How to kill a party

»Worldtronics«, das »Festival of Electronic Music«, hat im Haus der Kulturen der Welt stattgefunden. thomas blum hat zugehört

Die Frage, die sich stellt, lautet: Wa­rum suchen zumeist junge Menschen abends hin und wieder einen so genannten Club auf? Welche Gründe könnten sie dafür haben, ihr gemütliches Heim nach Einbruch der Dunkelheit zu verlassen? Nun fallen einem zahlreiche Gründe dafür ein, die da eine nicht unwesentliche Rolle spielen könn­ten: um sich von zeitgenössischer elektronischer Unterhaltungsmusik betäuben oder beflügeln zu lassen, sich zu vergnügen, ein wenig über die Stränge zu schlagen, gar ein wenig zu tanzen, Getränke zu konsumieren, Drogen zu nehmen und auf der Toilette Sex zu haben, zum Beispiel.

Eine kaum zu bändigende Lust daran, bewegungslos und mit ausgetrocknetem Mund stillschweigend auf einem Sessel zu verharren, gehört hingegen für gewöhnlich nicht zu den üblichen Gründen, die einen dazu veranlassen, einen solchen Club aufzusuchen.

Als die Verantwortlichen des Berliner Hauses der Kulturen der Welt, obgleich man von ihnen annehmen muss, dass sie noch nie ein zeitgenös­sisches Tanz- oder Konzertlokal von innen gesehen haben, die mehrtägige Veranstaltungsreihe »Worldtronics« planten, dürften sie wohl nicht die Spur einer Ahnung davon gehabt haben, dass zur angemessenen Präsentation zeitge­nössischer elektronischer Sounds mehr gehört als eine Bühne und ein bestuhltes Auditorium.

Das Eröffnungskonzert etwa wird von der deutschen Krautrockband Harmonia bestritten, die ihren ersten Auftritt seit 30 Jahren absolviert. Auf der Bühne des großen Auditoriums stehen die drei älteren Herren reglos hinter ihren mit diversen Apparaturen bedeckten Pulten, drehen an Knöpfchen und Reglern und gucken würdevoll. Was sie musikalisch zu bieten haben, ist ein überwiegend fernsehfilmsoundtrack­taugliches, biederes Ambient-Pluckern auf Zimmerlautstärke. Ein etwa 30köpfiger Chor, der irgendwann auf die Bühne geholt und von der Popelektronikerin Barbara Morgenstern, hm … dirigiert … wird, tuschelt und brabbelt dazu zuweilen eine Art Mantra und liegt fortwährend zielsicher neben der Spur.

Ganz unerträglich wird es gegen Ende, als der »furchtlose Kitschier« (Berliner Zeitung) Michael Rother, ehemals Mitglied der einflussreichen Kraut­rockformation Neu!, zur Gitarre greift und fanfarenartige Wimmerklänge erzeugt (ein Konzertbesucher bezeichnete das Gitarrenspiel treffend als »schrottig«), die an das Œuvre des legendären Ricky King denken lassen. Insgesamt handelt es sich um einen Sound, der in den Sieb­zigern wohl für futuristisch gehalten wurde, weil er sich im Vergleich zu den üblichen Gitarrenrockklischees überaus modern ausnahm, heute dargeboten jedoch von er­staun­licher Bräsigkeit ist. Im Publikum, das mehrheitlich aus den in die Jahre gekommenen Fans der Gruppe besteht, herrscht weihevolles Schweigen, das nur gelegentlich von gemäßigtem Applaus unterbrochen wird.

Die Stimmung kultivierter Langeweile, die das gesamte Festival kennzeichnet, ist allerdings durchaus nicht der Musik zuzuschreiben. Es lässt sich in Berlin in der Tat kaum ein un­gla­mou­röserer und weniger verruchter Ort den­ken, um Künstler aus der internationalen elektronischen Clubkultur und Musikszene zu prä­sen­tieren, als ausgerechnet das Haus der Kul­tu­ren der Welt (HKW). Viele potenzielle Besucher des vollmundig mit allerlei Marketing- und PR-Sprechblasen (»innovativste Hotspots«, »Trade-Show und Visuals«) angekündigten Elektronik-Festivals schienen das bereits frühzeitig zu ahnen und sind daher gar nicht erst gekommen: Das Festival ist auffallend schwach besucht, doch das macht im Grunde nichts. Das HKW ist ein von der Bundesregierung hochsubventioniertes Haus, das unter anderem die Aufgabe hat, regelmäßig Kultur- und Diskussionsveranstaltungen zu organisieren und so in großem Stil eine Art Dauerreklame für das weltoffene und ganz auf Kultur versessene Deutschland zu machen. Doch aufgrund der Atmosphäre verkniffener Ge­nussfeind­lichkeit, die es in seinen Räum­lichkeiten mit einer solchen Penetranz verströmt, dass man unweigerlich von einem heftigen Gefühl der Beklommenheit befallen wird, ist es ganz und gar nicht dafür geeignet, ein Ort der Daseinsfreude und Ausschweifung zu sein.

Bereits die großzügige, grell erleuchtete Eingangshalle, eine gleichsam keimfreie Zone, ist in etwa so einladend und lauschig wie der frisch gebohnerte Flur eines Finanzamts, was bereits beim Betreten des frisch renovierten Gebäudes eine entsprechend lähmende und jede freudige Erwartung abtötende Wirkung auf einen hat. Ein aufdringliches Odeur von Sittenstrenge und Hochkultur durchweht die Gänge. Man erwartet, dass einem jeden Augenblick eine Figur wie Botho Strauß oder Reinhard Bütikofer entgegenkommt.

Vereinzelt stehen kleine Menschengrüppchen in dem mit einem strikten Rauchverbot belegten Gebäude orientierungslos herum. Man nippt verunsichert an seinem Mineralwasser- oder Weinglas, denn es ist überdies untersagt, sein an der Theke erworbenes Getränk mit in die Räume zu nehmen, in denen die Künstler ihre Musik darbieten.

Geradezu bizarre Szenen spielen sich an einem Abend ab, an dem der chilenische Elektro-House-DJ Original Hamster, angekündigt als Künstler mit »höchstem Tanz-Faktor«, sein wum­merndes DJ-Set absolviert: Ein Häuflein Menschen versammelt sich zögerlich um die kleine Bühne. Kaum einer traut sich, sich zu bewegen. Vereinzelt ist das ein oder andere ratlose Gesicht zu sehen, denn das strahlend helle Licht hat man absurderweise angelassen. Man blickt in die verzweifelten Gesichter von Menschen, die mit jeder Faser ihres Körpers tanzen oder rauchen oder beides wollen, es aber nicht dürfen oder können. Eine Frau spielt mit generv­tem Blick mit den Fingern an ihrem Joint, den sie sich soeben gedreht hat, wissend, dass sie ihn hier nicht rauchen können wird. Es ist ein Trauerspiel.

Man erinnert sich unwillkürlich an das, was John Steinbeck einst über eine bestimmte Sorte Partys schrieb, »Veranstaltungen und Vorführun­gen«, die »ungefähr so spontan wie die Darmtätigkeit und so interessant wie ihr Endprodukt« seien.

Auf die Frage, warum nicht nur im gesamten Gebäude Rauchverbot herrscht, ganz so, als befinde man sich auf einem einzigen gigantischen Krankenhausflur, sondern es groteskerweise auch nicht gestattet ist, wenigstens ein Getränk in die Räume mitzunehmen, in welchen die Konzerte und DJ-Sets stattfinden, teilt einer der zahlreichen Hausangestellten, die mit Knopf im Ohr durch die beinahe verwaisten Gänge streifen bzw. in Abständen von zehn Metern irgendwo postiert sind und unschlüssig herumstehen, mit ernster Miene und vor Ehrfurcht zit­ternder Stimme mit, der »Intendant des Hauses«, Bernd M. Scherer, habe »Angst um den neuen Teppich«, der vor kurzem frisch verlegt worden sei.

Die Angst des Herrn Intendanten um seinen neuen Teppich in allen Ehren: Aber glaubt der Mann tatsächlich, dass eine Hand voll kreuzbraver, gescheitelter, DJ-Designer-Plastikumhän­getaschen tragender Elektronik-Musiknerds, die beim Halten ihrer Beck’s-Flasche elegant den Finger abspreizen und sich gesitteter verhalten als ein Trupp katholischer Pfadfinder an der Kaffeetafel von Tante Käthe, es darauf abgesehen haben, den neuen Teppich des Herrn Inten­danten zu verunreinigen, indem sie johlend und feixend den Inhalt ihrer Bierflaschen darauf verteilen?

Vielleicht sollte er künftig in seinem Haus Bridge-Abende für ältere Damen veranstalten. Dann kann er ziemlich sicher sein, dass sein Teppich keinen Schaden nimmt. Außer natürlich, es tritt das Worst-case-Szenario ein und eine der Damen bringt Plätzchen mit. Wer kann schon garantieren, dass dann nicht später der eine oder andere Krümel liegen bleibt?