Dr. Kusch hilft sterben

Roger Kuschs »Rechte Mitte Heimat Hamburg« wird es bei der Bürgerschaftswahl schwer haben, denn auch CDU und SPD kümmern sich um »Law and Order«. Aber vielleicht beeindrucken ja sein »Sterbehilfe-Automat« oder andere Provokationen die Wähler. von andreas blechschmidt

In Hamburg weiß man, dass in der Politik Popularität, Populismus, Erfolg und Niedergang dicht beieinander liegen können. Als der damalige Richter Ronald Schill im September 2001 aus dem Stand mit seiner rechtspopulistischen Partei »Rechtsstaatliche Offensive« 19,4 Prozent der Wählerstimmen erhielt und zum Innensenator aufstieg, schien ein neues politisches Erfolgsmodell geboren. Das ist heute Geschichte. Schill wurde aus dem Amt gejagt, seine Partei hat sich aufgelöst, und überhaupt gilt jene Zeit als eher peinliches Intermezzo.

Roger Kusch, der ehemalige Justizsenator, will es dennoch mit der wenig Erfolg versprechenden Methode seines ehemaligen Senatskollegen versuchen. »Rechte Mitte Heimat Hamburg« lautet der recht umständliche Name der von ihm im April 2006 gegründeten Partei, welche die politische Konkurrenz bei der Bürgerschaftswahl im kommenden Februar das Fürchten lehren soll.

Man erinnere sich: Zwei Monate vor der Partei­gründung hatte der amtierende Erste Bürgermeister Ole von Beust (CDU) Kusch als Justizsenator entlassen. Nach einer Reihe von Amtshandlungen Kuschs, die er mit seiner Partei nicht abgesprochen hatte, nahm von Beust die rechtswidrige Weitergabe von Protokollen eines Untersuchungsausschusses zum Vorwand, um ihn loszuwerden. Von Beust gab auf diese Weise dem Druck seiner eigenen Fraktion nach, die Kusch Profilierungssucht vorwarf und die Eskapaden nicht mehr dulden wollte. Der erzwungenen Demission als Senator folgte der Austritt Kuschs aus der CDU nach 34 Jahren Mitgliedschaft.

Vor allem gekränkte Eitelkeit dürfte daher ein Motiv für Kuschs neue politische Ambitionen sein. Die Kränkung scheint auch Einfluss auf seine Wahrnehmung genommen zu haben, denn er behauptet: »Die CDU ist sowohl in Hamburg als auch auf Bundesebene deutlich nach links marschiert.« Er wettert über »sozialdemokratisierte CDU-Funktionäre« und wirft seinem Nachfolger im Senatorenamt, Carsten Lüdemann, Solidarität mit »linken Richtern« vor.

Die Programmatik seiner Partei auf der nach rechts offenen politischen Richterskala klingt vertraut: Recht und Ordnung, die Abschaffung des Jugendstrafrechts und die Legalisierung der aktiven Sterbehilfe zählen zu ihren Themen. Der »Rechten Mitte Heimat Hamburg« ist kein Stereo­typ und kein Versatzstück populistischer Ideologie zu billig. So heißt es, Täter würden zu Lasten der Opfer »verhätschelt«, Hamburg sei nach wie vor ein Hort des Verbrechens, die Rote Flora zu einer »Terror-Zelle« gereift, und Ole von Beust vernachlässige »das körperliche Wohlergehen unserer tapferen Polizisten und Feuerwehrleute« zugunsten des Spaßes, »den linke Terroristen an brennenden Mülltonnen haben«.

Neben zahlreichen gescheiterten politischen Existenzen ausgerechnet aus der ehemaligen Schillpartei und vom rechten Rand der CDU ist es Kusch selbst, der für das Profil seiner Partei steht. Sein bisheriger Werdegang ist dafür das überzeugendste Argument. Nach dem Jurastudium arbeitete er u.a. als Amtsrichter, Staatsanwalt und als Ministerialrat im Bundeskanzleramt, bevor er zum Oberstaatsanwalt am Bundesgerichtshof berufen wurde. Im Oktober 2000 holte ihn Ole von Beust, damals noch Oppositionsführer, nach Hamburg, um Ronald Schill in Sachen Law-and-order etwas entgegenzusetzen. In seiner Amtszeit als Justizsenator machte sich Kusch nicht zuletzt damit einen Namen, alle Ansätze, die nur im Verdacht eines auf Resozialisierung bedachten Strafvollzugs standen, zu bekämpfen. Seine reaktionäre Personalpolitik und sein autoritärer Führungsstil trugen ihm in der Justizbehörde den Spitznamen »lächelnde Guillotine« ein. Dass das Anti-Folter-Komitee des Europa-Rates im Februar 2006 die von Kusch verantworteten Haftbedingungen in Hamburg für Flüchtlinge in Abschiebehaft als »völlig inakzeptabel« bezeichnete, muss in seinen Ohren wie eine Auszeichnung geklungen haben. Schließlich soll Haft ja eine Strafe sein.

Zu einer wahren Obsession aber hat sich sein Eintreten für die aktive Sterbehilfe entwickelt. Offenbar gibt es kein anderes Thema, mit dem er sich öffentlich Gehör verschaffen kann. Während ihm in seiner Zeit als Senator alle Initiativen auf diesem Gebiet nur Ärger eingebracht hatten, bricht er derzeit nach Herzenslust Tabus und provoziert Skandale. So präsentierte er im September bei einer Wahlkampfveranstaltung in einem Hamburger Altenheim einen »Sterbehilfe-Automaten«. Dabei erklärte er den betagten Herrschaften und der anwesenden Presse, er wolle »kein generelles Selbsttötungsinstrument anbieten, sondern denjenigen todkranken Ster­bewilligen, die ihr Bett nicht mehr verlassen können, ein Angebot machen, in Würde zu sterben«.

Dass dieses Angebot für Zuhörer, deren Lebensperspektive sich auf dem Niveau der Pflegestufen eins bis drei bewegt, wie eine Drohung klingt, kommt Kusch gar nicht in den Sinn. Folgerichtig nahm er einen Wahlwerbespot zum Thema Sterbe­hilfe auf dem Ohlsdorfer Friedhof in Hamburg auf. Mittlerweile hat er außerdem den Verein »Dr. Roger Kusch Sterbehilfe e.V.« aus der Taufe gehoben, dessen Ziel ein Volksentscheid über das Hamburger Sterbehilfegesetz ist.

»Unmoralisch, unethisch und skandalös« nennt der Bürgermeisterkandidat der SPD, Michael Naumann, Kuschs Thesen zur Sterbehilfe. Burkhardt Müller-Sönksen, Hamburger Bundestagsabgeordneter der FDP, fühlt sich »an Anleitungen von Selbstmord-Bombenbastlern im Internet erinnert«. Die rechtspolitische Sprecherin der Hamburger CDU, Viviane Spethmann, nennt die Auftritte ihres ehemaligen Parteikollegen »zynisch«. Aber was soll man von jemandem erwarten, der ausgerechnet an einem 20. April unter dem Titel »Hamburgs furchtbare Justiz« mit einer genuin der Unrechtsjustiz des NS-Faschismus vorbehaltenen Formulierung vermeintliche aktuelle Missstände anklagte?

Kusch dürfte bei der kommenden Wahl keine Chance auf einen Einzug ins Hamburger Parlament haben. Zum einen macht ihm Schills ehemaliger Weggefährte Dirk Nockemann mit der von ihm reanimierten Zentrums-Partei Konkurrenz. Zum anderen hat man in Hamburg dazugelernt. Statt Populisten das Geschäft zu überlassen, kümmern sich CDU und SPD lieber selbst darum. Im Bundesland mit einem der schärfsten Polizeigesetze und dem einzigen Kindergefängnis der Republik sowie einer der höchsten Abschieberaten sind die Volksparteien von den populistischen kaum mehr zu unterscheiden.