Der Gebührenboykott ist gescheitert

Der Boykottaktionismus ist in der Sackgasse gelandet, weil das Ordnungsmodell Universität nicht in Frage gestellt wurde. von daniel keil

Das neue Semester hat begonnen, und alles scheint beim Alten. Außer dass die gleichen schäbigen Bedingungen und Lehrinhalte mittlerweile viel Geld kosten. Aber auch dafür ist mit der Einrichtung des Bachelor gesorgt. Schön kurz und so organisiert, dass neben dem Abarbeiten von Modulen das Geld aus Zeitgründen gar nicht mehr in Sinnvolleres, wie beispielsweise Schnaps, investiert werden kann. Es sind also Zeiten an­gebrochen, in denen der alte Witz vom Studenten, der um halb sieben aufstehen muss, weil um sieben die Läden schließen, zu einem anachronistischen Relikt geworden ist.

Da liegt die Frage auf der Hand, was eigentlich die Studierendenbewegung macht, die so elanvoll angetreten ist, der Bildungspolitik in den Hintern zu treten. Um dies zu beantworten, sei ein kurzer Rückblick auf den Verlauf der Proteste gestattet. Die erste Phase überraschte mit allerlei spektakulären Aktionen wie Autobahnblockaden oder Bahnhofsbesetzungen. Stumpfes Lehrbuchwissen wurde mit lebendiger Erfahrung konfrontiert. Doch die Fokussierung auf das spektakuläre Straßenevent überlebte sich nach einiger Zeit. Als sich abzeichnete, dass sich dadurch kein Gesetz kippen ließ, begann mit (Verfassungs-) Klagen und Boykottvorbereitungen die zweite Phase. Dies bedeutete einen enorm hohen organisatorischen Aufwand, der alle verbliebenen Kräfte aufsog. Den Boykott daher als Versuch zu bezeichnen, »in einem kritischen Sinn handlungsfähig zu bleiben/werden« (LeserInnenbrief Jungle World 42/07), übersieht nicht nur dieses Moment. Zunächst zeigte sich, dass der Eventcharakter der ersten Phase nicht nur von einer starken ProtestkundInnenmentalität geprägt war, sondern diese auch förderte.

Eine breite Diskussion fand nicht statt, und von einer Repolitisierung war jenseits der Demons­trationen auch nicht viel zu spüren. Stattdessen gab es eben Protestangebote, die in den jeweiligen Stundenplan integriert werden konnten, beim normalen Seminarbetrieb aber nicht störten. Fairerweise muss man sagen, dass dies auch den äußeren Umständen geschuldet sein mag, doch hätten diese auch reflektiert werden müssen. Aber weder die Verschulung der Universität wurde thematisiert, noch tauchte gar irgendwo ein fröhliches »Haut’s die Uni zamm’« auf. In der Boykottvorbereitung richtete sich der Fokus dann der Sache folgend auf juristische Fragen der Umsetzung. Anstatt eine notwendige Auseinandersetzung sowohl über den Verlauf der Proteste als auch über ihre Inhalte zu führen, wurde der Aktionismus also nur auf einen anderen – ungleich unspannenderen – Schauplatz verlagert. »Wie blockiere ich eine Autobahn« wurde ersetzt durch »Wie organisiere ich ein Treuhandkonto«.

Nun gut, dies kann schon mal als »Handlungsfähigkeit« bezeichnet werden. Die anfänglich großen Hoffnungen, die in den Boykott gesetzt wurden, sind zudem verflogen. Denn der Boykott ist grandios gescheitert, da nirgends (außer bei der HfbK in Hamburg) das erforderliche Quorum erreicht wurde.

Doch nicht nur an den Zahlen der Boykottierwilligen ist er gescheitert. Sondern auch als Versuch, die individuelle Ohnmacht gegenüber einem Staatsapparat und das Zurückziehen in individuelle Überlebensstrategien zumindest mal bewusst zu machen. Zurück bleibt ein Haufen vereinzelter Einzelner, die sich mit Studienkrediten und Neben­jobs über Wasser halten müssen.

Dieses Problem war aber gar nicht Gegenstand der Boykottdiskussionen. Und so endet der Boykottaktionismus, wie auch der Straßenaktionismus geendet ist: mit großen Enttäuschungen, Versuchen, sich diese schönzureden oder gleich dem Rückzug in die private Schuldenlösung. Nun wäre es allerspätestens an der Zeit, genau den individualisierten Zwang des Funktionieren-Müssens offenzulegen und daran die Widersprüche des ideologischen Staatsapparats Universität zu entfalten. »Die Universität kann nicht funktionieren, also muss man verhindern, dass sie funktioniert, damit diese Funktionsunfähigkeit ans Tageslicht kommt«, forderte einst André Gorz. Dieser Forderung entsprachen die Proteste der ersten Phase in den seltensten Fällen, die Boykottversuche jedoch gar nicht.

Insofern sind alle Versuche, mit einem »Weiter so!« an die Boykottversuche anzuknüpfen, einer notwendigen breiten Auseinandersetzung über Sinn und Zweck von Universität entgegengesetzt. Solange also nicht sowohl die Enttäuschungen reflektiert als auch das Geldbeutel und Denken enteignende Ordnungsmodell Universität mit einer systematisch-chaotischen Wiederaneignungsbewegung konfrontiert wird, bleiben die Proteste in der Sackgasse.