Die Rückkehr der Wölfe

Jahrelang hat man wenig von ihnen gehört. Doch seit Juli sind die Grauen Wölfe im türkischen Parlament vertreten und gewinnen auch hierzulande wieder mehr Einfluss. von kemal bozay

Spätestens seit den jüngsten Bestrebungen der türkischen Regierung, militärisch in der kurdischen Autonomieregion im Nordirak zu intervenieren, um gegen die PKK vorzugehen, treten auch rechts­extreme türkische Vereinigungen in bundesdeutschen Städten vermehrt öffentlich auf und machen mobil. Die Welle der Gewalt hat mit den Aktionen vor kurdischen und türkischen Einrichtungen unter anderem in Berlin, Köln und Duisburg eine neue Dimension erreicht.

Doch der Erfolg der Grauen Wölfe, die in der Türkei in der Nationalistischen Bewegungspartei (MHP) und der Großen Einheitspartei (BBP) organisiert sind, beschränkt sich nicht allein darauf. Zumal der jüngste Wahlerfolg der MHP in der Türkei eine neue Dynamik erzeugt hat. Profitiert haben die Grauen Wölfe von dem von der Regierung wie der kemalistischen Elite geschürten Nationalismus, der sie zur drittstärksten Kraft im Parlament avancieren ließ. Der Einfluss türkisch-rechtsextremer Organisationen sowie ihrer Netzwerke ist seit Mitte der neunziger Jahre auch in Deutschland enorm gestiegen. Mehr als 350 Vereine und Gemeinden sind bundesweit entstanden, die als Selbsthilfeorganisationen Einfluss auf das soziale Leben von Türken nehmen.

Der Einfluss der ethnisch-rechtsextremen Bewegungen kann nicht allein mit bundesdeutschen Rahmenbedingungen erklärt werden. Die praktischen Erfahrungen zeigen, dass die sozialen und politischen Entwicklungen in der Türkei die politische Orientierung der türkischen Bevölkerung in Deutschland stark beeinflussen. Herausgebildet haben sich hier drei rechtsnationalistische Dachverbände: Türk Federasyon (Föderation der Idealistenvereine in Europa, ADÜDTF), ATIB (Türkisch-Islamische Union Europa) und ANF (Föderation der Weltordnung in Europa). Alle diese Verbände bekennen sich heute zur Tradition des Grauen Wolfes.

Mit erheblicher Unterstützung Nazi-Deutschlands florierte Ende der dreißiger Jahre der Panturanismus, der Vorläufer der türkischen Rechtsextremen. Nazideutschland versuchte damals, die Türkei an sich zu binden, und nutzte dabei die panturanistische Bewegung. Zeitschriften wie Bozkurt (Grauer Wolf), die von Nazi-Deutschland finanziert wurde, unterstützten den Pan­turanismus. Als Gegenleistung sollten die Turanisten die Türkei an der Seite des deutschen Faschismus in den Zweiten Weltkrieg führen. Zahlreiche Turanisten kämpften auf der Seite Deutsch­lands in Jugoslawien. Anfang der sechziger Jahre wurden im ganzen Land so genannte Antikommunistische Kampfvereine als Vorläufer der MHP gegründet. Oberst Alparslan Türkes, der inzwischen verstorbene Führer der türkischen Neofaschisten, beteiligte sich mit weiteren zehn Offizieren zunächst an der CKMP (Republikanisch-nationale Bauernpartei), die 1969 in MHP umbenannt wurde. 1968 wurden die ersten rechtsex­tremen Kommandolager in der Türkei gegründet, in denen ehemalige Offiziere Jugendliche militärisch und ideologisch ausbildeten.

Der Graue Wolf stützt sich dabei auf einen Mythos der nomadischen Göktürken, in dem der Wolf als legendäres Tier angesehen wird, das die türkischen Stämme vor der Unterjochung durch den Feind gerettet und sie von China nach Kleinasien geführt habe. Für den gegenwärtigen türkischen Rechtsextremismus symbolisiert der Graue Wolf die Militanz der politischen Bewegung.

Die rechtsextreme Bewegung in der Türkei stützt sich ideologisch auf ein Konglomerat von verschiedenen nationalistischen und islamistischen Diskursen: auf den idea­listischen Nationalismus (Ülkücülük), der einen ausgeprägten Rassismus gegenüber allen nicht-türkischen Bevölkerungsteilen, insbesondere den Minoritäten im eigenen Land, beinhaltet; die antidemokratische Grundhaltung, die die Propaganda gegen Linke, Sozialisten, Kommunisten und Gewerkschaften, aber auch gegen demokratische Institutionen in den Mittelpunkt stellt; auf den Islam in seiner Rolle für die Konstituierung des so genannten Türkentums; auf die Türkisch-Islamische Synthese (Türk Islam Sentezi), deren Kernelement die Untrennbarkeit von türkisch-nationalen und islamischen Bestandteilen ist, als Gegenpol zum Einfluss linker Ideen; auf die Neun-Strahlen-Doktrin des MHP-Führers Türkes, der damit den Weg zur nationalistischen Türkei proklamierte und die Autorität des Führers festigte; und nicht zuletzt auf die in Deutschland propagierte Kern­ideologie des Europäischen Türkentums (Avrupa Türkcülügü), der als Sammelbegriff für die türkisch-nationalistische Identität in Europa benutzt wird. Damit werden die Migranten angesprochen, die zwar ihren Lebensmittelpunkt in Europa haben, aber dennoch ihre türkisch-nationalistische Identität weiter verbreiten und für türkisch-nationalistische Interessen mobil gemacht werden sollen.

Das verstärkte Auftreten nationalistisch-rechtsextremer und kemalistischer Bewegungen sowohl in der Türkei als auch in Deutschland korreliert zweifelsohne auch mit der Entwicklung des Konflikts um die so genannte Kurden-Frage. So hat das Kurden-Problem in der Türkei nach den neun­ziger Jahren eine nationalistische Ekstase hervorgerufen. Dabei ist das nicht nur eine Folge der Kriegshysterie gegenüber separatistischen Tendenzen. Es handelt sich auch um die Neubelebung einer chronischen Existenzangst des türkischen Staats beziehungsweise des türkischen Nationalismus. Durch die gesamte Geschichte der türkischen Republik hindurch wurde immer wieder die Angst vor dem Separatismus reproduziert, welche heute das Rückgrat des türkischen Staatsnationalismus bildet.

Die Realität, dass im Nachbarland Irak die Kurden nach Autonomie streben und im türkischen Parlament die pro-kurdische DTP (Demokratische Gesellschaftspartei) Fraktionsstärke hat, wird als Bedrohung wahrgenommen. Vor allem die von Ministerpräsident Tayyip Erdogan, angestrebte EU-Mitgliedschaft der Türkei wird sowohl von den Rechtsnationalisten, der kemalistischen Elite als auch den Linksnationalisten als Vaterlandsverrat kritisiert.

Gerade durch den Import der politischen Auseinandersetzungen um die kurdische Frage in der Türkei und im Nordirak erhalten sowohl türkisch-rechtsextreme Organisationen als auch kemalistische Einrichtungen einen neuen Aufwind, um das europäische Türkentum zu mobilisieren. Nach türkischem Vorbild ziehen Demonstranten durch bundesdeutsche Städte, verdammen die PKK und auch die Kurden. In manchen Großstädten wird sogar zur Hetzjagd auf Kurden und ihre Einrichtungen aufgerufen und somit ein kurdisch-türkischer Konflikt auch hierzulande konstruiert. Den Grundbaustein für diese Mobilisierung bilden dabei die politische Propaganda in der Türkei und die Berichterstattung der türkischen Medien und Fernsehkanäle, die über Satellit zu empfangen sind.