Der deutschen Tragödie gedenken

Im sächsischen Borna huldigen Neonazis in einer »Gedenkstätte« den deutschen Opfern von »Bombardierung, Gefangenschaft, Flucht und Vertreibung«. Der Ort wird zum Tummelplatz für Rechtsextreme. Von Andre Seitz

Am Metallzaun des ehemaligen Geländes der Lausitzer und Mitteldeutschen Bergbauverwaltung in Borna kleben zerfledderte Zettel mit dem sächsischen Landeswappen: eien offensichtlich aus dem Internet heruntergeladene Erklärung des sächsischen Innenministers Albrecht Buttolo (CDU), der »Gedächtnisstätte e.V.« sei keine rechtsextremistische Organisation. Große, bedruckte Gummiplanen mit Aufschriften wie »Die deutsche Tragödie« oder »Redet miteinander« hängen an dem riesigen, grauen Gebäude. Die Einfahrt ist mit einem Klappschild versperrt: »Hier befindet sich die Gedächtnisstätte für alle zivilen deutschen Opfer des Zweiten Weltkrieges durch Bombardierung, Gefangenschaft, Flucht und Vertreibung.«

Vor rund zwei Jahren wurde bekannt, dass Altnazis aus dem Umfeld des rechten Schulungszentrums »Collegium Humanum« aus Vlotho in Nordrhein-Westfalen in Borna eine Gedenkstätte für deutsche Kriegsopfer planen und der örtliche Bürgermeister mit seiner Metallbaufirma das Metallkreuz dafür baue. (Jungle World, 51/05) Für 90 000 Euro hatte der Verein das Gelände bei einer Versteigerung erstanden und dem Stadtrat anschließend die Pläne für eine Gedenkstätte vorgelegt. Bürgermeister Bernd Schröter von der Wählervereinigung »Bürger für Borna« hatte sich zunächst lobend über den Verein geäußert: »Hier ist etwas im Entstehen, das Borna nur gut tun kann.« Seit den Veröffentlichungen über die Hintergründe des Vereins, die Verurteilung der Gründerin Ursula Haverbeck-Wetzel wegen Holocaust-Leugnung und ihre Rolle als Vorsitzende des »Vereins zur Rehabilitierung der wegen Bestreiten des Holocausts Verfolgter« schweige der Bürgermeister, erzählt Simone Luedcke, die Vorsitzende der Linksfraktion im Bornaer Stadtrat. »Das Kreuz liegt immer noch auf seinem Firmengelände.«

Die Stadt hat mittlerweile vor Gericht einen Baustopp für das Außengelände durchgesetzt. Die Pläne des Vereins, im altgermanischen Stil einen Thing-Kreis mit 12 Granitwänden zu errichten, auf denen Texte wie »Pommerland ist abgebrannt« oder »Sie liegen tief auf der Ostsee Grund, Flut wäscht ihr Gebein in Bucht und Sund« zu lesen sind, sind vorerst gestoppt. »Der Verein besteht nicht aus ›Rechtsextremisten‹ oder ›Holocaust-Leugnern‹, wie die unobjektiven Nationalmasochisten und Anhänger einer rötlichen Meinungsdiktatur den Menschen weiszumachen suchen«, verkündet der Verein in einer im Ort verteilten »Bekanntmachung« an die Bornaer.

Ein Treffpunkt der Kameradschaftsszene ist das Gelände trotzdem. Anfang September trafen sich dort nach einem Bericht des rechtsextremen Webportals »Freies Netz Altenburg« 80 Personen der »Freien Kräfte Leipzig« und der »Freien Kräfte Borna« zu einem Sommerfest, besichtigten die im Gebäude befindliche Ausstellung und hörten Vorträge unter anderem über Rudolf Heß, und zwar vom ehemaligen Hamelner Stadtarchivar und jetzigen Mitarbeiter der sächsischen Landtagsfraktion der NPD, Olaf Rose. Für die rechtsextremen Jugendlichen aus Borna sei das Haus zum alltäglichen Treffpunkt geworden, erzählt Simone Luedcke. »Im Haus auf der Röthaer Straße treffen sich jetzt die Kameradschaftskräfte nicht nur aus Borna, sondern aus der gesamten Region Torgau, Oschatz, Altenburg.«

Juristische Unterstützung erhält das Projekt nach Angaben aus Antifa-Kreisen vom ehemaligen Generalbundesanwalt Alexander von Stahl. Der Vorsitzende des Vereins »Gedächtnisstätte« ist der Landschaftsarchitekt Klaus Wolfram Schiedewitz aus Seevetal bei Hamburg, auch er kommt aus dem Umfeld der Familie Haverbeck. Im März dieses Jahres wurde die Gedenkstätte offiziell eröffnet. 150 Personen seien dazu auf dem Gelände zusammengekommen, war auf dem Blog der Leipziger NPD zu lesen. Neben dem NPD-Landesvorsitzenden Winfried Petzold seien Vertreter der »Reichsbürgerbewegung« und des DSU-Kreisverbands Muldentalkreis »sowie Vertreter mehrerer unabhängiger Vertriebenenverbände« erschienen.

Zum Schutz der Veranstaltung traten »Selbstschutzverbände Freier Kräfte aus Sachsen und Sachsen-Anhalt« auf, verrät die NPD. »SelbstSchutz Security Deutschland«, geschrieben mit drei großen S, habe auf den Windjacken gestanden, berichten Augenzeugen der Jungle World; es handelt sich um eine Anspielung auf die verbotene Nazikameradschaft »Skinheads Sächsische Schweiz«. Die »SelbstSchutz Security Deutschland«, die vorwiegend Veranstaltungen der NPD und Naziaufmärsche begleitet, aber auch rechtsextreme Läden schützt, ist unter anderem aus der Kameradschaft »Selbstschutz Sachsen-Anhalt« hervorgegangen. Das Logo des Security­dienstes ist ein Thor-Hammer, in den auch die Zahl 88, der Szenecode für »Heil Hitler«, integriert ist.

Der von etwa 40 Jugendlichen gegründete Bornaer Verein »Bon Courage« versucht indes, mit Veranstaltungen und Informationen über die Neonazis aufzuklären. Als »freie Kräfte« am 3. Oktober eine Demonstration unter dem Motto »Deutschland ist größer als die brD« anmeldeten, organisierten sie eine Gegenkundgebung. Auch eine Dokumentation mit Übergriffen und Naziaktivitäten der vergangenen zwei Jahre hat die Gruppe veröffentlicht.

Nicht nur in der »Gedächtnisstätte« existieren von der städtischen Jugendarbeit unabhängige Treffpunkte rechtsextremer Jugendlicher, sondern auch in der zu Borna gehörenden Gemeinde Wyhratal. »Es wurden andere Jugendclubs bedroht«, erzählt Petra Sieger vom Kreisjugendring Borna der Jungle World. »Wir haben versucht, Gespräche mit den Jugendlichen zu führen, aber sie haben bestritten, gewalttätig und uniformiert aufzutreten.«

Angriffe auf Migranten und Andersdenkende häufen sich in der letzten Zeit. »Seitdem uns hier die Scheiben eingeschmissen wurden, haben wir Jalousien«, sagt Simone Luedcke, während sie an diesen kurbelt, um Licht ins Büro der Linkspartei zu lassen. Vorher seien schon bei der Leipziger Volkszeitung und auch bei der CDU die Scheiben eingeworfen worden.

Im Stadtrat gibt es inzwischen eine Arbeitsgemeinschaft, um etwas gegen die Gedächtnisstätte zu unternehmen. Die Stadt erwägt den Rückkauf des Geländes, die Handlungsspielräume sind allerdings gering: Der Verein »Gedächtnisstätte« hat eine Summe von 1,4 Millionen Euro genannt.