Alptraum Blocher

Traditionell, völkisch, xenophob. Geschichte und Ideologie der Schweizerischen Volkspartei. von thomas schwendener, zürich

»Grüezi. Willkommen im Ferienland, in dem vieles noch ein bisschen natürlicher ist als sonst irgendwo auf der Welt: nicht nur unsere einzigartige Natur und Bergwelt, sondern auch die Menschen in der Schweiz mit ihrer authentischen Art.« Mit diesen Worten bewirbt »Schweiz Tourismus« die Idylle in der Eidgenossenschaft. Und tatsächlich: Fährt man mit dem Zug durch die Täler der Ostschweiz oder durch das Thurgau oder die Innerschweiz, könnte man den Eindruck gewinnen, dass hier alles in »natürlicher Harmonie« vor sich ginge. Stieg man allerdings in den vergangenen Monaten in irgend­einem Kaff aus, fielen einem die omnipräsenten Wahlplakate der Schweizerischen Volkspartei (SVP) zwischen den Reihenhäuschen und Quartierläden auf. Ob darauf nun ein schwarzer Messerstecher, farbige Hän­de, die nach Schweizer Pässen greifen, oder das mittlerweile berühmte schwarze Schaf zu sehen ist, die Botschaft ist klar: Wir mögen hier keine fremden Fötzel.

Wenn man sich in eine Dorfbeiz oder ein anderes Refugium der Schweizer Volksseele begibt und einer Unterhaltung über Christoph Blocher, Bundesrat und offiziöser Führer der SVP, und die Welt lauscht, wird man verstehen, was hier »authentische Art« bedeutet: althergebrachter Hass auf alles Fremde. Zwar haben Melkmaschine, Fernseher, Disko und geheime Wahlverfahren auch in diesen Gegenden Einzug gehalten, aber wenn sich einige dieser Exemplare der Gattung Schweizer zu einer Demonstration wie am 6. Oktober in Bern versammeln, dann weiß die SVP stolz zu berichten, dass »Treichler, Musikanten und Trachten« aufmarschiert seien.

Auch wenn die SVP längst in den Städten Fuß fassen konnte, sind doch diese ländlichen Gegenden ihr sicheres Hinterland. Die 85 000 Mitglieder umfassende Partei erreicht schweizweit einen Wähleranteil von über 26 Prozent und ist damit die stärkste Partei der Schweiz. Im Hinterland wählen in einigen Gemeinden über 70 Prozent ihren Blocher, und in bestimmten Dörfern muss man von einer regelrechten Hegemonie sprechen. Was der SVP und ihren Anhängern am 6. Oktober auf der Straße nicht gelungen ist, das macht sie umso erfolgreicher auf dem parlamentarischen Parkett: durchmarschieren.

Die SVP ging 1971 aus der Bauern-, Gewerbe-, und Bürgerpartei (BGB) hervor, die 1933 mit faschistischen Gruppen gemeinsame Wahllisten aufgestellt hatte. Während des Zweiten Weltkriegs fielen sowohl die Abriegelung der Grenzen für jüdische Flüchtlinge wie auch die Forderung nach den so genannten J-Stempeln in den Aufgabenbereich des BGB-Bundesrats Eduard von Steiger. Der heutige Präsident der SVP, Ueli Maurer, erklärte noch 1997, dass die Kennzeichnung jüdischer Pässe »zum Schutz der Betroffenen« geschehen sei. Nach der Zerschlagung des nationalsozialistischen Staats traten viele der NS-Sympathisanten aus der »Frontenbewegung« dem BGB bei.

Bis heute kann sich die SVP nicht wirklich vom rechten Rand abgrenzen, zu offensichtlich sind die ideologischen Überschneidungen. So ist es auch nicht weiter verwunderlich, dass sich am 6. Oktober in Bern etliche bekannte Nazis in den Reihen der Demonstranten ausmachen ließen. Es würde jeden Rahmen sprengen, auf alle rassistischen und antisemitischen Ausfälle von führenden Exponenten der SVP einzugehen. Erwähnt sei hier stellvertretend bloß Christoph Blocher, der in der Vergangenheit auch schon verkündete, dass Demokratie nichts für Schwarze sei oder dass die »Saujuden« ohnehin nur Geld wollten.

Bis in die zweite Hälfte der achtziger Jahre war die SVP eine unbedeutende Kraft. Ab dem Jahr 1989 wurde die Partei durch die Zürcher Sektion, unter Führung ihres damaligen Präsidenten Blocher, trotz Regierungsbeteiligung in Opposition zum Kurs der Annäherung an den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) gebracht. Der endgültige Durchbruch zur wählerstarken Partei gelang 1992, als die SVP mit einer von völkischen und antisemitischen Motiven beherrschten Kampagne gegen den EWR-Beitritt den bürgerlichen Block zu spalten vermochte. Damals hetzte die SVP gegen den »roten und goldenen Internationalismus« und charakterisierte die Schweiz als »natürliche Gemeinschaft«, welche Gefahr laufe, durch die »fremden Vögte« aus Brüssel und durch den EWR, einer »intellektuellen Konstruktion am Reißbrett«, unterjocht zu werden.

Der Kampf gegen »fremde Vögte« und die Unterjochung der Schweiz ist eine wichtige Traditionslinie der SVP. So ist die unhaltbare Behauptung eines Kampfes gegen den Nationalsozialismus eine Legitimationsgrundlage, auf welcher sich die ultranationalistische und rassistische Politik betreiben lässt, ohne sich kritischen Fragen ideologischer Schnittmengen mit völkischen Bewegungen stellen zu müssen.

Ein wesentliches Mittel für den Erfolg der SVP ist die Mobilisierung des »Volkes« gegen einen vermeintlich gemeinsamen Feind. Was einstmals den Freunden der Sowjetunion und den Juden vorbehalten war, erlebte nach dem Zweiten Weltkrieg und abermals nach der Auflösung des Ostblocks eine zunehmende Diversifizierung. Ob nun gerade »renitente Asylanten«, »Scheininvalide«, »Sozialschmarotzer«, »Kinderschänder«, »die Roten« oder Muslime im Fokus der Parteipropaganda stehen, jedem weiß die SVP ein Objekt anzubieten, an welchem er seinen Frust und seine Ressentiments abreagieren kann – vorerst noch an der Wahlurne.

Was als Treten nach unten hervorragend funktioniert, das praktiziert die SVP auch als vermeintliches Aufbegehren gegen »die Herrschenden«. So stellt sie sich trotz ihrer Regierungsbeteiligung und der realen parlamentarischen Stärke gerne als Kämpferin gegen Bürokraten und (Fremd‑)Herr­schaft dar. Gegen »blutleere Politiker«, die fremden Vögten aus Brüssel oder den »linken Filz« tritt die Partei an und präsentiert sich dabei immer als Partei des Volkes gegen »die da oben«. Christoph Mörgeli, SVP-Nationalrat und einer der ideologischen Köpfe der Partei, erklärte: »Die größte Gefahr droht (…) für die Bürger, wenn diese die Besorgung des Staates, das ›Politische‹, aus der Hand geben und den Regierenden, Diplomaten, Funktionären oder Parlamentariern allein anvertrauen.« Das Volk selbst soll an der Urne über den Umgang mit »Sozialschmarotzern«, »Asylbetrügern« und all den anderen zersetzenden Elemente bestimmen. Im SVP-Pressedienst lässt sich nachlesen: »Das System der direkten Demokratie darf dem Bürger (…) keine Schranken zur Revision des Verfassungsrechts setzen.« Das heißt: Jedes Grund- und Menschenrecht soll grundsätzlich dem Willen des formierten Volkes unterworfen werden.

Die SVP stellt den Idealtypus einer Partei dar, welche Johannes Agnoli als Volkspartei bezeichnete und für welche das Streben nach »Interklassismus« und dem parteiinternen Ausgleich von Interessen- und Gruppenkonflikten typisch sei: »Ideologisch wird in der Volkspartei wie in der faschistischen Partei aus dem Ausgleich eine allgemeine Angleichung aller: Beide zielen ungeachtet eines etwaigen klassenmäßigen Auftrags auf Bildung einer großen Gemeinschaft.«

Zwar tritt die SVP gerne als die Partei des »Mittelstandes« auf, aber in der Schweiz versteht sich der allergrößte Teil der Bürger als mittelständisch. So umfasst die Stammwählerschaft der SVP nicht nur kleine und mittlere Unternehmer, sondern auch Bauern und über 30 Prozent der wählenden untersten Einkommensschicht. Wie fast alle Parteien argumentiert die SVP für den nationalen Standort, unter welchen die einzelnen Interessen subsumiert werden. Mit ihrer permanenten Mobilisierung gegen vermeintliche gemeinsame Feinde versucht die SVP, der Abschaffung der Sozialpartnerschaft eine Volksgemeinschaft entgegenzuhalten, welche als quasi organischer Körper immer jene Teile »ausscheidet«, welche der reibungslosen Funktion des Ganzen hinderlich sind. Diese Beschreibung dürfte ihrer Vorstellung von der direkten Demokratie ziemlich nahe kommen. In Zeiten zunehmender Arbeitslosigkeit, ökonomischer Krisen und des Abbaus von Sozialleistungen nimmt die Masse jener hinderlichen Elemente stetig zu.

Das Wirtschaftsprogramm der SVP sieht insbesondere eine Erhöhung des absoluten Mehrwerts und damit eine gesteigerte Ausbeutung der Arbeitskräfte vor. Unter dem Motto »Eigenverantwortung« sollen die Lohnnebenkosten in Form der Sozialversicherungen abgebaut werden, während die Deregulierung des Arbeitsmarktes vorangetrieben wird, was Lohnkürzungen sowie Flexibilisierung und Verlängerung der Arbeitszeiten bedeutet. Diese Politik gerät aber in einen ökonomischen Widerspruch, weil sie die Binnen- und die über die Sozialhilfe vermittelte Staatsnachfrage reduziert. Dies dürfte vor allem die von der SVP vertretenen kleinen und mittleren Unternehmen treffen, deren Überleben in der Regel von einem funktionierenden Binnenmarkt und der Nachfrage von Privatkonsumenten abhängt. Neben diesem ökonomischen Widerspruch wird die aggressive Wirtschafts- und Sozialpolitik vom angestrebten »Interklassismus« der SVP immer mal wieder gestört, da er die Partei dazu zwingt, gewisse Zugeständnisse an ihre arbeitende Klientel zu machen oder wirtschaftliche Interessen den rassistischen Bedürfnissen unterzuordnen.

Die SVP bietet eine spezifische »Verwertungsperspektive« für das Kapital: Die verstärkte Ausbeutung und weitere Enteignung der Arbeiterklasse soll durch die permanente Mobilisierung und eine verallgemeinerte Paranoia ideologisch »abgefedert« werden, um größere gesellschaftliche Desintegrationserscheinungen zu verhindern. Auf parlamentarischer Ebene haben die Parteien diesem Weg praktisch nichts entgegenzusetzen. Im Gegenteil üben sich mittlerweile bereits sozialdemokratische Exponenten auf den Themenfeldern der SVP in scharfer Rhetorik – hinken der Volkspartei aber hoffnungslos hinterher.