Der Präsident fährt aus der Haut

Nach der Verhängung des Ausnahmezustands sah sich Pakistans Präsident Mu­sharraf unter ausländischem Druck gezwungen, baldige Wahlen anzukündigen. Doch Tausende von Oppositionellen sind inhaftiert.

Der pakistanische Präsident selbst stellt sich als einen zutiefst patriotischen Demokraten dar. Er habe »stets im Interesse Pakistans gehandelt«, und der Notstand sei notwendig, »um die Demokratisierung des Landes zu retten«. Parlamentswahlen würden Anfang Januar 2008 stattfinden, und er werde demnächst erst seine »zweite Haut«, die Uniform, und dann einen neuen Amtseid als »ziviler Präsident« ablegen, versprach der 64jährige Pervez Musharraf am Sonntag in der Hauptstadt Islamabad. Auf seiner ersten Pressekonferenz seit Verhängung des Kriegsrechts erklärte er, dass der Ausnahmezustand »nötig für den Frieden und die Ordnung« sei und so lange gelten müsse, wie das Land von Terror und Chaos bedroht sei und die nationale Einheit auf dem Spiel stehe.

Musharraf trägt seine »zweite Haut« seit über 40 Jahren. Seit seinem Putsch vor acht Jahren verteidigt er seine Position mit machtpolitischen Winkelzügen und spielt die verschiedenen politischen Lager gegeneinander aus. Die Auftritte des eher kleinen, drahtigen Mannes haben teilweise aufgrund seiner Eloquenz durchaus Unterhal­tungs­wert, bei direkter Kritik wird er jedoch schnell unwirsch und geht zum Frontalangriff über.

Wenn er die Uniform ablegte, würde das an der Macht des Militärs nichts ändern. Seit Jahrzehnten haben die Generäle, meist als Regierende, zuweilen für wenige Jahre aus dem Hintergrund handelnd, das Land fest im Griff. Pakistans Armee ist ein Staat im Staate: Das Militär besitzt die größten und wichtigsten Fabriken, es unterhält u.a. eine eigene Fluggesellschaft. Im Finanz- und im Dienstleistungssektor mischen die Offiziere mit, sie betreiben sogar Schönheits­salons. Größter Arbeitgeber in Pakistan ist zweifelsohne die Armee. Damit nicht genug, nahezu jede Universität oder Fachhochschule wird von ehemaligen Offizieren geleitet, und insbesondere in den Städten soll ein dichtes Informantennetz des militärischen Geheimdienstes ISI existieren.

Mit dem 55jährigen General Ashfaq Parvez Kayani könnte nun ein ehemaliger ISI-Chef von Musharraf den Posten des Oberkommandierenden der Streitkräfte übernehmen. Interessanterweise soll Kayani in seinen letzten Amtsmonaten als einer der Hintermänner bei den Verhandlungen mit Benazir Bhutto fungiert haben, die zu ihrer Rückkehr im Oktober führten. Er kennt sie seit Jahren und war während ihrer ersten Amtszeit stellvertretender Verteidigungsminister. Er gilt als sehr loyal zu Musharraf und hat ebenso wie dieser an westlichen Militärakademien studiert, allerdings in den USA und nicht in Großbritannien.

Dass Musharraf die Absicht bekundet, die Uniform endgültig abzulegen, liegt an dem für ihn sicherlich unerwartet starken Druck der USA. Bisher unterstützte die US-Regierung Pakistan mit mehreren Milliarden Dollar, monatlich soll das Militär über 100 Millionen für den Kampf gegen die Jihadisten im Nordwesten des Landes bekommen haben, zudem wurde Pakistan ein Großteil seiner Schulden erlassen.

Bei der Pressekonferenz mit Bundeskanzlerin Angela Merkel auf seiner Ranch in Crawford erinnerte George W. Bush am Sonnabend an das Versprechen, das ihm Musharraf wenige Tage zuvor in einem 20minütigen Telefonat gegeben haben soll. Dieser habe ihm versichert, als Militärchef zurückzutreten und so früh wie möglich Wahlen abzuhalten: »Ich nehme ihn beim Wort.« Da die USA Unterstützung im Kampf gegen den Terror brauchten, würden sie sich weiter eine gute Zusammenarbeit mit der pakistanischen Führung erhoffen, und man solle Musharraf die Möglichkeit geben, »sein Versprechen einzulösen«. Gleichzeitig betonte Bush, dass mit Benazir Bhutto eine weitere wichtige politische Persönlichkeit die Gefahr des Terrorismus erkannt habe und ihr entgegentrete.

Offenbar will Bush zwar Musharraf etwas Aufschub gewähren, erwartet aber ein Nachgeben und größere Kompromissbereitschaft. Ein enges Bündnis mit der pakistanischen Regierung ist für die USA unerlässlich, was allerdings auch heißen könnte, dass man im Notfall bei weiteren Alleingängen Musharrafs stärker auf Distanz zu ihm gehen würde. Die US-Regierung schien von den jüngsten Maßnahmen überrascht worden zu sein, Musharraf hatte sich am Tag vor der Verhängung des Ausnahmezustands noch mit ranghohen US-Militärs getroffen, offensichtlich ohne diese über seine Pläne zu informieren.

Bushs Beharren auf Einhaltung der gegebenen Zusagen könnte ein Zeichen dafür sein, dass man andernfalls eine mögliche Absetzung Musharrafs, wahrscheinlich durch andere Militärs, dulden würde, sofern die enge Zusammenarbeit mit den USA bestehen bliebe. Die Machtbasis des pakistanischen Präsidenten ist schwach geworden, und die US-Regierung erwartet, dass er sie verstärkt, indem er Benazir Bhutto möglichst bald an der Regierung beteiligt.

Zu Beginn des Notstands hatte Musharraf offenbar noch gehofft, sich durchwurschteln zu können. Am 15. November endet seine Amtszeit offiziell. Da er zum Zeitpunkt der umstrittenen Präsidentenwahl am 6. Oktober die von der Verfassung nicht erlaubte doppelte Funktion als Armeechef und Präsident bekleidete, schien es wahrscheinlich, dass der Oberste Gerichtshof die Wahl annullieren würde. Musharraf drohte somit, zumindest theoretisch, sogar eine Verhaftung. So weit wollte er das Kräftemessen mit dem Obersten Richter Iftikhar Chaudhry offenbar nicht kommen lassen. In seiner Fernsehansprache zur Verhängung des Ausnahmezustands betonte Musharraf, dass durch den zunehmenden Terrorismus und »eine Justiz, welche die Arbeit der Regierung behindert«, eine Situation entstanden sei, »in der die Regierung nicht mehr in Einklang mit der Verfassung handeln« könne. Chaudhry stand zu diesem Zeitpunkt schon unter Hausarrest, weitere Richter, die sich weigerten, der Erklärung des Notstands zuzustimmen, wurden ebenfalls abgesetzt.

Der Ausnahmezustand ermöglicht es der amtierenden Regierung, die bevorstehenden Parlamentswahlen um ein Jahr zu verschieben. Das hätte dem Regime genügend Vorbereitungszeit gegeben, um ein ihm genehmes politisches Bündnis zusammenzustellen und die Opposition so zu behindern, dass sowohl im Parlament als auch bei der Regierungsbildung dann größtmöglicher Rückhalt garantiert wäre.

Doch der Plan einer »maßgeschneiderten Demokratie« scheiterte. Unter dem außenpolitischen Druck sah sich Musharraf gezwungen, baldige Wahlen anzukündigen. Am Sonntag sagte er, die Wahlen sollten sogar vor dem 9. Januar 2008 stattfinden, es obliege nun der Wahlkommission, den exakten Termin festzulegen. Das Parlament werde wie geplant am 15. November aufgelöst, die vier Provinzparlamente würden am 20. November folgen, und bis zu den Wahlen würden Übergangsregierungen amtieren.

Ob diese Zeit reicht, um durch Manipulationen ein genehmes Wahlergebnis sicherzustellen, ist unklar. Tausende Funktionäre oppositioneller Parteien sind derzeit inhaftiert oder unterliegen besonderen Auflagen, darunter auch viele Anhänger von Bhuttos Pakistanischer Volkspartei (PPP). Betroffen sind Anhänger islamistischer Organisationen, aber auch kleiner linker Parteien im Süden des Landes. Sozialisten ist es bislang nicht gelungen, in der stark von traditionellen Werten und Abhängigkeitsstrukturen gekennzeichneten Politik Pakistans Fuß zu fassen. Derzeit gefährlicher für das Regime ist die Opposition aus der Mittelschicht, zahlreiche Menschenrechtler, Anwälte, Studenten und Journalisten wurden deshalb inhaftiert.

Trotzdem kommt es seit der Ausrufung des Ausnahmezustands immer wieder zu Protesten. Vielerorts gingen Anwälte auf die Straße, sie forderten die Wiedereinsetzung des Obersten Richters Chaudhry und die Wiederherstellung der Verfassungsrechte. Über 2 500 Juristen sollen dabei festgenommen worden sein, Hunderte sind noch inhaftiert. Das gewaltsame Vorgehen der Sicherheitskräfte gegen diesen »schwarzen Block« und Berichte über massenhafte Übergriffe erzeugten neue Proteste, denen sich auch andere Gesellschaftsgruppen anschließen.

Als Bhutto am Donnerstag voriger Woche einen Hauptstadt anführen wollte, wurde auch sie vorübergehend unter Hausarrest gestellt. Als sie trotzdem das Anwesen in Islamabad in einer gepanzerten Limousine verlassen wollte, stoppten Sicherheitskräfte sie. Innerhalb kürzester Zeit glich das Villenviertel einer belagerten Festung, da Zehntausende Anhänger der PPP die über 5 000 dort zusammengezogenen Polizisten und Soldaten einkreisten. Bhuttos Hausarrest wurde einen Tag später wieder aufgehoben, wobei Erklärungen der USA und auch zahlreicher EU-Staaten eine Rolle gespielt haben dürften.

Die westlichen Staaten dringen derzeit vor allem auf eine Einbeziehung von Bhuttos PPP in die Regierung. Eine solche Neuaufteilung der Macht schien bereits vereinbart worden zu sein, doch am Wochenende sorgte die PPP-Vorsitzende mit öffentlichkeitswirksamen oppositionellen Auftritten für Aufsehen. Die große Anzahl von Sicherheitskräften in ihrem Schlepptau griff nur ein, als sie Chaudhry besuchen wollte.

Am Dienstag wurde Bhutto jedoch in Lahore erneut unter Hausarrest gestellt, der Demons­trationszug nach Islamabad wurde verboten. Bhutto forderte Musharraf daraufhin zum Rücktritt auf und schloss eine gemeinsame Regierung aus. Zuvor dominierte in vielen pakistanischen Medien die Ansicht, sie wolle zwar auf Distanz zu Musharraf gehen und so die durch ihren Deal mit ihm verlorenen Sympathien zurückgewinnen, aber auch den Preis für eine trotzdem wahrscheinliche politische Kooperation in die Höhe treiben. Wenn Musharraf nicht eine offene Militärdiktatur etablieren will, kann er auf die PPP nicht verzichten, denn keiner anderen politischen Organisation gelingt es derzeit, so viele Menschen für sich zu gewinnen. Doch nun ist Mu­sharraf möglicherweise zu weit gegangen und hat einen Kompromiss unmöglich gemacht.