Ausweitung der Homezone

Sie erwerben Immobilien, und sie siedeln sich bewusst in bestimmten Regionen an. Nazis festigen so ihre Strukturen. Eine wichtige Rolle spielt dabei Jürgen Rieger von der NPD. Ein Überblick über die regen Aktivitäten. von andreas speit

Mit seinen Immobilien hat Jürgen Rieger in diesem Jahr irgendwie Pech. So mancher Neuerwerb misslang, einige Rechtsstreitigkeiten laufen noch, und mögliche Geschäfte scheiterten. Bereits in den neunziger Jahren führte Rieger, inzwischen NPD-Bundesvorstandsmitglied und Hamburger Landesvorsitzender, im niedersächsischen Hetendorf eines der damals wenigen Neo­nazi-Zentren. Mittlerweile unterhalten NPD und »Freie Kameradschaften« (FK) quer durch die Republik etliche Immobilien. Sie sind Rückzugsräume für Gesinnungsgenossen, sie dienen als Ort für Schulungen, Veranstaltungen und den Vertrieb rechtsextremer Propagandaartikel. Regionale Ansiedlungen von Kadern ermöglichten zudem oft eine lokale Verankerung.

Auch über dem alten Bahnhof der niedersächsischen Kleinstadt Melle hatte schon eine NPD-Fahne geweht. Wieder einmal war Jürgen Rieger tätig geworden. Für mehr als 700 000 Euro wollte er angeblich den Bahnhof erwerben. Einen unterzeichneten Vertrag ließen Stefan Schimweg, Eigentümer der Immobile, und Rieger der Stadtverwaltung zukommen. Bald aber kam der Verdacht auf, dass Rieger das Gebäude womöglich gar nicht wirklich kaufen, sondern zusammen mit dem Eigentümer nur den Preis hochtreiben und zugleich die Stadt unter Druck setzen wollte, ihrerseits den Kauf zu tätigen. Der Verkehrswert der Immobilie liegt nämlich eigentlich nur bei 200 000 Euro. Den Erlös aus dem Verkauf an die Stadt hätten sich Rieger und Schimweg dann teilen können. Ihr Vorverkaufsrecht nahm die Stadt daher nicht in Anspruch. »Es bestehen große Zweifel an der Ernsthaftigkeit«, erklärte Bürgermeister André Berghegge (CDU). Bis Ende November floss von »Herrn Rieger nie Geld«, weiß der grüne Ratsherr Alfred Reehius, und »nur dann wäre der Vertrag auch rechtskräftig gewesen«.

Die Stadt hat stattdessen die Bebauungspläne neu definiert, um den »bahnaffinen« Charakter des Objekts zu bewahren. Nutzungsänderungen für den etwa 140 Jahre alten Bahnhof hätte Rieger beim Eisenbahnbundesamt beantragen müssen. Am 26. November erklärte er: »Dieses Projekt hat sich zerschlagen.« Auf seiner privaten Homepage verkündete er kurz und knapp: »Mit Rücksicht auf die neue baurechtliche Entwicklung habe ich von dem mir vom Verkäufer eingeräumten Rücktrittsrecht Gebrauch gemacht.«

Ganz ohne die Öffentlichkeit zu suchen, siedelten sich in den neunziger Jahren nach und nach Kader der NPD und FK in der Region zwischen Amholz und Lübtheen in Mecklenburg-Vorpommern an. »Keine Ausländer, keine Antifa«, vermutete der Verfassungsschutz des Landes als Grund der Rechts­extremen für die Auswahl dieser Region. Die damals niedrigen Preise für Gebäude und Grundstücke dürften das heutige NPD-Bundesvorstandsmitglied und FK-Kader Thomas Wulff und den NPD-Fraktionsvorsitzenden Udo Pastörs ebenso bewegt haben. In Amholz erwarb Wulff 2001 zusammen mit dem Kameraden Michael Grewe ein altes Herrenhaus. Nicht bloß mit ihren Familien begehen sie dort Sonnwendfeiern.

Als zuvorkommend lernten im nicht weit entfernten Lübtheen die Bewohner Udo Pastörs kennen. Sein Juweliergeschäft ist mittlerweile sein »Bürgerbüro«. »Wir kümmern uns«, ist auf einem Transparent im Schaufenster des Büros zu lesen, das auch der NPD-Landesvorsitzende und -Fraktionsgeschäftsführer Stefan Köster mitnutzt. »Die fielen anfänglich nicht auf«, berichtet Bürgermeisterin Ute Lindenau (SPD). Ungestört konnten sie sich in den Vereinen, Bürgerinitiativen und Elternvertretungen betätigen. Köster: »Nationale Menschen sind in Lübtheen in der Mitte des Volkes.« Er erklärte, durch das alltägliche Miteinander, auch über die Kinder, sei man sich näher gekommen, man pflege »freundschaftliche Kontakte« mit den Lübtheenern. Die lokale Verankerung als »nette Nachbarn« oder »hilfsbereite Vereinsbrüder« drückt sich wie auch in der Sächsischen Schweiz schließlich in Wählerstimmen aus; ein Effekt, der den Neonazis den Einzug in den Landtag von Mecklenburg-Vorpommern sicherte.

Die NPD-Fraktion im Landtag hilft nunmehr wiederum den Kameraden auf lokaler Ebene. So in Rostock, wo die FK-Kader Thorsten de Vries und Torben Klebe im »East Coast Corner« Musik und Bekleidung anbieten. Der Laden ist auch ein Kommunikationsraum für Rechtsradikale. Hier trifft man sich, tauscht sich aus, erhält neue Infos. Als es Proteste gab, setzte sich die NPD-Fraktion öffentlich für die Kameraden ein. Zuletzt richtete der NPD-Landtagsabgeordnete Birger Lüssow ganz solidarisch im selben Haus sein Büro ein.

In Sachsen-Anhalt ist das Gehöft »Zum Thingplatz« ein beliebter Szenetreff. Als »freundlich« bezeichnen die Nachbarn in Sotterhausen »ihre Rechten«. Ihr »nettes« Auftreten dürfte Judith Rothe dann wohl auch das NPD-Mandat im Kreis­tag Mansfeld-Südharz beschert haben. Rothe und Enrico Marx, die den »Thingplatz« im Jahr 2003 erwarben, richten dort Musikveranstaltungen und »Kameradschaftstreffen« aus. Oft unter Beobachtung der Polizei. Die regelmäßigen Straßenkontrollen verstimmen die rund 270 Einwohner Sotterhausens allerdings zunehmend. Der »Thingplatz« ist ein wichtiges Infrastrukturprojekt der Naziszene. Auf dem Gehöft betreibt Marx, der auch die Kameradschaft »Ostara« leitet, seinen Barbarossa-Versand. Am 16. September 2006 fand auf dem Anwesen die Gründung des der NPD nahe­stehenden »Ring Nationaler Frauen« statt. Und am Morgen des 6. Januar dieses Jahres fühlten sich vier Neonazis nach einer Party im »Thing­platz« ermutigt, ein Asylbewerberheim anzugreifen. Die Täter im Alter von 17 und 21 Jahren warfen Brand­sätze in eine der Wohnungen des Heims im nahe gelegenen Sangerhausen. Nur mit einem Sprung aus dem Fenster konnte sich ein Flüchtling aus Burkina-Faso retten. Dennoch hielt ein Staatsschutzbeamter in seiner Zeugenvernehmung die Observierung des »Thingplatzes« für »übertrieben«. Mitt­ler­weile nutzen die »Jungen Nationaldemokraten« (JN) der NPD den Treff als »Stützpunkt Sangerhausen«.

In Sachsen-Anhalt haben die Nazis jedoch nicht nur in der Provinz Räumlichkeiten. Mitten in Bernburg, am Marktplatz, haben sich die »Jungen Nationaldemokraten« eingemietet. Die Räume dürften mit der im Oktober erfolgten Wahl von Michael Schäfer aus Wernigerode zum JN-Bundesvorsitzenden zu einer Zentrale ausgebaut werden. Ein rechter Treffpunkt ist es längst.

Seit bereits elf Jahren kann die Szene im »Club 88 – The very last resort« einkehren. Der Name des Clubs in Neumünster ist Programm (»Heil Hitler – der allerletzte Ausweg«). Dort, im Stadtteil Gadeland der schleswig-holsteinischen Stadt, schauen auch »ganz normale Kids« vorbei, berichten Anwohner. Kürzlich, am 24. November, waren etwa 150 Kameraden aufmarschiert, um gegen die »Repression« zu demonstrieren, der ihr Club angeblich ausgesetzt sei. Auf der Feier zum elfjährigen Jubiläum des Ladens war die Polizei nämlich eingeschritten, nachdem »behördliche Auflagen missachtet« worden waren, wie Stephan Beitz, Pressesprecher der Stadt, erklärt. Recht­liche Schritte, um der Betreiberin Christiane Dolscheid die Schankkonzession zu entziehen, so räumt er ein, seien allerdings gescheitert: »Sie hat sich nichts zuschulden kommen lassen.« Und tatsächlich: Am Club selbst kommt es nicht zu Übergriffen. Doch in der Stadt treten die Neonazis, deren Szene durch den Club stetig erstarkt, anders auf. Regelmäßig greifen sie links aussehende und nach ihrer Ansicht ausländisch wirkende Jugendliche an. Im Zentrum der Stadt haben sie mit der Kneipe »Titanic« einen zusätzlichen Treffpunkt. Am 30. November griffen Rechte von dort aus eine Schulparty im nahen Jugendzentrum Neumünster an.

Ebenfalls in Schleswig-Holstein, in Hummelfeld, lässt Jürgen Rieger derweil weiter ein Landhaus ausbauen. Rieger gehören außerdem Objekte in Hamburg, Hameln, Hannover und Kakenstorf. Unklar sind derzeit allerdings die Besitzverhältnisse zweier Immobilien im thüringischen Pößneck und im niedersächsischen Dörverden. Für die »Wilhelm-Tietjen-Stiftung für Fertilisation Limited« mit Sitz in London erwarb Rieger in Pößneck das »Schützenhaus« und in Dörverden den »Heisenhof«. Räume, die die örtlichen Nazi-Szenen seit 2004 nutzten. Die britischen Behörden löschten allerdings inzwischen wegen fehlender Unterlagen die vermeintliche Stiftung aus dem Handels­register, im Frühjahr dieses Jahres untersagten dann die deutschen Behörden die Nutzung der Immobilien. Rieger gründete daraufhin eine neue Kapitalgesellschaft, die bisher aber nicht als Rechtsnachfolgerin anerkannt ist.

In der vorigen Woche ließ der Nachtragsliquidator die geliebten Militärfahrzeuge Riegers vom Heisenhof fortschaffen . »Das System wird immer krimineller«, schimpfte Rieger. Gegen die Liquidation reichte er Beschwerde ein.