Furchtlos im Labor

Die gentechnische Forschung und ihr Publikationsumfeld bilden ein ideologisches System. Ungeachtet ausbleibender Erfolge wird Verheißungsrhetorik verbreitet. von cord riechelmann

Ein Vers aus der Bibel, zu finden bei Jesaja im 11. Kapitel, formuliert in der Sprachform der gewissen Erwartung die Hoffnung auf eine Zukunft, die ganz anders ist als die Gegenwart: »Da wird Gast sein der Wolf beim Lamm, / und der Leopard wird beim Böcklein lagern;  / Kalb und Junglöwe werden zusammen fett werden, / und ein kleiner Junge kann sie miteinander auf die Weide führen.«

Es handelt sich um einen prophetischen Ausblick in die heilige Zeit, die irgendwann anbrechen wird. In der aktuellen Online-Ausgabe der Fachzeitschrift Nature ist ein Moment der alttestamentarischen Prophezeiung bereits Wirklichkeit geworden, allerdings ganz unheilig. Man kann auf der Nature-Seite eine Maus bestaunen, die einer Katze ohne Angst um den Bart geht. Der Grund für die Furchtlosigkeit der Maus ist die Deaktivierung bestimmter Gensequenzen, die Riechzellen auf der Nasenschleimhaut ihre Arbeit tun lassen.

Mäuse flüchten vernünftigerweise, wenn sie in das Geruchsfeld von Katzen oder Füchsen geraten. Diese Reaktion ist genetisch determiniert, das heißt die Mäuse müssen sie nicht lernen. Wie nun aber das Zusammenspiel zwischen den etwa 1 000 Genen, die bei der Maus für die Geruchsrezeptoren zuständig sind, den Riechzellen und dem Verhalten des Tieres im Einzelnen koordiniert wird, das läßt sich über bloße Verhaltensexperimente nicht ermitteln. Denn die Verhaltensbeobachtung kann nie sicher zwischen erlernten und angeborenen Reaktionen unterscheiden.

Mäuse haben sich für das so genannte Knockout-Verfahren, wie die gezielte Deaktivierung bestimmter, eindeutig einem Verhalten wie der Fluchtreaktion vor Feinddüften zuzuordnenden Genbereiche heißt, als erfolgreiches Tiermodell erwiesen. So konnten jüngst zum Beispiel die japanischen Forscher um Hitoshi Sakano von der Universität Tokio zeigen, dass die Deaktivierung der Gene zwar die Fluchtreaktion aufhebt, nicht aber die Wahrnehmung der Katzendüfte oder anderer Gerüche. In Lernversuchen konnten die Wissenschaftler den Knockout-Mäusen die ursprüngliche Abneigung wieder antrainieren. Ein Konditionierungsverfahren, das allerdings an die Bedingungen des Labors geknüpft ist, denn in der so genannten freien Natur gibt es, nachdem sie einmal von einer Katze aufgefressen worden sind, für Mäuse nichts mehr zu lernen. Deshalb sind Fluchtreaktionen auf Katzenduft angeboren.

Was wie ein sinnloser Zirkelschluss – erst etwas ausschalten, um es nachher wieder anzutrainieren – aussieht, hat tatsächlich eine Überraschung ans Licht gebracht. Die nach der Deaktivierung frei gewordenen Stellen in der Riechapparatur der Maus blieben nämlich leer, sie wurden nicht von anderen Nervensträngen ausgefüllt. Es scheint also im Organismus genetisch vorbestimmte Bezirke zu geben, die nicht beliebig mit anderem Material besetzt werden können. Hier werden in einem konkreten System, der Riechapparatur der Maus, die Grenzen der gentechnischen Veränderbarkeit eines Organismus deutlich. Alles lässt auch eine Labormaus nicht mit sich machen.

Fragwürdig bleibt die Knockout-Methode trotzdem, und das nicht nur aus dem Blickwinkel von Tierschützern. Die Veröffentlichung der Ergebnisse der japanischen Forschergruppe folgt einem insbesondere in den vergangenen Jahren zu beobachtenden Trend. Sie profitiert von dem medialen Aufmerksamkeitsschub, den die Knockout-Methode durch die Verleihung des Nobelpreises für Medizin an drei ihrer Pioniere, Mario Capecchi, Oliver Smithies und Martin J. Evans, in diesem Jahr ausgelöst hat.

Für die Konjunktur der mit der Herstellung und Zucht von Knockout-Tierstämmen beschäftigten Labore ist das bestimmt gut. Der Handel mit solchen Tieren ist ein einträgliches Geschäft, und nun fließen Forschungsgelder vermehrt in die Förderung dieser Fachrichtung. Dadurch entsteht einerseits ein Wechselspiel von Angebot und Nach­frage, das zum Beispiel die Knockout-Forschung in gewisser Weise verselbständigt und ihre Zu­arbeiter in einer Art Blase der eigenen Betriebsamkeit gefangen hält. Und in der medialen Öfffentlichkeit entsteht parallel zur Nobelpreisforschung eine Imaginationsmaschine, deren Erfolgs- und Verheißungsrhetorik an den prophetischen Texten des Alten Testaments geschult zu sein scheint, aber die Unterscheidung von profan und heilig nicht mehr kennt, die für die Bibel fundamental ist.

Das ist gesellschaftlich insofern fatal, weil es über die Verheißungsrhetorik der Medien hinaus die Forschung der Öffentlichkeit entzieht und im Falle gentechnischer Verfahren die laienhafte Nachvollziehbarkeit der zum Einsatz kommenden Methoden unmöglich macht. Das Versprechen auf die bessere Zukunft des gentechnisch veränderten Körpers ist zum Fetisch einer ganzen Branche geworden, und es ist kein Privileg von fachfremden Journalisten.

Es ist noch nicht lange her, da leitete ein promovierter Mediziner und Leiter der Wissenschafts­seiten einer Qualitätszeitung den Vortrag Ian Wilmuts, des Schöpfers des Klonschafs Dolly, in Berlin mit einer Suada ein, in der er aufzählte, welche Krankheiten mit Hilfe gentechnischer Klonierung demnächst ganz sicher zu heilen sein würden. Während der Rede des Arztes war Wilmut langsam, aber stetig unruhig geworden und rot angelaufen, er verbrauchte danach fast eine halbe Stunde seiner Redezeit damit, die Verheißungen seines Vorgängers zurückzunehmen. Wilmuts Vortrag bot dann eine eindringliche Beschreibung der Schwierigkeiten des Klonens. Auch als Klongegner konnte man hinterher nicht anders, als das Schaf lieb zu gewinnen und seinen Schöpfer zu achten. Einfach weil er erzählte, was tatsächlich passiert war: Dolly verhieß keine lebensrettende Heilung, sondern war selbst andauernd krank.

Nicht anders steht es um viele Knockout-Mäuse, auch deshalb sind die wenigen, die halbwegs gesund aus dem Zuchtprogramm herauskommen, so teuer. Daher ist es geradezu grotesk, wenn in den »Tagesthemen« die Nachrichten von der Nobelpreisvergabe an die Erfinder der Knockout-Maus mit dem Satz kommentiert wird: Wenn man wissen wolle, was ein Gen macht, müsse man es nur abschalten.

Wenn das so ist, stellt sich allerdings die Frage, warum bis heute keine einzige der über 100 eindeutig als genetisch bedingt erkannten Krankheiten mit gentherapeutischen Mitteln geheilt werden kann. Doch offenbar sind die Methoden unzulänglich. Weil aber, wie das Beispiel Wilmuts zeigt, die Praktiker in der Regel, wenn man ihnen die richtigen Fragen stellt, die Schwierigkeiten ihrer Arbeit nicht nur zugeben, sondern auch sehr viel genauer beschreiben können als Nichtpraktiker, hilft eine Methodenkritik bei der Beurteilung der Gentechnik nicht weiter.

Die gentechnische Forschung ist genauso wie ihre Publikationspraxis längst Teil eines riesigen Systems, das man in Abwandlung eines Begriffs von Louis Althusser als »ideologischen Industrieapparat« bezeichnen kann. Dieser ideologische Apparat sprengt den Rahmen aller bisherigen Großforschungsprojekte. Er ist nicht wie die Atomprogramme der USA oder Russlands staatlich kontrolliert, und er ist auch nicht mehr an Universitäten gebunden wie die Grundlagenforschung bis zur Entdeckung der DNS-Doppelhelix als Träger des Erbmaterials durch James Watson und Francis Crick im Jahr 1953. Mit Craig Venters privat finanziertem Erfolg bei der Entschlüsselung der menschlichen DNS ist auch die genetische Grundlagenforschung ein Teil des globalisierten Marktes geworden.

Zu diesem Markt gehören auch die beiden wichtigsten und angesehensten Wissenschaftspublikationsorgane Science und Nature. Dass Nature-Papers, wie die Veröffentlichungen genannt werden, in den Medien ein unverhältnismäßig großes Interesse erregen, gehört zum System der Genindustrie. Die Publikationen werden durch Anzeigen finanziert und von einer professionell betriebenen Presseabteilung gemanagt, ausgewählte Journalisten auf bevorstehende sensationelle Veröffentlichungen hingewiesen und exklusive Vorabinterviews mit den Forschern vermittelt.

Für Zeitungen heißt das: Wer ein Nature-Paper verpasst oder zu spät kommentiert, gehört nicht zum Wissenschaftsinformationsadel. Das schafft wechselseitige Abhängigkeiten und garantiert Nature-Artikeln die Multiplikation in der Weltpresse, hat aber auch zur Folge, dass Nature-Texte auf die Bedürfnisse der Weltpresse reagieren. Sex, geklonte Ochsen und Affen mit gentechnisch eingebauten fluoreszierenden Haaren verkaufen sich besser als, sagen wir, Populationsschwankungen von Tauben in Münster als Reaktion auf das veränderte Stadtklima.

So kommt eines zum anderen und die Knockout-Maus mit gestörtem Riechverhalten in diesen Artikel. Die Frage, welchen Erkenntnisgewinn ein solcher Laborversuch bringt, spielt dann fast keine Rolle mehr. Es wird schon irgendeinen Sinn haben, wenn es in Nature steht. Dass das weder für die Maus noch für uns gesund ist, versteht sich leider nicht von selbst. Aber das Versprechen ist groß und mächtig: Irgendwann werden wir alle, ohne an Krebs zu erkranken, nicht mal mehr sterben.