Die Strategie der Pinguine

Cristina Kirchner hat die Präsidentschafts­wahl in Argentinien überlegen gewonnen. Politische Aussagen von ihr sind bisher aber nur sehr wenige bekannt. von jessica zeller

Die Macht in Argentinien bleibt in den Händen des Ehepaars Kirchner, aber der Beginn der zweiten Amtszeit verlief nicht ohne Probleme. Nachdem die First Lady und Präsidentschaftskandidatin Cristina Fernández de Kirchner und ihr Gatte, der Präsident Nestór Kirchner, in ihrer Herkunfts­provinz im südlichen Santa Crúz am 28. Oktober gewählt hatten, lief auf dem Rückflug nach Buenos Aires der rechte Motor der Präsidentenmaschine »Tango 01« heiß. Die Flughöhe musste bin­nen Sekunden um 1 200 Meter gesenkt werden. Die Landung auf dem hauptstädtischen Flughafen Jorge Newberry sei »ziemlich unsanft« gewesen, sagte der Privatpilot des Präsidenten Sergio Velázquez.

Ist es nur ein Zufall, dass diese Nachricht erst vier Tage nach der Wahl an die Öffentlichkeit gelangte? Vielleicht. Sicher ist jedoch, dass ein Wahl­sieg mit einer beinahe passierten Bruchlandung nicht gut ins Bild gepasst hätte für die »Pinguine« – so bezeichnen sich die Kirchners wegen ihres Wohnsitzes in Patagonien, wo Millionen der Tiere leben. Fast 45 Prozent der Stimmen konnte Cris­tina Kirchner auf sich vereinen und gewann damit bereits im ersten Wahlgang. Denn nach argentinischem Wahlrecht wird die notwendige absolute Mehrheit der Stimmen dann hinfällig, wenn der an zweiter Stelle platzierte Kandidat mehr als 20 Prozent hinter dem Sieger liegt.

Elisa Carrió, Kandidatin der Mitte-Links-Parteien, kam lediglich auf knapp 23 Prozent der Stimmen, und der ehemalige liberal-bürgerliche Wirtschaftsminister Roberto Lavagna lag mit knapp 17 Prozent abgeschlagen auf dem dritten Platz. Auch im Parlament, wo die Hälfte, und im Senat, wo ein Drittel der Sitze zur Abstimmung stand, gewann die Peronistische Partei. Ein klarer Erfolg. Kein Wunder also, dass das Ehepaar am Wahlabend lieber gemeinsam in die Kameras strahlte, anstatt sich über die Mängel der Präsidentenmaschine auszulassen.

»Wir haben deutlich gewonnen, aber das bedeutet nicht mehr Privilegien, sondern mehr Verpflichtungen«, sagte die zukünftige Präsidentin und versprach, ihr Amt »für alle Argentinier« aus­zuüben. Eine Aussage, die ähnlich konkret anmutet, wie ihre Wahlkampfslogans: »Cristina – der Wandel hat begonnen« und »Wandel in der Kontinuität«. Eine inhaltliche Positionierung und vor allem Aussagen über die Politik ihres Vorgängers und Ehemanns Nestór Kirchner vermied sie im Wahlkampf tunlichst. Interviews oder gar Pressekonferenzen, da steht Cristina Kirchner ganz in der Tradition ihres Mannes, gibt sie grundsätzlich nicht. Allgegenwärtig waren dagegen in den vergangenen Monaten Fotos der Kandidatin: Kirchner Arm in Arm mit Laura Bush, gemeinsam mit dem Linkspopulisten Hugo Chá­vez, in vertrauter Unterhaltung mit dem spanischen Kronprinzen Felipe und seiner Gattin Letizia. Ihre glamouröse Inszenierung – selbst ein Bombenangriff könnte sie nach eigener Aussage nicht davon abhalten, sich hübsch anzuziehen und Parfüm aufzutragen – brachte ihr bei den Argentiniern den Spitznamen »Königin Cristina« ein.

Der »Kirchnerismus«, so viel scheint festzustehen, wird sich wohl auch in Zukunft vor allem durch zwei Dinge auszeichnen: inhaltliche Beliebigkeit und Machterhaltung des eigenen Clans. Es ist davon auszugehen, dass Cristina Kirchner Schlüsselpositionen nicht neu besetzen wird. Das Amt nach vier erfolgreichen Regierungsjahren großzügig der Gattin und engsten Beraterin zu überlassen, die Entscheidung darüber dem Kabinett ganz nebenbei im Nachhinein mitzuteilen und von einer Legitimation in der eigenen Par­tei ganz abzusehen – dieses Vorgehen verdeutlicht recht gut die Strategie der Pinguine, die sich selbst genug sind.

In einem Land, in dem die traditionellen Parteien in der Bedeutungslosigkeit zu verschwinden drohen, haben die Kirchners längst begriffen, was es heißt, Post-Politik zu betreiben. Erst rettet er das Land aus Wirtschaftskollaps und sozialer Krise und gewinnt Sympathien mit Menschen­rechts­politik, dann, bevor seine Sympathie in der Bevölkerung wegen Abnutzungserscheinungen abnimmt, übernimmt sie die Regierungsverantwor­tung. Ein Ehepaar, das Regierung und Opposition in einem ist, so scheint für viele Argentinier der perfekte Konsens auszusehen. »Nach Jahren des Neoliberalismus sind die einstigen politischen Identitäten zerstört und die Parteien von früher ohne Bedeutung. Die argentinische Bevölkerung ist völlig orientierungslos. Die Linke findet keine Antwort darauf und hält weiter das traditionelle Banner hoch, in der Hoffnung, dass ihr jemand folgt. Auch die Opposition von rechts ist fragmen­tiert – zu viele Kandidaten kämpfen da gegeneinander. Die Kirchners und ihr familiärer Personalismus sind auf unbestimmte Zeit der Status quo«, analysiert der argentinische Historiker Fer­nando López den Wahlsieg von Kirchner.

Aber ist Regieren tatsächlich so einfach? Als Präsidentin muss Cristina Kirchner ab dem 10. Dezember, an dem sie vereidigt wird, wenn schon nicht öffentlich, dann doch zumindest im Hintergrund zu bestimmten politischen Fragen Stellung beziehen. Etwa dazu, wie sie die strukturelle Energiekrise und die steigende Inflation bekämp­fen will. Welche außenpolitische Orientierung hat sie und welche politischen Fraktionen werden in ihrem Kabinett miteinbezogen. Vergibt sie die begehrten Ämter eher an kritische Leute oder doch lieber an Traditionsperonisten? Und: Was passiert, wenn die Armen im Land doch noch mal rebellieren, wie zuletzt im Dezember 2001?

In ihrer Rede direkt nach der Verkündung ihres Wahlsieges versprach Kirchner, den Kurs ihres Mannes beizubehalten und weitere Reformen zu betreiben. Ihre Gegner werfen dem Ehepaar jedoch bereits einen autoritären Regierungsstil vor, sie kritisieren die Korruption in der Regierung, die steigende Kriminalität und die Wirtschaftspolitik, die durch Preis- und Tarifkontrollen sowie einen künstlich niedrig gehaltenen Wechselkurs zu Inflation und Güterknappheit geführt hat.

Ob diese Probleme am Schreib-, Ess- und Nacht­tisch der Kirchners bereits Thema sind, wird die Öffentlichkeit wahrscheinlich nie erfahren. Dementiert wird bislang auch, dass das Flugzeug »Tango 01« bald verschrottet wird, wie die argentinische Tageszeitung Página 12 in Erfahrung gebracht haben will. Bekannt ist nur so viel: Am Donnerstag voriger Woche ist das Ehepaar Kirchner für einige Tage »zur Erholung« zurück nach Santa Crúz geflogen. Diesmal sicherheitshalber in einem Privatjet.