Wie die ­Werwölfe

Die ehemaligen RAF-Mitglieder Rolf-Clemens Wagner und Helmut Pohl meldeten sich in der vorigen Woche zu Wort. Kommentar von Uli Krug
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Im Zeitungsladen stehen sie mittlerweile gar nicht mehr an so unprominenter Stelle: die Wochen- und Monatsblätter aus Esoterik und Parapsychologie. Eines dieser Organe nennt sich beispielsweise »Nachrichten aus einer anderen Welt« – und erinnert damit fatal an die Parole von der anderen Welt, die möglich sei.

Nachrichten aus dieser anderen Welt gibt es sogar täglich. Und zwar im ehemaligen HJ- und späteren FDJ-Zentralorgan junge Welt. Eine Zeitung wie ein Zerrspiegel: Die Helden heißen Ahmadinejad, Chavez und Assad, die Schurken hingegen stets Israel, Zionismus und Bush. Oder: Schleyer. Während anderswo der RAF-Betroffenheitsboom die Seiten füllt, kokettiert der publizistische Zerrspiegel mit der Stammheimer Mord-Legende: Im Kopf seiner Online-Ausgabe prangte jüngst gar ein Banner mit Gudrun Ensslin, Andreas Baader und Jan-Carl Raspe und der Parole: »Kein Vergeben und Vergessen«.

Das in diesem Zusammenhang geführte Interview mit Rolf-Clemens Wagner und Helmut Pohl wurde sogar ein echter medialer Coup. Erst der O-Ton der beiden ehemalige RAF-Terroristen nämlich gab der ansonsten ranzigen »Deutscher Herbst«-Beilage des Blattes den Pep – obwohl auch dieses Duo nichts anderes tat, als wirklich alles noch einmal zusammenzutragen, womit sich die Linke seit Jahrzehnten die RAF schönlügt.

Im passenden ML-Duktus dozierte Wagner so auch über die Entführung Schleyers: »Manche Ergebnisse unserer Überlegungen bleiben auch aus heutiger Sicht richtig. Wie die Entscheidung, Hanns Martin Schleyer zu entführen. Der wurde mit seiner SS-Geschichte als Wehrwirtschaftsführer in besetzten Gebieten und seiner aktuellen Funktion als Aussperrer und Präsident des Unternehmerverbandes ja nicht zufällig ausgesucht. Und gerade an ihm hätten wir unsere Analyse und Politik vermitteln können. Also die historische Kontinuität, für die er stand beispielsweise. Das geschah nicht. Statt dessen wurde aus diesem Politikum einfach zuwenig gemacht. Er war Gefangener, und das war es schon.«

Was aber hätte ausgerechnet die RAF zur »historischen Kontinuität« sagen sollen, wo sie sich doch damit beschäftigte, ausgerechnet Israel mit Nazi-Analogien zu dämonisieren? Was hätte man mehr aus der »SS-Geschichte« machen sollen, da man doch selbst mit mordlüsternen Antisemiten wie denen von der palästinensischen PFLP eng zusammenarbeitete? Deren Stoßtrupp-Anführer Mahmut hielt sogar die Junghans-Armbanduhr des von ihm ermordeten Lufthansa-Kapitäns Jürgen Schumann aufgrund des Firmenlogos »J« für ein jüdisches Erkennungszeichen.

Und diese Kumpanei war ideologisch vollkommen konsequent, ließ doch die antiimperialistische Programmatik der RAF ihren »bewaffneten Kampf« wie einen Aufstand revolutionärer Jung-Nazis gegen resignierte und an den Westen angepasste Alt-Nazis erscheinen: Die RAF zieh die »herrschende Klasse« nämlich, deutsches Volk und deutsches Land an amerikanische und zionistische Interessen ausgeliefert zu haben und bekämpfte die Verwestlichung der Bundesrepu­blik als Volksverrat aus Bereicherungsinteressen – mehr »Analyse und Politik« war da nicht.

Wagner und Co. konnten dem SS-Mann Schleyer also nur vorwerfen, keiner mehr zu sein – denn »historische Kontinuität« wahrte vor allem die RAF. Auch bereits vor Schleyer übrigens: Die Rache für den »amerikanischen Bombenkrieg«, die nicht nur von Vietnam sprach, sondern ausdrücklich Dresden mit einschloss, zeigte von Anfang an, dass die RAF sich wie ein Werwolf-Kommando aufführte, das sich um eine Generation verspätet hatte.