Regieren und Opponieren

Erfolg und Misserfolg der SVP sind nicht an den Wahlergebnissen abzulesen. Die SVP kämpft um die politische und kulturelle Hegemonie. von alexander hasgall, Zürich

Wie zu erwarten, hat das Wahlergebnis vom vergangenen Wochenende keine Veränderungen gebracht. Christoph Blochers SVP legte in der Wählergunst zwar etwas zu, die wirklich großen Verschiebungen in der Wählergunst blieben jedoch aus. Ein Zeichen für wiedererlangte Stabilität des Alpenlandes, welche durch rassistische Plakate und Krawalle in der Bundeshauptstadt gefährdet schien? Wer – wie einige Kommentatoren – glaubt, damit sei der Vormarsch der SVP an seine Grenze gelangt, der täuscht sich. Elektoral mag dies zutreffen, jedoch spielt das Parlament in einem Land, worin man mittels Volksbegehren fast beliebig die Verfassung ändern kann, traditionell eine schwache Rolle. Daher sind Parlamentswahlen im Allgemeinen so aufregend wie die Schweizer Meisterschaften im Nationalsport »Hornussen«. Wieso hat die SVP also einen Wahlkampf betrieben, welcher mittels rassistischer Plakate, Aufrufen zu Gewalt gegen Richter und Grüne und einem versuchten »Marsch nach Bern« den Ruf der Schweiz als Hort der Stabilität nachhaltig zu ramponieren scheint?

Die Antwort liegt gerade in den schwachen demokratischen Institutionen des Landes. Denn kaum ein Gemeinwesen scheint für eine populistische Politik so geeignet zu sein wie die Eidgenossenschaft. Dadurch, dass in weiten Teilen der Bevölkerung Demokratie als plebiszitäre Diktatur der Mehrheit aufgefasst wird, kann eine auf Ressentiments aufbauende Propaganda um einiges mehr erreichen als anderswo. Deswegen sind Erfolg und Misserfolg der SVP anhand der Wahlergebnisse nicht wirklich zu begreifen, und die Partei ist auch nicht mittels Regierungsbeteiligung domestizierbar. Vielmehr drückt sich im Handeln von Blocher und seinen Getreuen der Kampf um die politische und kulturelle Hegemonie in der Alpenrepublik aus. Dazu werden regelmäßig Themen wie Ausländerkriminalität oder »Sozialschmarotzer« lanciert, welche durch die SVP-nahe Zeitung Weltwoche und nicht zuletzt durch geschickte TV-Präsenz ihrer führenden Exponenten sekundiert wird.

So ist die SVP genauso Partei wie Bewegung, genauso Opposition wie Partei des Justiz-, Polizei- und Verteidigungsministers. Und es funktioniert. Alleine die Europäische Menschenrechtskonvention scheint der Schweizer Asylpolitik noch Grenzen zu setzen. Dabei ist für Christoph Blocher das internationale Recht eine Form von Fremdherrschaft. Eine Haltung, die man wohl schwer bei einem anderen Justizminister einer westlichen Demokratie finden wird.

Dabei widerspricht angesichts einer internationalisierten Ökonomie wie der Schweizerischen die propagierte Abschottungspolitik der Partei jeglicher ökonomischer Rationalität und verweist auf eine tiefer gehende politische Umgestaltung des Landes, welche derzeit nur in Grundzügen erkennbar ist. Offensichtlich ist, dass die SVP eine antimodernistische und alles Fremde ablehnende Bewegung ist und ein mitteleuropäisches Land nach eigenen Vorstellungen umbauen konnte.

So ist es auch eine grobe Vereinfachung zu glauben, die SVP-Rhetorik diene vor allem der Durchsetzung eines neoliberalen Umbaus der Gesellschaft. Dem steht nicht nur entgegen, dass gemäß Umfragen die SVP unter Managern einen besonders geringen Wähleranteil aufweist. Auch ist der Korporatismus unter Lohnabhängigen und Gewerkschaftern stark verankert, sodass es abwegig ist, hinter dem Erfolg der SVP eine Verschwörung durch das Kapital vermuten zu wollen. Vielmehr drückt sich darin ein in der Bevölkerung tief verwurzelter Wohlstandschauvinismus aus und die Angst, als kleines Gemeinwesen in einer globalisierten Welt nicht bestehen zu können. Darin ähnelt die Schweiz anderen kleinen europäischen Ländern wie Dänemark, die von außen betrachtet eine ähnliche Tendenz aufweisen. Während aber in anderen Ländern die Verfassungs­gerichtsbarkeit und die Mitgliedschaft in internationalen Organisationen eine gewisse politische Stabilität garantieren, ist die Schweiz für konservativ-revolutionäre Bewegungen wie die SVP, die sich alleine auf den mythisierten »Volkswillen« stützt, besonders anfällig.

Dem scheinen weder die Linke noch das aufgeklärte Bürgertum etwas entgegenzusetzen. So inszenieren sich die Sozialdemokraten (SP) lieber als Verteidiger der Konsensdemokratie, als Kritik an Xenophobie und Autoritarismus zu üben. In einem Wahlaufruf merkte die prominente SP-Nationalrätin Jacqueline Fehr an, dass das Programm der SVP »gezielt den Hass auf Ausländer schürt«. Gleichzeitig relativierte sie dies, indem sie dieser Passage anfügte, dies werde so »im Ausland wahrgenommen«.

Deshalb ist es nicht erstaunlich, dass die Verhinderung des »Marschs nach Bern« von den linken Parteien und der deutsch-schweizer Medienlandschaft nicht als Quittung für die Polarisierungsstrategie der SVP interpretiert wurde, sondern als Werk antidemokratischer Chaoten und Radaubrüder, während internationale Medien und einzelne liberale Politiker, wie Innenminister Pascal Couchepin, die Ereignisse auch als Konsequenz der permanenten Provokationen von rechts thematisierten. Es bleibt fraglich, ob aufgrund der Berner Proteste wirklich von einem Wendepunkt gesprochen werden kann. Zwar stieß die SVP einmal an ihre Grenzen. Hingegen mangelt es in der Schweiz nach wie vor an einer organisierten gesellschaftlichen Gegenkraft, welche langfristig und wirksam der andauernden Erfolgsserie der SVP Paroli bieten kann.