerer, ein Zimmer zu finden. Eine Anzeige lautet: »Einzelzimmer, auch für Jungs, Euro 370, kurze Woche«. Tommaso kommt aus den Abruzzen im Süden Italiens und erklärt, was der Zusatz »kurze Woche« bedeutet. »Das ist ein Zimmer, das du nur von Montag bis Freitag mieten kannst. Es ist für diejenigen Studenten, die am Wochenende nach Hause zu ihren Familien fahren.«

Am häufigsten ist natürlich der Zusatz »keine Ausländer«. Doch nicht alle Ausländer sind gleich. Wer aus Westeuropa kommt, gilt nicht als Ausländer. Im Gegenteil: Die meisten Vermieter freuen sich über Erasmusstudentinnen aus Deutschland oder Österreich. Sie gelten als ordentlich und zuverlässig, außerdem sind sie nach einem Jahr wieder weg, so dass die Miete problemlos entsprechend der Steigerungsrate erhöht werden kann.

Von den unerwünschten »Ausländern« gibt es an den staatlichen Universitäten erschreckend wenige. Nach einer Untersuchung der vatikanischen Universität Gregoriana waren 2005 nur 14 000 ausländische Studenten in Rom eingeschrieben, allein 10 000 davon an den Fakultäten des Kirchenstaats, an der Sapienza waren es dagegen knapp 3 000. Wo aber wohnen diese ausländischen fuori sede?

Vor dem ältesten Studentenwohnheim Roms, in der Via Cesare De Lollis, stehen vier junge Männer. Nur einer hat Lust, über seine Erfahrungen zu sprechen. Mirco kommt aus Albanien. »Ich wohne nicht im Wohnheim, aber ich hänge jeden Tag hier ab, weil viele meiner Kumpels hier wohnen.« Er selbst teilt sich mit zwei anderen Jungs eine Ein-Zimmer-Wohnung in Anagnina. »Klar, das ist ein bisschen außerhalb und natürlich auch ziemlich eng, aber wenigstens ist es verhältnismäßig billig.« Verhältnismäßig: immerhin 750 Euro, plus Nebenkosten und selbstverständlich ohne Vertrag.

Patrick kommt aus Kamerun und studiert im letzten Semester Medizin. »Im Haus wohnen fast nur Afrikaner und Osteuropäer. Italiener wollen hier nicht wohnen. Wenn sie ein Zimmer zugewiesen bekommen, lassen sie es leer stehen oder vermieten es auf eigene Rechnung weiter. Das ist natürlich nicht erlaubt, aber es kontrolliert ja niemand.« Ich frage ihn, wie die Stimmung im Haus ist. Er verzieht das Gesicht: »Ich habe ein Einzelzimmer, es ist in Ordnung, besser als nichts.«

Über die Studentenwohnheime war in den vergangenen Wochen in italienischen Medien viel zu lesen. Bisher stehen nur knapp 2 000 Betten zur Verfügung. In einem von Staat und Region gemeinsam finanzierten Projekt sollen in Rom nun sieben weitere Einrichtungen gebaut und zwei der vorhandenen saniert werden. Damit, sagt die zuständige Stadträtin Silvia Costa, werde man bis 2010 die Zahl der Betten für die fuori sede verdoppeln können. Die Wohnungsnot der römischen Studenten ist freilich auch mit 4 000 Betten nicht gelöst. Deshalb wurde ein weiteres Projekt ins Leben gerufen: die so genannte Miet­agentur. Bei ihr können sich Vermieter, die bereit sind, rechtsgültige Mietverträge abzuschließen, und Studenten, die eine Immatrikulationsbescheinigung vorweisen können, zur kostenlosen Vermittlung registrieren lassen. Damit will man versuchen, den Schwarzmarkt einzudämmen, und vor allem den Studierenden größere rechtliche Sicherheit garantieren. Mitorganisiert wird diese Agentur von der Behörde LazioDisu, einer Art Studentenwerk.

Maurizio Mignè, der verantwortliche Abteilungs­leiter, hat sein Büro gleich neben dem Studentenwohnheim. Als für einen Moment alle drei Telefone, die auf seinem Schreibtisch stehen, ruhig bleiben, drückt er mir ein Infoblatt in die Hand und eine Einladung zur Eröffnung der Agentur. Wie viele Vermieter sich bereits regis­trieren ließen, will er nicht verraten. »Das ist ein neues Projekt, das muss langsam wachsen, wir hoffen, dass es mit jedem Semester mehr werden.« Er klingt nicht sehr überzeugend. Allzu viele Vermieter, die die von ihnen gewünschte »maximale Seriosität« auch selbst demonstrieren, werden sich kaum finden. Zumal die versprochenen Steuervergünstigungen pro ordentlich angemeldeter Mietwohnung bei weitem nicht so hoch sind wie die Gewinne, die auf dem schwarzen Wohnungsmarkt erzielt werden können. Im Foyer der LazioDisu wirbt ein Plakat für eine andere Aktion der sich sehr bemüht zeigenden Frau Costa: »Adoptiert einen Studenten«. Hier wird den römischen Familien ernsthaft vorgeschlagen, einen fuori sede aufzunehmen und damit »ein Netz der Freundschaft und der Solidarität zu knüpfen«. Zwar sind bisher keine Fälle von Studenten bekannt, der in die Fänge einer solchen Gastfamilie geraten wären, doch zeigt diese Kampagne deutlich, dass die Wohnungsnot der Studierenden auf ein im Privaten zu lösendes Problem reduziert werden soll.

Dabei ist der chronische Wohnungsmangel in der italienischen Hauptstadt ein brisantes politisches Thema. Erst in der vergangenen Woche hat ein Urteil des höchsten italienischen Gerichtshofs das »Grundrecht auf eine Wohnung« für unantastbar erklärt, weshalb die Besetzung von leer stehenden Häusern durch Bedürftige nicht als Straftat verfolgt werden darf. Für die Gruppe Action, die seit mehreren Jahren in Rom zusammen mit Migranten, Studenten, Geringverdienenden und von Räumung bedrohten Familien Wohnungen und – immer öfter – ganze Häuser besetzt, ist das Urteil ein großer Erfolg. Allerdings hat sich in all den Jahren aus dem Heer der fuori sede keine politisch aktive Gruppe gebildet, die sich mit Action solidarisiert hätte. Auch im Viertel Casal Bertone, wo in unmittelbarer ­Nähe eines Studentenwohnheims mehrere alte Häuser besetzt wurden, kam es bisher zu keinen gemeinsamen »Actionen«.