E-tha-nol! E-tha-nol!

»Biosprit« klingt, als sei das etwas Gutes für die Umwelt. Alle wollen ihn haben. Tatsächlich liefert der Treibstoff aus Biomasse weniger Energie, als zu seiner Herstellung nötig ist, er lässt Monokulturen entstehen und Wasservorräte schwinden. von Stefan Frank

Nichts Geringeres als eine »Roadmap Biokraftstoffe« präsentierten Umweltminister Sigmar Ga­briel (SPD) und Agrarminister Horst Seehofer (CSU) am Mittwoch vorletzter Woche in Berlin. Danach soll der Anteil von Biosprit bei Benzin und Diesel bis zum Jahr 2010 von fünf auf zehn Prozent steigen. Bis 2020 ist ein weiterer Anstieg auf 20 Prozent geplant. Dies sei mit der Auto­mobil­industrie, der Mineralöl- und Biospritbranche sowie mit der Landwirtschaft vereinbart worden.

Alle wollen Ethanol. Ein Ölpreis von 100 Dollar sorgt für Panik, obwohl vor allem der Wertverfall der US-Währung für diese Verteuerung verantwortlich ist und die Europäer weniger stark betroffen sind. Doch das Gefühl, dass der Stoff, auf den jeder angewiesen ist, immer teurer wird, ohne dass man dagegen etwas tun könnte, erzeugt Angst. Die Kohlelobby nutzt diese Angst, um Werbung für deutsche Steinkohle zu machen.

Andere Lobbyisten preisen Agro- bzw. »Bio«-Treibstoffe als Ausweg (»Bio« soll so klingen, als sei es gut für die Umwelt). Auf deutschen Äckern blüht der Gedanke der Autarkie, und gleichzeitig sollen Treibstoffe, die aus Raps, Soja, Weizen oder Mais gewonnen werden, auch noch dabei helfen, Treibhausgase zu reduzieren.

Zur Förderung des Einsatzes von Agrotreibstoffen hat die EU die European Biofuels Technology Platform ins Leben gerufen, die Anfang 2008 einen Bericht darüber vorlegen soll, welche Maßnahmen notwendig sind, um Öl in höherem Maß durch Agrotreibstoffe zu ersetzen. Die Plattform existiert seit vergangenem Jahr und ist die Nachfolgerin des Biofuels Research Advisory Council (Biofrac). Biofrac empfahl der EU im vergangenen Jahr, die Verwendung von Agro­treibstoffen bis 2030 auf 25 Prozent zu steigern.

Eine ähnliche Empfehlung verbunden mit einem flammenden Appell wird es wohl auch diesmal geben. Schließlich handelt es sich um eine Lobbygruppe, die die Interessen ihrer Mitglieder vertritt. Da ist zum Beispiel der spanische Ölkonzern Repsol, der wegen seiner schwindenden Ölreserven frühzeitig die Äcker für sich entdeckt hat und über großen Einfluss bei der Regierung in Madrid verfügt. Da ist außerdem das 1997 gegründete Europäische Biodiesel Board mit Sitz in Brüssel; in seiner Selbstdarstellung preist es den hohen Einfluss, den es bei den Institutionen der EU hat. Auch Autohersteller wie VW und Volvo legen sich für Agrotreibstoffe ins Zeug. Auf diese Weise hoffen sie, verhindern zu können, dass die Nachfrage nach Limousinen mit hohem Spritverbrauch nachlässt oder die Hersteller gar eines Tages unter den politischem Druck geraten könnten, Benzin sparende Modelle zu entwickeln.

Auch die Landwirtschaft, die seit jeher über großen Einfluss auf alle in Brüssel getroffenen Entscheidungen verfügt, ist selbstverständlich für mehr Biosprit, dem sie es ja zu danken hat, dass sich jeder Bauer wie ein kleiner Ölscheich fühlen kann und die Preise für Mais und Weizen in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen sind. Diese Teuerung aber macht die Rechnung der Ethanolbefürworter eigentlich zunichte. Selbst bei den jetzigen Rekordpreisen für Erdöl ist der aus Mais oder Weizen gewonnene Treibstoff nicht konkurrenzfähig. Wegen mangelnder Nachfrage musste der österreichische Konzern Agrana eine 150 Millionen Euro teure Bioethanolanlage unmittelbar nach Fertigstellung schließen. Als der Bau der Anlage im Mai 2005 begonnen wurde, kostete eine Tonne Weizen 100 Euro – heute ist der Preis fast dreimal so hoch.

Aus diesem Grund hat auch das Bioethanolwerk Schwedt seine Produktion eingestellt. Neben den gestiegenen Produktionskosten war hierfür der Wegfall der Steuerbefreiung für Ethanol verantwortlich. Und ohne staatliche Hilfe geht es nun mal nicht. Brasilien ist das einzige Land der Welt, in dem Ethanol zu konkurrenzfähigen Preisen produziert wird. In Deutschland steht etwa die Hälfte der Biodieselanlagen still, einer geschätzten Nachfrage von 1,5 Millionen Tonnen steht mehr als das Dreifache an Kapazitäten gegenüber.

Das ökonomische Problem lässt sich auch physikalisch beschreiben: Agrotreibstoffe liefern bei der Verbrennung weniger Energie, als bei ihrer Produktion benötigt wird. Die Energiekrise auf diese Art lösen zu wollen, kann keine gute Idee sein. Aus dem gleichen Grund lassen sich mit dem Einsatz von Agrotreibstoffen auch nicht die Emissionen von Treibhausgasen verringern. Im Gegenteil wird durch die Intensivierung und Ausweitung der Landwirtschaft die Produktion von Treibhausgasen bedeutend erhöht. Das Paradoxe ist: Obwohl so viel von Klimaschutz geredet wird wie noch nie, ist das Ziel, die Abholzung des Regen­waldes zu stoppen, in den Hintergrund geraten und scheint fast so altmodisch zu sein wie Berichte über sauren Regen. Sollte die EU tatsächlich 30 Prozent ihres Treibstoffbedarfs mit Agrotreibstoffen decken wollen, dann versteht es sich von selbst, dass dies nicht allein durch weitere Anbauflächen in der EU geschehen kann. Die Folge sind noch mehr Rodungen (natürlich auch Brand­rodungen) in Südamerika, Afrika und Asien. Die Rodung der indonesischen Torfwälder, wo nun Ölpalmen wachsen, hat dort zu einem starken Anstieg der Kohlendioxidproduk­tion geführt.

Wichtige Ökosysteme werden zerstört, indem artenreiche Wälder durch Monokulturen ersetzt werden. Das bedeutet: Zuckerrohr und Soja in Argentinien, Paraguay, Bolivien und Brasilien; großflächige Palmölproduktion in Ländern wie Indonesien, Malaysia, Kamerun, Kolumbien und Ecuador. Ließe man die Wälder stehen, würden sie erheblich mehr Kohlendioxid absorbieren, als durch den Einsatz von Agrokraftstoffen möglicherweise eingespart wird, sagen Fachleute. Zudem führt der erforderliche Einsatz großer Mengen stickstoffhaltiger Düngemittel zu hohen Emissionen von Stickoxiden, die in hohem Maße zur Erderwärmung beitragen.

Gewinner des Biotreibstoffwahns sind zum Beispiel die Hersteller genmanipulierten Saatguts. Viele Menschen sind nicht bereit, genmanipulierte Lebensmittel zu kaufen, und noch gibt es in der EU schärfere Restriktionen beim Anbau genmanipulierter Pflanzen als in den USA oder Südamerika. Über das Thema »Biotreibstoffe« hoffen Hersteller genmanipulierten Saatguts wie Monsanto und Syngenta, auch in Europa bessere Geschäfte machen zu können. Die Idee dabei ist, dass es gerade bei der Ethanol produzierenden Landwirtschaft auf große Erträge ankommt. Außerdem landen die Pflanzen ja nicht im Essen – angeblich. Denn in Wahrheit breiten sich genmanipulierte Pflanzen kaum kontrollierbar aus, trotz der »Sicherheitsabstände« zwischen den Feldern. Hinzu kommt, dass »Energiepflanzen« wie Soja und Ölpalmen häufig mit stark gesundheitsgefährdenden Pestiziden behandelt werden.

Die Bevölkerung der betroffenen Länder profitiert nicht vom forcierten Wachstum der Monokulturen. Im Gegenteil führt eine steigende Nachfrage nach Treibstoffen aus Soja oder Palmen dazu, dass noch mehr Land in den Händen von Konzernen und Großgrundbesitzern konzentriert wird. Das von der UN eingesetzte Ständige Forum für Indigene Fragen warnte bei seiner Tagung im Mai 2007 davor, indigene Völker von ihrem Land zu vertreiben, um der Expansion der Biotreibstoffpflanzen Platz zu machen. Allein in der indonesischen Region West-Kalimantan stehen fünf Millionen Menschen vor einer Zwangsumsiedlung. Auch in Afrika und Latein­amerika verschärft der Hype um die Agrotreibstoffe Konflikte um Land, oft besetzen paramilitärische Einheiten der Großgrundbesitzer illegal Land, um es einzuzäunen und dort Pflanzen zur Treibstoffproduktion anzubauen.

Die Lobbyisten für Biotreibstoffe behaupten immer wieder, die landwirtschaftliche Erzeugung von Nahrungsmitteln und der Anbau von Pflanzen zur Treibstoffherstellung stünden nicht in Konkurrenz zu einander. Wie leicht ersichtlich ist, tun sie das aber sehr wohl: Die landwirtschaftliche Nutzfläche ist in vielen Ländern der Welt begrenzt, und sie kann nur dem einen oder dem anderen Zweck zugeführt werden. Ist die Erzeugung von Treibstoff lukrativer als die von Lebensmitteln, wird weniger Nahrung erzeugt. In Angola, einem Land mit einem großen Hungerproblem, wurden gerade die Anbauflächen für Palmöl verzehnfacht, auf Kosten der klassischen Landwirtschaft.

Der Uno-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung, Jean Ziegler, hat deshalb in seinem Bericht an die Uno-Vollversammlung ein fünfjähriges Biotreibstoff-Moratorium gefordert, um die Auswirkungen auf die Agrarmärkte und die Ernährung der Ärmsten zu analysieren. Das Internationale Institut für Wasserwirtschaft warnt zudem vor einer massiven Belastung der ohnehin schon knappen Wasserressourcen. Der Anbau von Pflanzen für einen einzigen Liter Biokraftstoff verschlingt demnach je nach Region bis zu 3 500 Liter Wasser.

Dabei ist die derzeitige Art der landwirtschaftlichen Massenproduktion ohnehin nicht aufrechtzuerhalten, da die unterirdischen Wasserspeicher viel schneller entleert werden, als sie sich wiederauffüllen. So genannte fossile Aquifere, Wasserspeicher, die oft aus der letzten Eiszeit stammen (wie etwa das riesige Ogalalla-Aquifer im Mittleren Westen der USA), haben überhaupt keine Zuflüsse. Eine Entleerung führt dazu, dass die Pflanzen künftig allein auf den Regen angewiesen sind, was in trockenen Landstrichen oder Wüsten­regionen das Ende jeder Landwirtschaft bedeuten kann. Von Wassermangel ist weit mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung bedroht – auch in Europa und den USA. Genau wie Öl ist Süßwasser eine endliche Ressource, deren Verbrauch ständig steigt. Das sollte einem eigentlich zu denken geben. Doch anders als eine drohende Ölknappheit bereitet der Gedanke an Wasserknappheit nur wenigen Menschen Furcht.