Die Rosen sind verblüht

Der nach Massenprotesten verhängte Ausnahmezustand in Georgien wurde aufgehoben, doch die oppositionellen Medien bleiben geschlossen. von devi dumbadze

Wenn Levan Gatschetschiladse die Wahl gewinnen sollte, will er sich selbst entmachten. »Der Präsident Georgiens hat beispiellose Rechte, und diese Institution hat sich nicht bewährt«, sagte der unabhängige Abgeordnete, Kandidat eines Bündnisses oppositioneller Parteien für die Präsidentschaftswahl.

Gatschetschiladse hat selbst zu spüren bekommen, wozu die Vollmachten eines autoritär regierenden Präsidenten führen können. Am 7. November wurde er von der Polizei verprügelt. Meh­rere tausend Polizeibeamte, ausgerüstet mit Gasmasken, Knüppeln und Gummigeschossgewehren, griffen an diesem Tag friedliche Demonstranten und Hungerstreikende, unter ihnen Gatschetschiladse, in der Haupstadt Tbilissi an. Augenzeugenberichten zufolge verfolgten die Sondereinheiten die Demonstranten bis in entlegene Straßen der umliegenden Viertel, über 500 Verletzte wurden in die Krankenhäuser von Tbilissi eingeliefert. Anschließend verhängte die Regierung unter Präsident Michail Saakaschwili den Ausnahmezustand.

Zu den Protesten hatte ein aus zehn Opposi­tions­parteien bestehendes Bündnis aufgerufen. Am 2. No­vember versammelten sich 50 000 bis 100 000 Protestierende vor dem Parlaments­ge­bäude, so viele wie seit der »Rosenrevolu­tion« im November 2003 nicht mehr. Damals gelang es einer Massenbewegung, Präsident Eduard Schewardnadse zum Rücktritt zu zwingen, sein Nachfolger wurde Saakaschwili. Nun protestierte die Opposition erneut gegen Korruption, Macht­miss­brauch und die autoritäre Regierung, die Demons­tranten forderten, die für November 2008 geplanten Parlamentswahlen auf April vorzu­verlegen und Saakaschwili abzulösen. Die Regierung wollte Parlaments- und die Präsidentschafts­wahlen zugleich abhalten, in der Hoffnung, die Popularität des Präsidenten werde auch seiner Partei, der »Vereinten Nationalen Bewegung«, zum Erfolg verhelfen.

Mit einigem Erfolg haben Saakaschwili und seine Verbündeten in Georgien eine nationalistische Ideologie verbreitet, die jegliche Opposi­tion als »unrein« diffamiert und ihr eine Steuerung durch Russland unterstellt. Man könne nicht zulassen, dass Tbilissi wieder zu einer Stadt voller Zelte, brennender Autoreifen und Dreck werde, rechtfertigte Bürgermeister Gigi Ugulawa das Vorgehen der Polizei am 7. November: »Wir werden unsere Stadt für immer sauber halten.«

Saakaschwili tritt in den Medien nur im Zu­sam­menhang mit Begriffen wie »Aufbruch« und »Erneuerung«, neuerdings auch »kämpferischem Mut« in Erscheinung, als Erbauer einer Nation, die sich von ihrer »schmutzigen Vergangenheit« löst. Vor einigen Monaten rief der Präsident öffentliche Empörung hervor, weil er die ältere Generation der Georgier als tscharezchilebi (»mit Abwasser ab­gespült«) bezeichnet hatte.

Von Erneuerung und Aufbau spüren die Geor­gier indes wenig. An der Justizwillkür, der Beeinflussung der Gerichte durch die Staatsanwaltschaft und den miserablen Zuständen in den Gefängnissen hat sich nichts geändert. Die Gesund­heitsversorgung ist marode, das Bildungssystem verfällt, die Arbeitslosigkeit ist weiterhin hoch. So gewannen Oppositionelle an Einfluss, trotz ihrer Diffamierung als »Verräter und Feinde der Nation« und trotz der Missachtung rechtsstaat­licher Normen durch die Regierung.

Saakaschwili sprach von »dunklen Kräften«, die sich vom anti-georgischen Komplott der russischen Sicherheitsdienste und mit ihnen kooperie­render Oppositionparteien manipulieren ließen. Als Gewährsmann der »russischen Interessen« in Georgien gilt der Regierung der Multimillionär und Oligarch Badri Patarkazischwili. Er hat die Oppositionsparteien finanziell unterstützt und Sendezeit der von ihm gegründeten Station Imedi für ihre politischen Debatten zur Verfügung gestellt. Die Propaganda der Regierung, an der beinahe alle georgischen Sender beteiligt waren, stellte Patarkazischwili als gierigen und listigen Oligarchen dar, der bereits im Russland Boris Jelzins Unmengen Kapital an sich gerafft habe. Zunächst ein Partner der Regierung, wurde Patarkazischwili nun zum Staatsfeind erklärt.

Für die Oppositionellen war Patarkazischwilis Fernsehsender eine wichtige Plattform. Die Protestwelle schlug hoch, als am 16. Oktober dort überraschend der ehemalige Verteidigungsminis­ter Irakli Okruaschwili auftauchte. Neben Korruption und Machtmissbrauch warf er dem Präsidenten vor, die Ermordung Partarkazischwilis geplant zu haben. Nur zwei Tage später wurde Okruaschwili von der Staatsanwaltschaft seinerseits der Korruption angeklagt und verhaftet, er gestand alle Anklagepunkte in einem Video und widerrief seine Vorwürfe. Nach seiner Entlassung und Ausreise nach München hingegen erklärte er in einem weiteren Interview, er sei zu diesen Aussagen gezwungen worden.

Am 7. November drangen die Sondereinheiten in die Büros von Imedi ein, zerschlugen das Equipment und schalteten diesen sowie den anderen kleineren oppositionsnahen Sender Kawkasia ab. Der Ausnahmezustand untersagte nicht nur öffentliche Versammlungen, sondern auch die Ausstrahlung nicht regierungstreuer Sendungen. Patarkazischwili und vier weitere Oppositionspolitikern wurden des versuchten Staatsstreichs beschuldigt und angeklagt.

Am vergangenen Freitag hob Saakaschwili zwar den Ausnahmezustand wegen des internationalen Drucks wieder auf. Allerdings blieb Imedi geschlossen, auch andere Besitztümer Patarka­zischwilis wie die Firma Lynx Ltd. wurden be­schlag­nahmt. Damit verfügt die Opposition über praktisch keine Medien mehr, zweifellos ein Vorteil für Saakaschwili im nun beginnenden Wahlkampf.

Statt, wie von der Opposition gefordert, die Parlamentswahlen bald abzuhalten, hat Saakasch­wili sich nun entschlossen, die Präsidentschaftswahlen auf den 5. Januar vorzuverlegen und an diesem Tag auch den Termin der Parlamentswahl zur Abstimmung zu stellen. Das verbessert sein Image vor allem im westlichen Ausland, und die Opposition wird es schwer haben, in den weniger als zwei Monaten einen ernsthaften Wahlkampf zu führen. Dennoch will der »Nationale Rat«, ein heterogenes Bündnis aus den rechten, linkspopulistischen und liberaldemokratischen Parteien – etwa den »Republikanern«, die der deutschen FDP nahe stehen –, sich an den Wahlen beteiligen.

Am 12. November entschied das Bündnis sich nicht, wie zunächst erwartet worden war, für Patarkazischwili als ihren gemeinsamen Präsident­schaftskandidaten. Levan Gatschetschiladse, ein ehemaliges Parteimitglied der liberalkonservativen »Neuen Rechten«, ist Inhaber der Firma Georgian Wine and Spirits. Einen Unternehmer, der seinen Wein seit dem im vergangenen Jahr verhängten Importverbot nicht mehr in Russland verkaufen kann, wird man vielleicht nicht so leicht als Agenten Moskaus diffamieren können.