Was Goebbels als Schüler gern gelesen hätte

»Der Schrecken aller linken Spießer, die dich unterrichten«, möchte die Schülerzeitung Perplex gern sein. In dem Blatt kauen die Jungen Nationalen vor, was sächsische Jugendliche denken sollen. von jessica konrad

»Perplex« ist ein lateinisches Wort und bedeutet so viel wie verwirrt, verblüfft, bestürzt. Was will der Name den Lesern mitteilen? Dass die Herausgeber verwirrt sind? Dass sie verblüfft, bestürzt, also irgendwie von ihrer Lebenssituation überfordert sind?

Es gibt die Zeitschrift Perplex tatsächlich. »Jung, frech, deutsch« gibt sie gleich auf der Titelseite vor zu sein, und dem Impressum zufolge trifft zumindest »deutsch« zu. Herausgegeben wird sie nämlich vom Landesverband Sachsen der Jungen Nationaldemokraten (JN). Ansonsten ist die Zeitschrift auf den ersten Blick vor allem eines: schlecht gemacht. So schlecht, dass man sie ohne weiteres für eine gut gelungene Kampagne der Antifa halten könnte, welche die NPD lächerlich machen möchte.

Schon die Titelseite des Heftes ist unattraktiver als jedes Sparkassenmagazin für Jugendliche. Perplex wird nicht etwa umsonst oder kostenlos verteilt, sondern »ganz kostenlos«. Die Zeitschrift skandalisiert »das linksextreme Bildungsdesaster« und meint damit offenbar Sachsens Bildungspolitik, die seit 1990 von der CDU verantwortet wird. Besieht man sich die Titelseite weiter, kommt man überdies zum Schluss, dass junge, freche und deutsche Jugendliche dem von den JN beklagten Abstieg Sachsens »vom Freistaat zum Geisterstaat« ein trotziges »Wir bleiben hier« entgegenschmettern. Oder sie inszenieren sich als Paukerschreck und greifen den nicht gerade taufrischen Spruch »Mir stinken die Linken« auf.

Auch das Vorwort trieft vor trotzigem Pathos pubertierender Dorfjugendlicher. »Diese Schülerzeitung ist der Schrecken aller linken Spießer, die dich unterrichten. Denn wir sprechen über Themen, die für deine Pauker längst tabu sind. Dass sie dir nur ihren eigenen linksextremen 68er-Schwachsinn eintrichtern wollen und ihr Unterricht nichts anderes als einseitige Stim­mungs­mache ist, wirst du beim Lesen der folgenden Seiten selber merken.« Pauker, Stimmungsmache, Schrecken der Spießer – das wirkt nicht nur völlig antiquiert, sondern auch sehr peinlich.

Auf den zweiten Blick stellt man jedoch fest, dass die Herausgeber in mundgerechten Häppchen einen Überblick über die Lieblingsthemen der NPD geben. Deutsche würden »zu Fremden im eigenen Land«, die Wirtschaft diene nicht mehr dem »Volk«, sondern »nur noch der Profitgier einiger weniger Reicher«. Des Weiteren wird ausländischen Schülern in rassistischer Manier Aggressivität zugeschrieben. Es sei »allgemein bekannt, dass besonders viele Jugendliche aus dem vorderasiatischen Raum zu einem aggressiven und gewalttätigen Verhalten neigen«.

Die Autoren der Artikel geben sich nicht ansatzweise die Mühe, ihre rechtsextreme Propaganda zu verschleiern. Den Weg aus der Perspektivlosigkeit sollen Jugendliche beispielsweise finden, indem sie bei »der nächsten Wahl die Polit-Bonzen abwählen und die NPD wählen«, ihren »Schulhof zur national befreiten Zone« machen oder sich weitere Publikationen der JN bzw. der NPD bestellen.

Das alles ist derart unverhohlene Parteipropaganda, dass man sich gar nicht vorstellen kann, dass die Jugendlichen, die das Heftchen lesen, nicht den eklatanten Widerspruch bemerken, der es durchzieht: Einerseits wird der Leser dazu auf­gefordert, sich »nicht alles vorkauen« zu lassen, andererseits wird dem Leser auf 15 Seiten der gesammelte Propagandamumpitz der NPD vorgekaut, die einen auf der letzten Seite dazu anhält, am besten sofort ihr Mitglied zu werden.

Man fragt sich also beim Durchblättern von Perplex unablässig, ob dieses Blatt irgendeinen Schüler interessieren könnte – oder aber, wie viele Jugendliche in Sachsen derartig unfähig zur Reflexion sind, dass Perplex ihre Bedürfnisse rundherum befriedigt und eine Art rechtsextremer Jugendarbeit neuer Qualität leistet.

Angeblich haben die JN 30 000 Exemplare produziert. Schüler bekamen davon aber nur wenige in die Hände. Denn bereits zwei Tage nach der Ankündigung der NPD, Perplex an sächsischen Schulen zu verteilen, ordnete das Amtsgericht Dresden am 21. September an, die Hefte zu beschlagnahmen. Die Generalstaatsanwaltschaft des Freistaats Sachsen hatte darin mehrere strafrechtlich relevante Inhalte entdeckt. Perplex enthalte ehrverletzende Äußerungen über die Lehrer an deutschen Schulen, und der Artikel »Der Krieg, der viele Väter hatte!«, in dem Hitler als Friedensengel gefeiert wird, der bis zur letzten Sekunde versucht habe, den Zweiten Weltkrieg abzuwenden, sei geeignet, das Verhältnis zwischen Lehrern und Schülern und den Schulbetrieb zu beeinträchtigen. Vor allem aber der Aufruf »Mach deinen Schulhof zur national befreiten Zone!« samt der Aufforderung, sich zu organisieren und eine »politische Querfront« gegen die Lehrer zu schaffen, könne den Schulbetrieb gefährden.

In der Tat gehen einige Passagen in den Artikeln über das Maß dessen hinaus, was man von den offiziellen Verlautbarungen der NPD gewohnt ist. Die »Handreichung für eine brisante, spannungsgeladene Geschichtsstunde an deiner Schule« formuliert zur »so genannte(n) Kriegsschuldfrage« nicht nur eine Lobeshymne auf Adolf Hitler und Rudolf Heß, sondern spielt auch auf die Leugnung des Holocaust an. Es gebe, heißt es verklausuliert, ein Thema für den Geschichtsunterricht, das anzusprechen den Schülern nur empfohlen wird, »wenn man im weiteren Leben keinen tieferen Sinn mehr sieht, unbedingt noch am selben Tag von der Schule fliegen und nach einem drei- bis fünfjährigen Sanatoriumsaufenthalt im kanadischen Saskatchewan den Urwald roden helfen möchte«.

Während sich die NPD in Sachsen vom »Zensurwahn« und der »Umwandlung des früheren deutschen Rechtsstaates in einen bundesrepublikanischen Linksstaat« bestürzt zeigte, berichtete der sächsische Verfassungsschutz nur von vereinzelten Verteilaktionen in Aue, Crimmitschau, Dresden, Meißen, Pirna und Königstein, bei denen die Polizei wenige hundert Exemplare beschlagnahmte. Für November hat die NPD allerdings angekündigt, mit einer Auflage von 40 000 Exemplaren erneut vor die sächsischen Schulen zu ziehen.