El Mur in Frankfurt

Die Frankfurter Buchmesse hat einmal mehr einen antisemitischen Skandal. Kommentar von Thomas von der Osten-Sacken

Der diesjährige Schwerpunkt der Buchmesse, Katalonien, alleine mag fragwürdig erscheinen. Warum wurde nicht Spanien ausgewählt, sondern nur eine seiner autonomen Provinzen, deren nationalistische Regierung dann auch nur katalanisch schreibende Schriftsteller nach Frank­furt eingeladen hat?

Dies sind Fragen, die eigentlich nur in den Kultur­teilen der Zeitungen diskutiert werden müssten, hätte nicht das Frankfurter Fotografie Forum International (FFI) eine Begleitausstellung aus­gerichtet mit dem Titel: »NOU–NOW. Contempo­rary Catalan Photography«. Hier wird neben anderen Künstlern auch der Fotograf Joan Fontcuberta prä­sentiert und von ihm unter anderem ein Bild namens »El-Mur«, die Mauer. Darauf ist ein arabischer Mann zu sehen – das zeigt die Kopfbedeckung – vor jenem Teil des Sperrzaunes zwischen Israel und der Westbank, der als Betonmauer errichtet wurde.

Da Fontcuberta offenbar gerne googelt, hat er, wie die Bildunterschrift zu »El Mur« erklärt, das Bild aus unzähligen, im Internet gefundenen Digitalbildern zusammengesetzt: »Das Foto wurde mittels einer Fotomosaik-Freeware modifiziert, die mit der Google-Bildersuche gekoppelt wurde. Das resultierende Bild setzt sich aus zehn­tausenden Fotos zusammen, die im Internet aufzufinden sind, wenn die Namen aller nationalsozialistischen Konzentrationslager als Suchkriterien angewandt werden. Die Liste enthält die Begriffe: Arbeitsdorf, Auschwitz-Birkenau, Barduffos, Belzec, Bergen-Belsen (dann werden sie alle alphabetisch aufgezählt, Anm. d. Verf.).«

Die Summe aller Konzentrationslager, in denen sechs Millionen Juden vernichtet wurden, setzt der katalanische Künstler also gleich mit einem Sperrzaun, dessen erklärtes Ziel es ist, gerade weitere Morde an Juden zu verhindern, also Leben zu retten, nicht zu vernichten. Und ausgerechnet dieses Foto wurde als eines von zweien unter allen vorliegenden ausgewählt, um im Begeleitprogrammheft der Buchmesse abgedruckt zu werden. Dies alles ist umso brisanter, als der letzte antisemitische Skandal, den es bei der Buchmesse gegeben hat, gerade einmal drei Jahre zurückliegt. Damals gastierte die »arabische Welt«, repräsentiert von der Diktatorentruppe namens »Arabische Liga«, auf der Buchmesse. Zur Eröffnung sprach unter anderem der Holocaustleugner und bekennende Antisemit Mohammad Salmawy.

Auf Inhalt und Aussage des Bildes von Fontcuber­ta auch in Zusammenhang mit dem Skandal mit Salmawy aufmerksam gemacht, sagte Celina Lunsford, ihres Zeichens Kuratorin des FFI, das Bild sei keineswegs antisemitisch, sondern solle zur Diskussionen anregen. Sie versicherte un­gefragt: »Das Fotografie Forum ist keine Institution, die den Holocaust leugnet.« Aha.

Etwas anders reagierte das Kulturamt der Stadt Frankfurt, das in der Einladung zur Ausstellung immerhin als Kooperationspartner erwähnt ist. Dies sei, erklärte man auf Anfrage dort, ein Missverständnis, denn man unterstütze lediglich die Institution FFI; man habe das betreffende Bild vorher nicht gesehen und distanziere sich nun ausdrücklich von dem Werk. Man habe deshalb das Fotografieforum noch vor Ausstellungbeginn am vergangenen Freitag gebeten, das besagte Bild abzuhängen; dies sei allerdings abgelehnt worden.

Wäre Fontcuberta nicht einfach nur ein linker antisemitischer Katalane mit notorisch gutem Gewissen, dann könnte man ihm durchaus vorschlagen, doch das nächste Mal wenigstens die Mauern zu thematisieren, die seine Regierung in den Enklaven Ceuta und Melilla zur Abwehr von Flüchtlingen aus Afrika gebaut hat. Beim Versuch, diese Grenze zu überwinden, wurden ­alleine im Jahre 2005, also lange bevor das Werk »El Mur« entstand, 13 Menschen erschossen, jährlich ertrinken Tausende vor den Küsten Spaniens beim Versuch, die »Festung Europa« zu erreichen.

So aber werden sich in den nächsten Tagen und Wochen Hunderte »El-Mur« anschauen, und viele werden zustimmend nicken. Und die Buchmesse kann stolz sein: Selbst wenn sie einen Schwerpunkt auf Katalonien legt, gelingt es ihr auch drei Jahre später noch, Salmawys antisemitische Botschaft weiterzuverbreiten.