Wem gehört die Stadt?

Vor der Konferenz von Annapolis ist auf israelischer Seite die Teilung Jerusalems das umstrittenste Thema, das Ministerpräsident Olmert vorschlägt. von andrea livnat, tel aviv

Vor der geplanten Nahost-Konferenz in Annapolis will die israelische Regierung den Eindruck erwecken, es ginge um nicht besonders viel. Condoleezza Rice hat zwar deutlich gemacht, dass die USA nicht nur zu einem Fototermin laden, dennoch erklärte Israels Ministerpräsident Ehud Olmert, Annapolis sei keine Friedenskonferenz, sondern ein »internationales Treffen, dessen Ziel es ist, die passende Stimmung zu erzeugen, um die Gespräche weiterzuführen«.

Auch Israels Außenministerin Zipi Livni dämpfte die Erwartungen an Annapolis mit dem Hinweis, dort solle lediglich »ein Prozess« eingeleitet werden. Man müsse sich also keine Gedanken darüber machen, dass man einen zu hohen Preis für das Abendessen zahle, sagte sie vor der Knesset. Damit spricht sie die weiterhin ungelösten Fragen zwischen Israelis und Palästinensern an: die genauen Grenzen, Ost-Jerusalem als Hauptstadt eines palästinensischen Staats und die Frage der palästinensischen Flüchtlinge.

Als Zeichen dafür, dass Israel erneut ernsthaft um Frieden bemüht ist, wurden vertrauensbildende Maßnahmen ergriffen, darunter die Freigabe zurückgehaltener Steuer- und Zolleinnahmen, die Aufhebung von Straßensperren, was die Bewegungsfreiheit erleichtert und die Freilassung von mehr als 400 palästinensischen Häftlingen. Außerdem plane Israel, den Siedlungsbau einzustellen, hieß es aus Regierungskreisen. Zudem wurde angekündigt, die Vorgaben der Roadmap neu anzugehen. Bisher war diese in ihrer ersten Phase stecken geblieben, da die Palästinenser die Bedingung, den Terror zu beenden, nicht erfüllten. Olmert gestand nun zu, dass er von diesen Verpflichtungen bei Verhandlungen über die nächste Phase absehen könne.

Die Friedenskonferenz ist allerdings wesentlich bedeutungsvoller, als Olmert es eingesteht. Sein taktisches Abwiegeln dient vor allem dazu, die Op­position in der eigenen Regierung in Schach zu halten. Olmerts Rede auf dem Symposium, das der Medienmogul Chaim Saban zur Vorbereitung von Annapolis Anfang November organisiert hatte, erinnerte manch einen an die »Herzlija-Rede«, in der Ariel Sharon 2003 die Notwendigkeit des Friedens betont und erstmals die Abkopplung von den besetzten Gebieten erwähnt hatte.

Olmert stellt sich explizit in die Tradition von Itzhak Rabin und Sharon. Annapolis sei das internationale Gütesiegel für die aufrichtige Anstrengung, »zwei Staaten für zwei Völker« zu schaf­fen. »Wir haben einen Partner, und wir sind nicht dazu bereit, Verhandlungen auf einen Zeitpunkt zu verschieben, zu dem dieser Partner die Mission vielleicht nicht mehr erfüllen kann«, erklärte Olmert.

Allerdings verwässerte er danach seine Aussage durch die Forderung, die Palästinenser müssten zu Beginn der Verhandlungen Israel als »jüdischen Staat« anerkennen. Eine Forderung, der die Palästinenser kaum nachkommen können, allein schon deswegen, weil in dem jüdischen Staat 1,5 Millionen Araber leben.

Einerseits beinhaltet diese Forderung die Abwehr des Rechts palästinensischer Flüchtlinge, in israelische Gebiete zurückzukehren, andererseits kommt Olmert damit auch seinem rechten Koalitionspartner entgegen, der Partei Israel Beiteinu.

Vor allem in Hinblick auf den Status Jerusalems hat Olmert Proteste der Rechten zu erwarten. Sein Stellvertreter, Chaim Ramon, veröffentlichte einen Vorschlag, nach dem arabische Viertel im Osten der Stadt den Palästinensern übergeben werden sollen, die Jerusalemer Altstadt mit Klagemauer, Tempelberg, al-Aqsa-Moschee und Felsendom aber einer Sonderverwaltung unterstellt werden sollte. Ramon hat dabei keine radikale Lösung im Auge, er zieht vielmehr die Konsequenz aus den realen Gegebenheiten.

Trotzdem waren die Gemüter erregt. So traf sich der Likud-Vorsitzende Benjamin Netanyahu mit Ovadia Josef, dem geistlichen Oberhaupt der Shas-Partei, der 2000 die Opfer der Shoah als »Wiedergeburt von Sündern« bezeichnet hatte, die für ihre Sünden bezahlt hätten. Netanyahu warnte in der Knesset davor, dass die Friedenskonferenz die Teilung Jerusalems beschließen werde. Ausgerechnet Avigdor Lieberman, der Vorsitzende von Israel Beiteinu, ließ allerdings überraschenderweise verlauten, er würde Ramons Vorschlag unterstützen, unter der Bedingung, dass Israel die Kontrolle über die jüdischen Siedlungen im Westjordanland behielte.

Das Ideal vom unteilbaren Großraum Jerusalem gilt noch immer vielen Israelis als unantastbar. Doch schon lange gibt es Vorschläge zur Teilung der Stadt. Allerdings geht es in keinem darum, den Palästinensern den Tempelberg zu überlassen. Es geht um Stadtviertel, von deren Existenz die allermeisten Juden Jerusalems noch nicht einmal wissen dürften, geschweige denn, dass sie dort spazieren gehen würden. Jerusalem wurde 1980 formell zur »wiedervereinigten und ewigen Hauptstadt Israels« ausgerufen. Bereits am 10. Dezember 1949 hatte David Ben-Gurion erklärt, dass »Jerusalem ein untrennbarer Teil des Staates Israels ist und dessen ewige Hauptstadt. Kein Votum der UN kann diese historische Tatsache ändern.«

In einer Umfrage des angesehenen Meinungsforschungsinstituts Dachaf im Oktober sprachen sich 63 Prozent der Befragten gegen einen Kompromiss in der Jerusalem-Frage aus. 68 Prozent sagten, Israel dürfe keine arabischen Bezirke in Ostjerusalem an die Palästinenser übergeben. Die Souveränität über die heiligen Stätten solle, nach Meinung von 61 Prozent der Befragten, ausschließlich Israel haben.

Vorige Woche brachte der Likud-Abgeordnete Gideon Saar einen Gesetzesentwurf ein, der eine Mehrheit von 80 (statt 61) Abgeordneten für territoriale oder rechtliche Veränderungen Jerusalems vorsieht. 54 Abgeordnete stimmten dafür und 24 dagegen, zahlreiche Koalitionsabgeordnete waren allerdings abwesend.

Am Vorabend des Gipfels ist Israels Problem seine schwache Führung. Ehud Olmert gibt seit den Ergebnissen der Winograd-Kommission, die den zweiten Libanon-Krieg untersucht hat und dem Ministerpräsidenten Versagen auf der ganzen Linie vorwarf, kein gutes Bild ab. Zahlreiche polizeiliche Ermittlungen wegen Korruption machen ihm zusätzlich zu schaffen. Nach einer Umfrage der Zeitung Israel haJom halten 74 Prozent der Befragten Olmert nicht für eine »ausreichend starke Führungspersönlichkeit«, um ein Friedensabkommen mit den Palästinensern zu schließen. 41 Prozent waren außerdem davon überzeugt, dass Olmert mit den Palästinensern verhandelt, weil er die öffentliche Aufmerksamkeit von den Ermittlungen ablenken möchte, die gegen ihn geführt werden.

Zum ersten Mal gibt es in Israel eine Partei des Zentrums, die nicht nur relative Stabilität zeigt, sondern auch den Ministerpräsidenten stellt. Trotzdem wird Olmert nicht nur von rechts, sondern auch von links bedrängt. An seiner linken Seite sitzt die Arbeitspartei mit Ehud Barak als Verteidigungsminister. Olmert und Barak erinnern, wenn auch als blasser Abklatsch, an Itzhak Rabin und Shimon Peres. Olmert will auf keinen Fall von Barak überflügelt werden, so wie einst Rabin, als Peres auf eigene Faust Verhandlungen mit den Palästinensern führte.

Auch Sharon hat man vorgeworfen, mit der »Ab­kopplung« davon abzulenken, dass polizeilich ge­gen ihn ermittelt wurde. Der Rückzug Israels aus dem Gaza-Streifen fand trotzdem statt. Ob Olmert tatsächlich hinter seinen politischen Vorhaben steht oder nur verhandelt, um politisch zu überleben, wird sich zeigen, wenn es darum geht, mit den von ihm angekündigten »kontinuierlichen, ernsthaften und tiefgreifenden Verhandlungen« in den Monaten nach Annapolis zu beginnen.