Das Klima in der Wirtschaft wird geschützt

Bundesumweltminister Sigmar Gabriel stellte in der vorigen Woche eine Studie des Umweltbundesamts vor und erklärte, wie der Klimaschutz auch der Wirtschaft helfen könne. Das »saubere« Wachs­tum aber lässt weiter auf sich warten. von moritz schröder

Da stand er, glücklich und stolz, und erklärte die Marktwirtschaft für gerettet. Wenigstens einmal wollte er nicht den Spielverderber spielen. Nein, in der vergangenen Woche war für Sigmar Gabriel (SPD) die Zeit der Herzlichkeit gekommen. Er schloss die deutschen Konzernchefs in seine kräftigen Arme und blickte ihnen tief in die Augen. Beruhigend redete er auf sie ein: »Kli­ma­schutz lohnt sich«, sagte der Umweltminister. Fünf Milliarden Euro Spareffekt für Privathaushalte und Wirtschaft im Jahr 2020, und das trotz – nein –, gerade wegen der Klimaschutzpläne der Bundesregierung: Da war sie, die berühmte Win-win-Situation.

Endlich konnte der Sozialdemokrat, der schon lange vom »grünen« Wachstumsmarkt schwärmt, dafür auch Zahlen präsentieren. Würde das Kli­ma­schutzprogramm der Bundesregierung, die so genannten Meseberg-Beschlüsse, verwirklicht, müssten zwar 31 Milliarden Euro etwa für sparsamere Elektroprodukte oder die Gebäudesanierung aufgebracht werden, dafür würden aber über 36 Milliarden Euro weniger Energiekosten für Wirtschaft und Verbraucher anfallen. Und das Beste wäre: Dadurch werde der Ausstoß von Kohlendioxid bis ins Jahr 2020 um 36 Prozent im Vergleich zum Stand von 1990 sinken. So lautete das Zwischenergebnis einer Studie des Umweltbundesamts zum Klimaschutzprogramm. Man könnte meinen, der Kapitalismus hätte seine grüne Seele bisher nur nicht richtig zur Gel­tung gebracht. Fakt ist: Bisher kommt die Marktwirtschaft gut klar, ohne sich allzusehr um das Weltklima zu kümmern.

Im vergangenen Jahr ist der CO2-Ausstoß in Deutschland erneut gestiegen, nachdem er im Jahr davor gesunken war. Der Grund für den Anstieg um rund 5,1 Millionen Tonnen Kohlen­dioxid ist das starke Wirtschaftswachstum. Wo mehr produziert wird, wird auch mehr gequalmt, das gehört zum Geschäft. Darum warnte An­dreas Troge, der Leiter des Umweltbundesamts, Ende März: »Der europaweite Wirtschaftsaufschwung wird den Kohlendioxidausstoß weiter erhöhen.« Beim Klimaschutz müsse mehr getan werden.

Doch auch das Konzept der Bundesregierung zum Klimaschutz verliert bei näherem Hinsehen an Glanz. Nach dem Meseberg-Programm soll zum Beispiel der Anteil des Stroms aus der so genannten Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) bis ins Jahr 2020 auf 25 Prozent verdoppelt werden. Damit könnten besonders viel CO2 und Energie eingespart werden. Weil die KWK-Anlagen neben Strom auch Wärme produzieren, holen sie aus weniger Brennstoff mehr Energie heraus als konventionelle Kraftwerke.

Wären diese Anlagen nur nicht so unbeliebt bei den Stromkonzernen. Bereits ein bestehendes Gesetz aus dem Jahr 2002 sollte den Anteil des KWK-Stroms von damals zehn Prozent bis 2010 verdoppeln. Das sollte mit einer Selbstverpflichtung der betroffenen Unternehmen funk­tionieren. Das Ergebnis aber sieht anders aus: Heute gibt es gerade mal ein Prozent mehr KWK-Strom, die Selbstverpflichtung ist für die Mülltonne.

Da liest sich die folgende Passage aus dem Mese­berg-Programm nicht ganz unironisch: »Maß­nahmen: Appell an die Wirtschaft, zur KWK-Verein­barung zu stehen«. Zwar verspricht das Konzept, den Neubau von KWK-Projekten zu unterstützen. Wie das genau funktionieren soll, ist aber unklar. Zudem streitet sich Gabriel hinter den Kulissen mit Wirtschaftsminister Michael Glos (CSU), der die Belastungen für seine Schützlinge natürlich möglichst gering halten will.

Eine weitere Idee im Meseberg-Konzept: Die Privathäuser sollen modernisiert werden, damit weniger Wärme verloren geht. Das ist sinnvoll, wenn die Hausbesitzer mitmachen. Kern dieser Maßnahme ist ein »CO2-Gebäudesanierungsprogramm«, das derzeit jährlich 700 Millionen Euro zur Förderung ausgibt. Da bleibt nicht viel übrig für jede einzelne Sanierung. An Krediten kommen die Besitzer meistens nicht vorbei. Bevor sie motiviert würden, eigenes Geld auszugeben, sollten lieber gutverdienende Großkonzerne zur Kasse gebeten werden, fordert Eva Bulling-Schröter, Umweltpolitikerin der Fraktion »Die Linke« im Bundestag.

Vor allem für Energiekonzerne wie RWE und Eon, die sich derzeit wieder mit steigenden Strom­preisen unbeliebt machen, erklärt »Die Linke« die Schonzeit für beendet. Für ihre Strategie, die Preise für die Emissionszertifikate, obwohl umsonst ausgeteilt, auf ihre Strompreise draufzuschlagen, mussten die Unternehmen im vergangenen Jahr viel Schelte einstecken. »Die haben genug Geld verdient. Die Gewinne sollten nun abgeschöpft werden, um etwa die Gebäudesanierung zu fördern«, sagt die Umweltexpertin der »Linken«. Auch wenn große Teile der Bevölkerung diese Forderung wohl sofort unterschreiben wür­den, liegt sie der Großen Koalition doch so fern wie ein Braunkohleschlot einem Luftkurort.

Doch die Frage nach den Gewinnen trifft einen wunden Punkt der Diskussion um einen ange­mes­senen Klimaschutz: Ist dieser überhaupt mit der Wirtschaft oder vielmehr gegen die Wirtschaft durchsetzbar? Würden die Unternehmer volkswirtschaftlich vernünftig handeln, hätten schon Tausende Schornsteine aufgehört zu qualmen. Verschiedene Berechnungen der Kosten des Klima­wandels für die Volkswirtschaften, wie etwa ein Bericht des britischen Ökonomen Nicolas Stern, müssten die Unternehmensleiter eigentlich in Angst und Schrecken versetzt haben. Sie prognos­tizieren dramatische Wachstumseinbrüche für den Fall, dass die Wirtschaft nicht auf »grünes Wachstum« umsteige. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung warnte Mitte März, die durch extreme Klimaereignisse verursachten Kosten könnten in Deutschland bis zum Jahr 2100 rund 3 000 Milliarden Euro betragen.

Solche globalen Betrachtungen scheinen den durchschnittlichen deutschen Großunternehmer bisher jedoch wenig zu kümmern. Zumindest sind Selbstverpflichtungen für den Klimaschutz, wie etwa die der Kraftwerksbetreiber oder der europäischen Automobilindustrie, bislang nicht ernst zu nehmen. Die Autohersteller hatten zugesagt, bis ins Jahr 2008 den CO2-Ausstoß ihrer Neufahrzeuge auf durchschnittlich 140 Gramm pro Kilometer zu reduzieren. Weil der Wert im Jahr 2004 noch immer bei 163 Gramm lag, hat die EU-Kommission nun für kommendes Jahr eine verbindliche Regelung angekündigt.

Die deutschen Autokonzerne haben vorsichtshalber bereits den Verlust von Arbeitsplätzen und Wettbewerbsnachteile vorhergesagt, wenn die EU ihren Plan verwirkliche. »Die Wirtschaftskraft und die Arbeitsplätze werden gemeinsam mit der Umwelt draufgehen, wenn die Herrschaf­ten in den Autokonzernen sich nicht ein bisschen mehr bewegen und sich mit ihren Innovationen nach der Decke strecken«, lautet die Antwort des grünen Parteivorsitzenden Reinhard Bütikofer.

Sicher, Innovationen bringen zuweilen auch Arbeitsplätze und Wachstum. Das ist einer der Kernpunkte im Konzept der grünen Bundestagsfraktion für eine »grüne Marktwirtschaft«. Die Wirtschaft soll wachsen und dabei das Klima schützen. Trotz des Booms der so genannten Erneuerbaren Energien klingt das, übertragen auf die gesamte Volkswirtschaft, widersinnig. Denn es ist schwer vorstellbar, wie ein alternatives Wirtschaften funktionieren soll, das auf Konsum und permanentem Wachstum basiert.

Die ökologische Wende lässt weiter auf sich warten, auch wegen politischer Entscheidungen. Der taz zufolge sollen energieintensive Branchen wie die Stahl- oder Zementerzeugung ihre Emis­sionszertifikate weiterhin umsonst erhalten. Dabei werden bereits zehn Prozent der gesamten Zertifikate für die kommende Handelsperiode ab 2008 versteigert. Wenn Umweltminister Ga­briel den Emissionshandel als schärfste Waffe für den Klimaschutz verkauft, ist das besonders dreist. Übrigens war es die Metallindustrie, die zum großen Teil für den höheren CO2-Ausstoß im vergangenen Jahr verantwortlich war.

Das Meseberg-Programm erwägt zwar auch wichtige Schritte, etwa wenn Mindeststandards für energieeffiziente Produkte festgelegt werden sollen, eine Idee, die etwa in Japan schon sehr er­folgreich war. Es kommen allerdings grundsätzliche Zweifel auf, wie wahrscheinlich Gabriels Prog­nosen sind. Auch die Grünen wollten in einer Studie die Wachstumspotenziale des Klimaschutzes untersuchen lassen. Aus dem Büro der stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden Bärbel Höhn heißt es: »Wir haben keinen gefunden, der das für uns machen wollte. Das sei seriös nicht möglich, weil es zu viele Unwägbarkeiten in der Rechnung gibt.« Allein wie sich eine Maßnahme auf den Stromverbrauch auswirkt, sei schließlich mit viel Unsicherheit verbunden.

Doch dafür hatte Gabriel seinen großen Auftritt. Und Jürgen Thumann, Präsident des Bundesverbands der deutschen Industrie (BDI), reagierte prompt: »Es geht nicht nur um Klimaschutz. Auch Ziele wie Versorgungssicherheit und Export­chancen der deutschen Wirtschaft für energieeffiziente Technologien stehen gleichrangig nebeneinander.« Daher begrüße der BDI Teile des Meseberg-Programms. Inwieweit die vorgeschlagenen Maßnahmen auch »kosteneffizient« seien, werde derzeit geprüft. Volldampf voraus.