Aust, keine Tragödie

Der Vertrag des langjährigen Spiegel-Chefredakteurs wird nicht verlängert. Ein Nachfolger wird gesucht. Von Jörg Sundermeier

Noch gar nicht so lange gibt es das Me­dienressort in den Zeitungen. Es hat im Regelfall zwei Funk­tio­nen: Es bringt Wirtschaftsnachrichten und berichtet über den Fern­sehfilm des Abends. Selten wird eine Zeitung oder ein Sender einer Gesamt­betrachtung unterzogen, seltener noch wird Kritik geübt. Dafür weiß man als regelmäßiger Medienseitenleser immer, wo Gottschalk, Schmidt und Will sich gerade aufhalten, mit wel­chen Witzen sie auffielen und was ihr Liebes­leben macht.

Dennoch halten sich die Redakteurinnen und Redakteure in den Medienressorts für wichtig, denn sie beobachten ja den Medienmarkt und sorgen somit dafür, dass weiterhin von der so genannten Vierten Gewalt geredet werden kann, also von jener mythischen Macht, die das Versagen der hergebrachten staatlichen Teilgewalten aufdeckt und damit den Staat zur Ordnung ruft. Die Medienredaktion kümmert sich dabei nicht um Atomkraftwerksskandale, Schwarzgeldschiebereien und Sozialabbau, sondern um die Medienwelt, also sich selbst. Überwachung ist dabei nur insofern gegeben, als ein jeder Medienredakteur und eine jede Medienredak­teu­rin sich vorher überlegt, wo sie, da Anstellun­gen in Zeitungen heutzutage nicht mehr ein lebenslängliches Auskommen garantieren, demnächst unterkommen werden. Man schont dementsprechend jene Arbeitgeber, die man dereinst haben möchte (oder mit denen die Chefredakteure und Geschäftsführer des eigenen Blattes gut befreundet sind), und hackt dafür auf jene Medienfiguren ein, die eh schon am Boden liegen. Wenn man denn überhaupt hackt. Ansonsten formuliert man vorsichtiger als die DPA. Nur aus diesem Grund ist zu erklären, dass Kai Diekmann und die Bild-Zeitung so sehr geschont werden und auch andere Boulevardblätter keine oder kaum Erwähnung finden bei jenen, deren selbsterklärte Aufgabe es ist, die Überwacher der drei Gewalten zu über­wachen.

In den Medienredaktionen ist folglich wenig los, da zurzeit eine Hochstaplerriege nahezu alle relevanten Blätter führt, die sich bildungsbürgerlich gibt, doch keine Bildung hat, und die mangelnden Geschmack durch Ressentiment zu ersetzen, mangelnden Einfluss und Ideenlosigkeit aber mit allerlei Spektakeln zu verbergen sucht. Da man nie weiß, wo man morgen arbeiten darf, will oder muss, kuschen die Medienredakteure prophylaktisch und schreiben weiter über »Tatort« und »Brisant«, über »TV Total« und die »Simpsons«, und zwar stets genau das, was sie vor einem Jahr zum gleichen Thema schon einmal geschrieben haben.

Daher war es so richtig aufregend für alle, als einer jener Hochstapler, vielleicht sogar der begabteste von ihnen, nun über eine Bagatelle stolperte. Stefan Aust nämlich, der Chefredakteur des Spiegel und der langjährige Leiter von Spiegel TV, sitzt zwar einer Redaktion vor, nicht aber einem Unternehmen, das jedoch hatte er vergessen. Daher konnte die vor Jahrzehnten zur Verhinderung einer Palastrevolte gegründete Mitarbeiter KG im Spiegel Verlag, die 51 Prozent der Anteile am Hause hält, offenbar gemeinsam mit Mario Frank, dem Geschäftsführer, einen Vorschlag unterbreiten, dem alle anderen Gesellschafter, also der Konzern Gruner & Jahr und die Erben Augsteins, zustimmten – den Vorschlag, Austs Vertrag nicht über den 31. Dezember 2008 hinaus zu verlängern. Da Aust ei­ne Option auf Verlängerung bis 2010 hatte und meinte, diese auch wahrnehmen zu können, fuhr er in den Urlaub, während die Nachricht durch einen Fauxpas an die Öffentlichkeit drang. Einer der von der Geschäftsführung angesprochenen möglichen Nachfolger, heißt es, erkundigte sich bei einem Spiegel-Mitarbeiter, ob er zusagen solle.

Dumm gelaufen für Aust, der nun nicht erst mal in geschlossenen Räumen alle Verantwortlichen anbrüllen konnte, sondern äußerlich Ruhe bewahren musste. Und dumm auch für die Gesellschafter, die nun nicht mehr in Ruhe nach einem Nachfolger suchen können.

Soweit die Geschichte. Aust, bei dem niemand vermutet, dass er bis Ende 2008 als Entmachteter auf seinem Chefsessel bleibt, hatte und war noch nicht gekündigt, lediglich der Stellvertreter Austs, Joachim Preuß, kündigte an, das Haus mit Aust verlassen zu wollen. Es gab zudem ei­niges zu beobachten, etwa, dass der Spiegel, Spie­gel Online und Spiegel TV bislang selbst noch kein Wort zur Angelegenheit gemeldet haben. Oder dass neulich ein längerer Artikel zu einem Erbschaftsstreit bei der Axel Springer AG auf Spiegel Online erschien, der das Image Friede Springers nicht eben verbesserte und der wie­derum, da Matthias Döpfner, Friede-Springer-Intimus und Springer-Vorstandsvorsitzender, als ein Freund Austs gilt, als indirekter Angriff auf Aust gewertet werden konnte.

Genaueres allerdings weiß man nicht, es heißt lediglich, dass jemand »von außen« (Financial Times Deutschland) als Nachfolger Austs favorisiert werde und niemand »aus den eigenen Reihen« (FAS). Und noch viel mehr wird einfach ins Blaue hineinorakelt. Namen werden ins Spiel gebracht, auch so abenteuerliche wie der von Fernsehmoderator Frank Plasberg, der ja nicht eben als Magazinleiter bekannt ist. Die beiden Chefredakteure der Zeit beziehungsweise der FR, Giovanni di Lorenzo und Uwe Vorkötter, gelten zur Zeit des Redaktionsschlusses als Favoriten. Andere wiederum sagen, zumindest Lorenzo habe schon vorab abgewunken.

Die FAS aber, deren Gründervater Frank Schirr­macher gleichfalls als Kumpel Austs gilt, wusste von einer »linken« Verschwörung zu berichten. So hieß es am vorletzten Sonntag: »Den Eindruck, es gehe bei der Suche nach dem neuen Chef eher um Gesinnung als um Kompetenz, teilen viele Redakteure: ›Hauptsache links‹, laute die Maxime des Suchtrupps, heißt es, und man braucht schon von daher nicht auf eine schnelle Einigung zu hoffen: Agendalinks? ­Oskarlinks? Vonderleyenlinks? Einig ist man sich in dieser Gruppe vor allem in dem, was man nicht möch­te. Von einer Revolte der Frauen ist die Rede, die es dem Männerregime mal zeigen wollten, das sie schon traditionell schlecht behandele; vom Putsch all derjenigen, die immer glauben, zu kurz gekommen zu sein: die Dokumentare, allesamt Akademiker, die glauben, sie hätten Besseres verdient; und auch all jene Redakteure, die zwar, einerseits, wahnsinnig gut bezahlt, andererseits aber dem Spiegel-Establishment dafür böse sind, dass die eigene Karriere stagniert; sie alle hätten sich zusammengeschlossen, um es denen da oben mal zu zeigen.«

Andere wiederum griffen das Bild auf, und auch einige Linksliberale scheinen sich nun ernst­haft Hoffnung zu machen, dass es mit dem Spiegel auf, zur Sonne, zur Freiheit geht. Doch sollte man kühlen Kopf bewahren, zur Freude gibt’s keinen Anlass. Der Spiegel war selbst zu der Zeit, in der ihn sein Begründer Augstein »im Zweifelsfall« auf Seiten der Linken sah, kein linkes Blatt und wurde nicht ohne Grund die »Montagsbild« genannt. In Zeiten, in denen sich der Spiegel freiwillig als einen Konkurrenten von Stern und Focus sieht und man für Spiegel Online auch schon mal Journalisten der Bild abwirbt, ist nicht einmal eine Verbesserung des intellektuellen Niveaus der Artikel denkbar.

Das, was unter Augstein nicht schlecht war, und das war nicht viel, hat Aust, der eher als Tatmensch denn als Denker gilt, wo es ihm mög­lich war, entsorgt. Es steht nicht zu hoffen, dass ein Nachfolger gleich welcher Couleur das ändern wird.