Schmusen is’ nich’

In Göttingen ist der »Schmusekurs mit dem schwarzen Block« vorbei. Mit dieser Begründung wurde ein 26jähriger Student zu drei Monaten Haft auf Bewährung verurteilt, der einem Polizisten bei einer Demonstration ins Gesicht geschlagen haben soll. von benjamin laufer

Eine gerötete Wange trug ein Polizist auf der Demonstration »Gegen Repression und Polizeiterror« im Oktober 2006 nach eigenen Angaben davon. Ein 26jähriger Demonstrant soll ihm ins Gesicht geschlagen haben und dasselbe bei einer weiteren Beamtin versucht haben. Der zweite Schlag konnte jedoch abgewehrt werden. Das Göt­tinger Landgericht fällte in der vorigen Woche das gleiche Urteil wie bereits im Juli das Amtsgericht: drei Monate Haft, die auf zwei Jahre zur Bewährung ausgesetzt werden, sowie die Zahlung von Schmerzensgeld.

»Es ist absolut nicht nachvollziehbar, wie eine Ohr­feige zu einer mehrmonatigen Haftstrafe führen kann. Und dies, obwohl der Betroffene vorher in keiner Weise strafrechtlich in Erscheinung getreten war«, sagte eine Sprecherin der Roten Hilfe Göttingen. Als Höchststrafe für Körperverletzung sind im Strafgesetzbuch fünf Jahre Haft vorgesehen. Höchststrafe bedeutet, dass sie bei der stärks­ten vorstellbaren Form einer Körperverletzung ver­hängt wird. Ein Schlag, wie ihn der Polizeibeamte erlitt, fällt in den unteren Bereich dieses Straf­tatbestands. In aller Regel wird in sol­chen Fällen eine Geldstrafe verhängt, wenn der Angeklagte zuvor nicht straffällig geworden ist.

»Der Schmusekurs mit dem schwarzen Block in Göttingen ist vorbei«, sagte der zuständige Amtsrichter Martin Rammert im Juli und machte damit keinen Hehl daraus, dass sein Urteil ein politisches war. »Als Richter am Amtsgericht ist es aber gerade nicht seine Aufgabe, Politik zu machen«, kommentierte die Rote Hilfe damals. Dennoch kündigte Rammert an, Straftaten des schwarzen Blocks auch in Zukunft hart bestrafen zu wollen. »Sie sind kein Demonstrant, Sie sind ein Gewalttäter«, hieß es in der Urteilsbegrün­dung.

»Mich hat sehr überrascht, wie sehr darauf abgehoben wurde, in welchem Kontext das passiert ist, nämlich auf einer Demonstration«, sagte Johannes Hentschel, der Verteidiger des Angeklagten, im Gespräch mit der Jungle World. »Dass das Gericht ein Grundrecht, nämlich das Demons­trationsrecht, gegen einen Versammlungsteilneh­mer wendet und daraus eine Strafver-schärfung macht, halte ich für rechtsstaatlich sehr bedenklich.«

Für den Angeklagten und seinen Verteidiger war das Grund genug, vor dem Göttinger Landgericht Berufung einzulegen. Hentschel betonte im Berufungsverfahren am 12. November, dass sein Mandant für konkrete Straftaten vor Gericht stehe. Er dürfe jedoch nicht für Straftaten, die auf anderen Demonstrationen von anderen Personen womöglich aus dem schwarzen Block begangen wurden, in eine kollektive Haftung genommen werden. Das sah die Staatsanwältin jedoch anders. Sie sagte sinngemäß, selbst in der DDR hätten die Bürger ihren Protest friedlich gegen den Unrechtsstaat auf die Straße getragen. Der Angeklagte aber habe sich gegen die Demokratie als solche gewandt, indem er das Demonstrationsrecht für die Anwendung von Gewalt missbrauch­te. Daher forderte auch sie, eine Freiheitsstrafe zu verhängen.

Der Richter wollte an diesem Montag nichts von politischer Justiz hören und wies in dieser Hinsicht auch die Staatsanwältin in die Schranken. Dennoch kam er zu dem harten Urteil mit der Begründung, dass derartiges Verhalten in Zukunft unterbunden werden müsse. Eine Freiheitsstrafe sei zur Verteidigung der Rechtsordnung unerläss­lich. »Hier wurde mit aller Macht versucht, eine Rechtsfeindlichkeit des Angeklagten zu konstruieren, damit sowohl im aktuellen Fall als auch für die Zukunft ein hartes Vorgehen von Polizei und Justiz gegen die Göttinger Linke gerechtfertigt erscheint«, lautete das Resümee der Roten Hilfe. Der Angeklagte überlegt nun, in Revi­sion zu gehen.