Härter schmusen

Raus aus der Schmuddelecke, weg mit den Rollenklischees. Das zweite Pornfestival Berlin erschließt dem Sexfilm die Käufergruppe des genderkritisch geschulten kulturlinken Akademikers und will einen anderen Blick auf den Hard-Core-Streifen installieren. Wie soll das gehen? Von Jürgen Kiontke

Warum eigentlich ein Pornfilmfestival?« Das fragt das Vorwort des Katalogs des zweiten Berliner Pornofilm-Fest.

Antwort: »Die Pornografie als Genre und Stilmittel birgt einiges Potenzial für durchaus beachtenswerte ästhetische Statements – gerade weil sie (als Kunstform) noch so wenig ausformuliert ist.« Und weiter: Sie »kann eine Matrix sein für unterschiedlichste ästhetische Ansätze, die zu unterschiedlichsten Ergebnissen führen können; ein Königsweg in Richtung der einen, hochwertigen, anspruchsvollen, besseren Pornografie ist noch längst nicht in Sicht«.

Anspruch! Kunst! Filmförderung! Juchhu! Dieser Einleitung fehlte nur noch der Hinweis, man wolle das Genre vor der Kommerzialisierung retten: Zum Thema Darstellung sexueller Handlungen zum Zwecke der Erregung erschienen 2006 alleine in Deutschland mehr als 1 000 neue Filme pro Monat, der Umsatz der Branche wird auf zirka 800 Millionen Euro jährlich geschätzt. Deutschland ist nach den USA der zweitgrößte Markt der Welt.

Dass es da ganz schön oft um Ausbeutung geht, wissen aber auch die Leute in Berlin. »Über die Hälfte unserer Filme sind gar nicht Pornografie«, sagt der Festival-Chef Jürgen Brüning, der das Pornofilm-Fest im vergangenen Jahr das erste Mal veranstaltete.

Da gibt es z.B. eine ganze Reihe von kritischen Dokumentationen des schnellen Geschäfts oder Filme wie »Lick your Idols« über das »Cinema of Transgression«, dessen maßgebliche Regisseure Richard Kern und Nick Zedd waren: Super-8-Filme mit viel Punk und Gewalt – und einer gewissen Portion Humor, gesetzt den Fall, man findet es lustig, wenn der Regisseur während der Aufnahme ins Set läuft, um eine Schau­spie­lerin gegen eine Puppe auszutauschen, die dann mit der Kreissäge zerlegt wird.

Der Katalogtext führt also ein bisschen in die Irre. Warum sollte man aus Porno Kunst machen? Warum bitte schön »anspruchsvoll«?

Unter dem Label Kunst wird die Unterdrückung der Frau verscherbelt, damit sich endlich auch die diskursverliebten Enddreißiger-Akademiker moralisch einwandfrei erregen können, hört man die Frauen aus Köln rufen, die bei Alice Schwarzers Emma arbeiten und gerade die dritte Runde ihrer PorNo-Kampagne eingeläutet haben (»Den EMMA-Sticker PorNO! überall dranpappen, wo Pornografie ist. Im EMMA-Shop bestellen«). Nicht ohne hinzuzusetzen: Nacktheit sei aber nicht das Problem. Pornos sind die Vorstufe zur Gewalt. Wer Vergewaltigungen zeigt, sorge dafür, dass sie begangen werden.

Gegenposition: Wer vom Kapitalismus nicht reden will, möge von mmh-mmh bitte auch schweigen.

Lass die mal labern, sagt denn auch P-Fest-Programmmacherin Manuela Kay, im bürgerlichen Leben Chefredakteurin der Lesbenzeitung L-Mag. Die siebziger Jahre sind vorbei – und mit Gewalt in der Sexualität will das Festival definitiv nichts am Hut haben. Kay: »Sex macht Spaß – und ganz genauso ist es beim Anschauen von Sex auf der Leinwand.«

Was aber, wenn eine Darstellerin Spaß an irren Praktiken hat – hat die dann ein falsches Bewusst­sein? Wie auch immer – das Dauerbrenner-Thema ist angesprochen: Erotik für Frauen. Am besten von Frauen. Beliebt bei Podiumsdiskussionen, in der Gender-Debatte, Stichwort Aneignung. Hohes Interesse und Brillenträger­aufkommen garantiert.

Müssen die denn unbedingt so Filme haben, wenn das immer so kompliziert ist? Frauen, die schon seit langem im Mainstream ihr Unwesen getrieben haben, erst vor, dann hinter der Kamera wie Teresa Orlowski und Dolly Buster, sucht man hier vergebens. Die Filme der Krankenschwester Gina Wild (heute Frau Schaffrath) sollen ja auch Männer wie Frauen ansprechen. Stereotype Bilder, antiquierte Ware, sicher. Hier nicht zu finden. Statt dessen präsentiert das Festival Julia Ostertag, den neuen Berliner Shooting-Star. Die läuft auf renommierten Filmfestivals und auch in der Galerie »Weißer Elefant«.

Was ist an der jetzt anders? Jürgen Brüning will zu diesen und anderen Themen Diskussionen anregen. Das Pornofilm-Fest ist deshalb als großer Kultur-Event konzipiert, sozusagen mit Mitmach-Effekt. Man kann nicht sagen, die Initiatoren hätten sich nichts einfallen lassen: Wie weiland zu besten Love-Parade-Zeiten, als an jeder Ecke der Beat aus der Box wummerte und die Leute von Location zu Location hüpften, ist die Hauptstadt fünf Tage lange mit einem P-Netz über­zogen, bestehend aus Kinos, Lounges und Workshops. Über 100 Filme sind am Start, von »Changing the Hardware« (über Körpermodifkation und Transgendersex) über Klassiker mit John Holmes wie »Katharina und ihre wilden Hengste« bis zu »Dr. Snake und die geilen Baby Dolls«. Und mit »Too Hot in Tel Aviv« ist der laut Veranstalter erste schwule P-Film aus Israel zu sehen.

Alle Filme sind mit Buchstaben gekennzeichnet: »H« steht für Hetero, »S« für Schwul, »X« für explizite Szenen, »NX« für nichtexplizite Szenen – und natürlich: »F« für Frauen – Filme aus weiblicher Sicht.

Man könnte nun den Machern vorwerfen, sie hielten penibel alle diskurstheoretischen Vorgaben ein, nur um Formate noch hoffähiger zu machen, als sie schon sind, und damit der allgemeinen Alltagspornografisierung Vorschub zu leisten – die, so vermutet man vom Statistischen Bundesamt bis zur Brigitte, umgekehrt proportional sein dürfte zum tatsächlichen Sexualverhalten. Gemeint: 14jährige Mädchen stellen Nacktfotos bei MySpace ein, 13Jährige fragen sich, ob was mit ihnen nicht stimmt, weil sie noch an keiner Sexorgie teilgenommen haben. Druck, Druck, Druck. Hardcore im Kinderzimmer – das Internet ist schuld, eindeutig. Wer ein »Pornofilm-Festival« veranstaltet, kommt an solchen Dingen kaum vorbei.

Andererseits ist festzuhalten: Brüning selbst findet »95 Prozent aller Pornos Mist wegen der konventionellen Rollenbilder, die sie propagieren«.

Bei ihm wird der feste Wille ersichtlich, mit den Mitteln der Pornografie anders zu arbeiten. Ganz weit vorne liegen in diesem Kontext die Filme des kanadischen Regisseurs Bruce LaBruce, dem unbestrittenen Mercedes Benz der subversiven Pornografie: Sie strotzen vor tollen Einfällen, absurder Komik und zerlegter Ikonografie. Die Hauptdarstellerin seines letzten großen Films »Raspberry Reich«, Susanne Sachsse, war sich jedenfalls nicht sicher, in einem Porno mitgespielt zu haben, obwohl die Darstellung von Sex zum Zweck der Erregung einen breiten Raum einnimmt.

Für die Umkehr aller Verkehrswerte steht auch Festivalteilnehmer Todd Verow, dessen Filme übers Liebgehabtwerden vor allem eines sind: kaum einzuordnen. In seinem Beitrag »XX« jedenfalls, der nicht zuletzt wegen des Tons bis an die Grenzen der Konsumierbarkeit geht, lässt er eine 70jährige nackt auf den Dächern tanzen, während im Keller SM-Schwule rumturnen. Der Film endet für sie im Bett mit ihrem zirka 20jährigen Nachbarn, dem sie versichert, es verbinde sie beide ein Gummiband – von ihrem Dings zu seinem Bums. Wir sehen die beiden auf Knien, ein Doppeldildo steckt zur Hälfte in ihrem, zur Hälfte in seinem Hintern. Unter der Brust des jungen Mannes klebt ein großes Nikotinpflaster: »Ich hör’ grad mit dem Rauchen auf.«

Es ist die gewisse Verrücktheit, die auf der Agenda dieses Festivals ganz oben steht. Man fragt sich, wie man dafür Darsteller findet. Das Schmuse-Business besetzt ohne Zweifel eine Leerstelle, geht zum Ursprung des Kinos als Freakshow auf dem Jahrmarkt zurück. Sie gibt vor, für alle Platz zu haben, ganz karitativ. Aufstiegschance für die von ganz unten. Wo sich vermeintlich alles um ach so perfekte Körper dreht, ist einer der berühmtesten Darsteller Ron Jeremy, ein kleiner Mann voller Haare und mit viel Übergewicht. Vor der Karriere hat er mal als Lehrer für Lernbehinderte gearbeitet.

Sehgewohnheiten will man sich nicht vorschreiben lassen. Denn wie man es dreht, eine der Funktionen von P ist: Dinge zu zeigen, die woanders nicht zu haben sind. Das Genre diagnostiziert einen Mangel, denn eine Menge Leute hat gar keinen Sex – zumindest nicht mit anderen.

Sexualität, die sich zersplittert findet in den wirklichen und den medialen Erfahrungsbereich: Wie wohl eine Welt aussehen mag, in der Menschen so zufrieden wären, dass sie das alles nicht brauchen? Eine Frage an das Podium.

Und die Frage ans Publikum: Soll’s linke Pornos geben – bis es soweit ist?

2. Pornfilmfestival Berlin 2007. Bis 28. Oktober 2007. www.pornfilmfestivalberlin.de