Raus aus Rom

Nach dem tödlichen Überfall auf eine Italie­nerin hat die Regierung von Romano Prodi rumänische Migranten und Roma zur »Gefahr für die öffentliche Sicherheit« erklärt. Per Dekret sollen nun »die kriminellsten« von ihnen abgeschoben werden. von catrin dingler, rom

Auf dem abschüssigen Gelände steht keine einzige Baracke mehr. Das Feld ist umgepflügt. Was von den notdürftig zusammengezimmerten Holzverschlägen übrig geblieben sein sollte, liegt unter den frisch aufgeworfenen Erdhügeln begraben. Die Barackensiedlung Tor di Quinto gibt es nicht mehr.

In einer dieser Baracken hat der 24jährige Nicolae Romulus Mailat, ein rumänischer Rom, sein Matratzenlager gehabt, bis zum 30. Oktober, als er angeklagt wurde, an der Bahnstation Tor di Quinto eine 47jährige Italienerin überfallen, vergewaltigt und mit einem Stein totgeschlagen zu haben. Das Opfer des brutalen Mordes, Giovanna Reggiani, lag einige Tage im Koma, bis sie ihren Verletzungen erlag. Mailat, der bisher gestanden hat, die Frau »nur« überfallen und ausgeraubt zu haben, hat in dieser Siedlung gewohnt.

Tor di Quinto war die erste, aber nicht die einzige Siedlung, die nach dem Tod von Giovanna Reggiani geräumt wurde. Drei andere, weiter südlich am Tiber gelegene, hinter dem Gestrüpp der Uferböschungen versteckte Wellblechkons­truktionen wurden ausgehoben und demoliert. Dafür, dass nicht nur diese Behausungen, sondern auch ihre Bewohner schnellstmöglich verschwinden, sorgt derzeit nicht nur die Polizei, sondern auch der neofaschistische Mob. Die rechtsextremen Gruppen Forza Nuova und Fiamma Tricolore organisierten in den vergangenen zwei Wochen Aufmärsche und Fackelzüge, während Schlägertrupps, die sich zu keiner Partei bekennen, aber in dasselbe politische Umfeld gehören, Jagd machen auf osteuropäische Männer, die sich auf Supermarktparkplätzen und anderen öden Orten der römischen Vorstädte treffen.

Während Antiziganismus in der italienischen Gesellschaft tief verankert ist, scheint die Wut auf »die Rumänen« relativ neu zu sein, und sie ist nicht einfach auf ein anti-slawisches Ressentiment zurückzuführen. Soziologen versuchen, sie mit dem vermehrten Zuzug rumänischer Migranten seit der Osterweiterung der Europäischen Union zu erklären.

Nach einem aktuellen Bericht der Caritas leben in Rom inzwischen 32 000 rumänische Migranten, sie bilden die größte Gruppe unter den ausländischen Stadtbewohnern. Demselben Bericht zufolge leben 6 500 Roma auf verschiedenen von der Stadt genehmigten und entsprechend ausgestatteten Plätzen, mindestens die gleiche Anzahl soll dagegen auf unbefestigtem Gelände oder in den berüchtigten Barackensiedlungen kampieren. Viele dieser Roma kommen nicht aus Rumänien, sondern aus Bosnien, Serbien oder Mazedonien. Sie suchten während oder nach den Kriegen im ehemaligen Jugoslawien Zuflucht in Italien und leben oft seit über zehn Jahren in der Stadt.

Die besondere Brutalität des Mordes an Reggiani funktionierte als Anlass, um den »Notstand« auszurufen, der seit Monaten in ganz Italien beschworen wird.

Dass es nicht mehr nur um die Roma und ihre Baracken und Wohnwagen geht, sondern grundsätzlich um die Präsenz der in Armut lebenden MigrantInnen, zeigte sich bereits im Sommer, als die Stadtverwaltung von Florenz ankündigte, gegen diejenigen, die an den Straßenkreuzungen als ambulante Verkäufer oder lavavetri (ScheibenputzerInnen) auftreten, Strafanzeige erstatten zu wollen. Den Betroffenen wurden Geldbußen und Gefängnisstrafen angedroht. Obwohl die zuständigen Gerichte etwaige Klagen bisher stets zurückwiesen, dominiert der Streit um die lavavetri weiterhin die öffentliche Diskussion.

Das Gesetzesdekret, mit dem die Regierung von Romano Prodi nach dem jüngsten Mordfall den Präfekten – und damit indirekt den Bürgermeistern – das Recht zusprach, EU-Bürger, die »die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährden«, auszuweisen, gehört in diesen Kontext. Der römische Bürgermeister Walter Veltroni gab den Ton der Hetzreden vor: »Der rumänische Zustrom ist unerträglich.« Veltroni behauptete, dass 75 Prozent aller in den ersten acht Monaten des Jahres begangenen Straftaten von rumänischen Staatsbürgern verübt worden seien. Vor Rumäniens Beitritt zu Europa sei Rom die sicherste Stadt der Welt gewesen. Die »Invasion« müsse gestoppt werden. Er habe bereits den rumänischen Staatspräsidenten angerufen und »deutliche Worte« gefunden.

Dass Veltroni auftrat, als vertrete er neben den Interessen der von ihm regierten Hauptstadt die der gesamten Nation, ist nicht verwunderlich. Seit er zum Generalsekretär der neuen Demokratischen Partei gekürt wurde, gilt er als Ministerpräsident in spe. Vieles spricht dafür, dass er den aktuellen Amtsinhaber Romano Prodi zur Verabschiedung einer Eilverordnung gedrängt hat. Bereits im Juni war Veltroni nach Bukarest gereist, um Möglichkeiten zur Ausweisung rumänischer Roma auszuhandeln. Das Dekret passt zu seinen innenpolitischen Forderungen und seinen parteipolitischen Plänen. Es bedient die Interessen einer »gemäßigten« konservativen Klientel, die Veltroni für sich zu gewinnen sucht, um jenseits der Linken mehrheitsfähig zu werden.

Um der ewigen Stabilität der Regierung willen hat die kommunistische Linke ein weiteres Mal gegen ihre vermeintlichen Grundsätze gestimmt und das Dekret mitgetragen. Immerhin soll es nun nachträglich entschärft werden. Die Präfekten werden dann zwar künftig die Ausweisung von EU-Bürgern anordnen können, diese muss aber individuell begründet und von einer gerichtlichen Instanz genehmigt werden. Zu den angekündigten »Massenabschiebungen« wird es demnach nicht kommen.

Diese Nachbesserungen gehen aber weniger auf das Konto der Linken, sie sind den Einwänden der Europäischen Kommission zu verdanken. Die von Gianfranco Fini, dem Präsidenten der postfaschistischen Alleanza Nazionale geforderten »Zwangsabschiebungen« der »nicht integrierbaren Elemente« würden nämlich gegen die EU-Richtlinien zur Freizügigkeit verstoßen.

Der von der rechtspopulistischen Lega Nord im Einklang mit den Neofaschisten geforderten »Schließung der Grenzen« folgte dagegen eine klare Absage aus dem Innenministerium. Italien werde auch weiterhin auf die Möglichkeit einer Übergangsregelung zur Begrenzung des Zuzugs, wie sie in Deutschland und anderen europäischen Nachbarländern gelten würde, verzichten, da die rumänischen MigrantInnen im privaten Pflegeservice, in der Landwirtschaft und im Baugewerbe gebraucht würden.

In der Öffentlichkeit wird jedoch nicht diskutiert, dass in den genannten Sektoren vor allem die rumänischen Männer als Tagelöhner ausgebeutet werden, sich von ihrem Hungerlohn keine Wohnung leisten können und deshalb in den Baracken wohnen.