Deutsches Markenzeichen

Im sächsischen Mittweida ritzten Skinheads einer jungen Frau während eines Übergriffs ein Hakenkreuz in die Hüfte. Zum rechtsextremen Gedankengut der Täter gesellt sich ein ausgeprägter Hang zum Sadismus. von jan langehein

Mittweida ist eine sächsische Kreisstadt im Zentrum des Dreiecks Leipzig, Dresden, Chemnitz. Sie hat 17 000 Einwohner, einen idyllischen Stadt­kern und ein Imageproblem: Wer ihren Namen hört, denkt an Nazigewalt. Antifas aus der Region geben Mittweida schon seit längerem so schmeichelhafte Beinamen wie »das braune Herz Sachsens«. Seit Jahren pöbeln oder greifen Neonazis hier immer wieder Migranten und Linke an, über­fallen Imbissbuden von Ausländern und verbreiten ihre Propaganda. 54 Strafverfahren liefen allein gegen die inzwischen verbotene Neonazi­organisation »Sturm 34«, die in Mittweida ihr Zentrum hatte.

Aber all das reichte noch nicht aus, Mittweida auch in einer größeren Öffentlichkeit den Ruf einer Neonazihochburg zu verschaffen. Dafür sorgte erst ein einzelner Überfall, der sich am Abend des 3. November vor einem geschlossenen Supermarkt ereignete. Wie das Opfer, eine 17jährige Jugendliche, aussagte, hätten dort zunächst vier Skinheads ein sechsjähriges Mädchen, die Tochter von Spätaussiedlern, angepöbelt und bedroht. Die Täter hätten es hin- und hergeschubst, das Kind habe geweint. Zwei von ihnen sollen NSDAP-Aufnäher auf den Jacken getragen haben.

Die 17jährige beobachtete ihren Aussagen zufolge die Szene und rief den Männern schließlich zu, sie sollten das Kind in Ruhe lassen. Was diese dann auch taten: Sie ließen von dem Mädchen ab und griffen die Jugendliche an. Drei der Skinheads hätten sie festgehalten, erzählte sie später der Polizei; der vierte sei mit einer Art Skalpell auf sie losgegangen. Mit diesem habe er der 17jährigen ein etwa fünf Zentimeter breites Hakenkreuz in die Hüfte geschnitten. Der Versuch, ihr auch noch ein SS-Symbol ins Gesicht zu ritzen, scheiterte an ihrer Gegenwehr. Die Täter verschwanden schließlich in der Dunkelheit und sind nicht wieder aufgetaucht.

Zeugen für den Überfall, die bei der Suche nach den Tätern helfen könnten, haben sich bislang nicht gemeldet. Niemand hat etwas gesehen; nie­mand will etwas gesehen haben. Schon fragen erste Zweifler, ob sich die Tat wohl tatsächlich so zugetragen habe. Sie erinnern an einen vergleich­baren Fall, der bereits einige Jahre zurückliegt: Damals musste das vermeintliche Opfer zugeben, sich selbst Hakenkreuze in die Haut geritzt zu haben.

Aber weder die Polizei noch die Stadt Mittweida wollen sich in diesem Fall an derartigen Speku­lationen beteiligen. Anatomisch sei es gar nicht möglich, dass sich die 17jährige selbst verletzt ha­be, sagte ein Sprecher der Polizei. Zudem habe das Mädchen, dem sie zur Hilfe gekommen sei, die Aussage der Jugendlichen bestätigt. Bürgermeister Matthias Damm (CDU) rief die Bewohner des betroffenen Stadtteils dazu auf, sich endlich zu melden, sollten sie etwas beobachtet haben.

Anders als etwa in Mügeln diesen Sommer, wo die Polizei nach einer Hetzjagd Dutzender Deut­scher auf eine Gruppe Inder wochenlang »in alle Richtungen ermittelte« und einen »fremdenfeind­lichen Hintergrund« lediglich »nicht ausschließen« wollte, ist in diesem Fall die offizielle Meinung klar: Die Stadtverwaltung »verurteilt aufs Schärfste die brutalen Angriffe von Rechtsextremisten«; die Polizei spricht knapp und präzise von einem »rechtsextremen Übergriff« – was bei NSDAP-Aufnähern, dem Hakenkreuz und einem Aussiedlerkind als Opfer keine allzu abwegige Schlussfolgerung ist. Im Visier sind entsprechend bekennende Neonazis, nach denen die Behörden per Steckbrief und Phantomzeichnung fahnden; ein zwischenzeitlich festgenommener 19jähriger Skinhead musste allerdings wieder entlassen werden, nachdem das Opfer ihn nicht eindeutig hatte identifizieren können. 5 000 Euro Belohnung wurden inzwischen für Informationen ausgesetzt, die zur Ergreifung der Täter führen.

Was die Tat über ihren politischen Charakter hinaus so aufsehenerregend macht, ist die Brutalität, mit der sie begangen wurde. Wenn Neonazis Linke angreifen oder eine Pizzeria überfallen, dann lässt sich das noch im Rahmen einer rücksichtslosen Zweck-Mittel-Rationalität fassen: Ziel ist die Vertreibung politischer Gegner bzw. ausländischer Geschäftsleute. Auch die Gewalt gegen ein Aussiedlermädchen und die Einschüch­terung ihrer Helferin besitzt zweifellos diese Kom­ponente, die letztlich auf die Errichtung »national befreiter Zonen« abzielt.

Es kommt aber noch etwas hinzu: Das erste Opfer war gerade mal sechs Jahre alt, das zweite sollte mit dem eigenen Markenzeichen, dem Hakenkreuz, geradezu gebrandmarkt werden. Es geht nicht mehr nur um Einschüchterung, sondern um Demütigung und Herabsetzung; die Täter wollten offenbar ihre eigene Macht auskosten, indem sie ihre Opfer leiden ließen – Sadismus als Selbstzweck tritt zur Gewalt als Mittel der Po­litik hinzu.

Das heißt nicht, dass das politische Moment verschwindet – beide gehören zusammen. Sadismus als Motiv schwang in der rechtsextremen Gewalt bereits mit, als die SA 1933 ihre Opfer in den »wilden KZ« folterte, als die Nazis Juden in der Öffentlichkeit Spießrutenlaufen und die Straße putzen ließen und die SS den Gefangenen in den Konzentrationslagern Nummern eintätowieren ließ, die bedeuten sollten: Du gehörst nun voll und ganz uns.

Weil derart sadistische Aktionen heute oft spon­tan verübt werden, lassen sich die Täter schwerer ergreifen als bei den geplanten und häufig do­kumentierten Übergriffen einer Bande wie »Sturm 34«. Bürgermeister Damm sagt, 35 bis 50 Rechtsextreme auf 17 000 Einwohner machten Mittweida noch nicht zu einem Nazikaff. Mit dieser Zahl trifft er aber nur den harten Kern der Szene, diejenigen, die kontinuierlich politisch arbeiten. Die vielen anderen, die nachts betrunken »Sieg Heil!« grölen oder eben, weil ihnen gerade danach ist, Kinder und Jugendliche foltern, zählt er gar nicht mit. Die 50 Kader mögen ein Problem sein, das der Staat notfalls polizeilich lösen kann, die rechten Sadisten sind ein gesellschaft­liches Problem, dem so einfach nicht beizukommen ist.

Auf ihrer Internetseite ruft die Stadt Mittweida zu Weltoffenheit, Toleranz und Friedensgebeten auf. Auf dem Campus der kleinen Hochschule brennen Kerzen, als sei jemand gestorben; einige hundert Leute halten eine Schweigeminute ab, gegen rechtsextreme Gewalt und für Zivilcourage. Es sind Protestformen, wie sie sich seit den Morden von Mölln und Solingen etabliert haben: irgendwie rührend – und vollkommen hilflos.