Musik als Giveaway

Die Krise der Musikindustrie zeigt längst auch bei den Indielabels Auswirkungen. Ein Gespräch mit Gereon Klug, dem Betreiber der Labels Nobistor und Pudel-Produkte und des Hamburger Plattenladens »Hanseplatte«, über die Zukunft der Indieszene

Der Musikvertrieb Hausmusik hat Konkurs angemeldet, Lado, das Label der Hamburger Schule, ist ihm nur knapp entgangen. Schreiben Sie schon an einem Buch oder womit wollen Sie in Zukunft Ihr Geld verdienen?

Es ist schlimm. Ich war in der vergangenen Woche beim sehr traurigen Resteräumen bei Haus­musik, dem Vertrieb, der fast 20 Jahre lang von Wolfgang Petters mit Herzblut betrieben wurde. Er wird wieder Elektriker, hat also etwas Anständiges gelernt. Ich dagegen bin ein gewöhnlicher Studienabbrecher und kann nicht einmal einen mp3-Player reparieren. Ich muss wahr­scheinlich weiter als Putzerfisch für Künstler arbeiten, die auf Tour gehen, und warten, bis etwas abfällt.

Man spricht ja gegenwärtig von einer Krise. Ist das nicht absurd? Ist die Indieszene nicht ohnehin eine von Menschen in Außenseiterpositionen geschaffene Szene der Krise?

Nein, weshalb? Ich sehe sehr wenige Außensei­ter­positionen im Indiebereich, die sich durch so etwas Großes wie eine Opposition oder eine wirk­liche Gegenhaltung auszeichnen. Außenseiter sind die meisten Indielabels und Künstler höchstens durch eine Null weniger am Ende der Verkaufszahlen. Aber daraus abzuleiten, sie seien nicht dem Markt ausgeliefert, ist ja Un­fug.

Es geht auch eher um die Bohème, um eine digitale vielleicht.

Ich wollte meinen ersten Plattenladen vor 15 Jah­ren tatsächlich »Bohemia« nennen. Was für ein schrecklicher Name! Zum Glück habe ich den Gedanken verworfen! Was eine digitale Bohème ist, stelle ich mir lieber nicht vor. Das klingt nach Berlin, De:Bug und Second Life.

Tocotronic rufen auf ihrem aktuellen Album die »Kapitulation« aus. Warum wird die Aussage Ihrer Meinung nach in den Feuilletons wie eine frohe Kunde gehandelt?

Weil es so noch keiner sang in Zeiten, in denen jeder seine letzte Platte ankündigt. Man kann das natürlich auch kritisieren als kleinen, im Kulturbetrieb Gratiseffekte auslösenden Gedanken. Ich fand die Aussage aber ebenso gut und inspirierend wie Dirk von Lowtzows Stellungnahmen für eine Künstlerexistenz und seine Ablehnung der grassierenden Selbstausbeutung nach dem Motto: Meine Arbeit ist mein Leben. Ich strample mich ja auch nach diesem Prinzip ab.

Rocko Schamoni oder Heinz Strunk verkaufen Zehntausende Bücher, und die Tonträgerverkäufe erreichen gerade mal ein Zehntel der Menge. Wie erklärt man sich das als Labelbetreiber?

Ein Zehntel? Schön wär’s! Es ist noch viel weniger. Rocko Schamoni hat ja inzwischen seine Musikerkarriere aufgegeben, zumindest in der üblichen Form als Solokünstler mit Band und mit dem üblichen Turnus von CD-Veröffentlichung und Tour. Heinz Strunk freut sich darüber, dass nun sein altes, tolles Material im Wind­schatten seines Buch-Bestsellers Aufmerksamkeit gewinnt und er tatsächlich noch mal einige CDs verkaufen kann. Aber erklären kann ich mir den Widerspruch auch nicht wirklich. Ich finde ihn beschämend und grotesk.

Sie sind Geschäftsführer von »Hanseplatte«. Welches Konzept verfolgt der Plattenladen?

Ursprünglich kam die Idee vom Verein RockCity in Hamburg. Es sollte eine Plattform für Hamburger Musik, also hiesige Labels und Künstler, geschaffen werden, die im Gegensatz zum unerträglichen Schnelldrehzwang großer Ketten auf Nachhaltigkeit setzt. Außerdem wollten wir eine gute Repertoirepflege und kurze Wege zwischen Musikern und Publikum gewährleisten.

Einerseits funktioniert es sehr gut, denn die Begeisterung über unser aus meiner Sicht liebe­voll zusammengestelltes Programm bemerken wir natürlich. Andererseits sind die Gewinnspan­nen aber im unglaublich schrumpfenden Tonträgermarkt so gering, dass wir nur mit Devo­tio­nalien wie Shirts oder eigenen Produkten über die Runden kommen. Dass diese Beschränkung auf Hamburg nicht negativ abgren­zend zu anderen Städten gemeint ist und wir inzwischen einige andere Dinge verkaufen, sieht man auch schnell. Schule machen kann das allenfalls in Berlin, denke ich. Nur dort ist die Musikszene groß genug, um einen ganzen Laden zu füllen.

Wie funktioniert die Institution »Pudel-Produkte«? Könnte es ein Zukunftsmodell sein, ein Label an einen Club zu binden, wie die Chicks On Speed die Musik mit der Mode und der Kunstperformance zu verknüpfen oder sich wie die 3 Normal Beatles mit einem Maler wie Daniel Richter zusammenzutun?

Eine unregelmäßig erscheinende 12-Inch-Vinyl-Reihe, bei der es bis heute keine Verträge mit den Künstlern gibt, sondern nur alles im dubio­sen Dunkel des nächtlichen Clublebens vom Chefbooker des Golden Pudel Clubs, Ralf Köster, zusammengeführt wird, eine Institution zu nennen, ist lustig. Die Pudel-Produkte sind Produkte des unsteten, geilen Geistes des Golden Pudel Clubs. Sie rocken wie Affe und sind limitiert. Die Chicks On Speed sind doch Performance-Künstlerinnen, die zufällig auch Musik machen, wie mir scheint. Sie taugen so nicht als Blaupause für neue Modelle auf dem Musikmarkt. Und dass ein reicher Maler wie Daniel Richter seiner Hausband 3 Normal Beatles einen Siebdruck in einer Auflage von 100 Stück für die erste Platte spendiert, nützt auch nichts. Die Platte bleibt toll, die Version mit Siebdruck leisten sich nur die Spekulanten.

Wie kann man denn in Zukunft ein Musikprodukt verkaufen?

Als so genanntes Giveaway, das wird seine zukünftige Rolle sein, wirklich! Wenn du ein T-Shirt kaufst, bekommst du die CD gratis dazu. Das hat wahrscheinlich sogar schon ein zweifelhafter Charakter wie Tim Renner 1999 vorausgesagt, aber es wird leider wahr. Dass Radio­head ihre neue Platte nur online gratis anbieten, sehe ich eher als den erfolgreichen Versuch, irgendwann einmal als Erster in die Geschichtsbücher einzugehen. 2033 wird es heißen: »Radiohead, war das nicht die Band, die damals 2007 als erste alles umsonst zum Download anbot?« Man wird eben nicht sagen: »Radiohead, war das nicht diese schmockige, öde Aufgeblasenheit, die mit Blutarmut Millionen machte?«

Neulich im »Tatort« waren Sigur Rós im Sound­track zu hören. Ein Titel von Blumfeld tauchte zwei Wochen später auf. Ist der Film die Rettung?

Nein, besser noch: alle ans Theater! In das mit Gold und Ruhm totgepflasterte Schlupfloch aller ehemaligen Populärmusiker, die dort farbige Revueträume auf bombastische Weise inszenieren und so die gut bezahlten Hofnarren des Establishments geben. Oh, Entschuldigung! Die Möglichkeiten für all die Kameruns, Palmingers, Strunks und Rachuts sind dort einfach paradiesisch. Alle sind nun am Theater, sogar Deichkind, hörte ich. Das ist bizarr, aber vielleicht die einzige Möglichkeit.

Sollte man nicht politisch mehr einfordern? In Schweden wird die Popkultur staatlich gefördert, Bands gehen auf Staatskosten auf Tour.

Hoffentlich tut der Staat nichts. Ich fand immer schon jede Einflussnahme des Staats auf die Musikszene unerträglich, selbst wenn mit unglaublich sinnvollen Jugendzentren die Jugendlichen von der Straße geholt werden konnten oder durch Förderungen Proberäume abfallen. Ich hasse das. Junge Musiker dürfen nichts nehmen von denen da oben! Es ist doch kein Rock’n’Roll, in einem Proberaum der Stadt zu spielen!

Wie sehen Sie also letztlich der Zukunft entgegen?

Mir soll nur einmal so etwas passieren wie der Hamburger Band »Die Zimmermänner« neulich. Ihre letzte CD hat sich ganz normal schlecht verkauft, aber als die Band in Nürnberg war, wurden die Musiker von einem alten Fan angesprochen: Warum es denn verdammt noch mal kein Vinyl gebe? Das rechne sich leider nicht, war die Antwort der Band, die Kosten für die Pressung von 1 000 Exemplaren lägen bei etwa 4 000 Euro. Darauf sagte der Mann: »Okay, ich gebe euch das Geld, gebt ihr mir dann einige Platten ab!« Das wäre für jeden Labelmacher natürlich ein Traum: eine Privatfinanzierung von inzwischen reich gewordenen Die-Hard-Fans. Unfassbar!

interview: maurice summen