Schöner wohnen

Auch ohne Hauskauf etablieren sich zuweilen rechtsextreme Hausgemeinschaften. In Oelsnitz im Erzgebirge vermietet ein Hausbesitzer Wohnungen bevorzugt an Neonazis. Manche Nachbarn empfinden die Nazi-Mieter als Bedrohung. Die meistem wollen jedoch lieber nicht über das braune Haus im Ort reden. von andre seitz

Es liegt etwas Neuschnee auf den Feldern um Oelsnitz im Erzgebirge, dicke nasse Flocken fallen vom Himmel auf meine Windschutzscheibe. Es ist die Woche nach Totensonntag, der offizielle Beginn der Weihnachtszeit. Die Fenster der Oelsnitzer sind mit dem traditionellen Schwibbogen geschmückt, einem aus Holz gefertigten Bogen, unter dem Schnitzfiguren stehen, die die erzgebirgische Landbevölkerung aus früheren Jahrhunderten darstellen.

Es ist Mittagszeit, und langsam füllen sich die Straßen mit aus der Schule kommenden Jugendlichen. Viele tragen Camouflage. Im neu eingerichteten Tagescafé der »Volkssolidarität« gibt es Rinderbraten mit Klößen.

»Es soll hier ein Haus geben, in dem nur Rechte wohnen«, spreche ich drei alte Männer an, die aus dem Café kommen. »Ja, ich hab’ davon gehört. Vor einigen Wochen war da was«, wispert mir einer von ihnen zu, ein anderer fällt ihm laut ins Wort. »Quatsch, da war nie was! Das ist doch so: Die Presse macht aus jeder Mücke einen Elefanten, die bauscht alles auf. Die Journalisten wollen doch nur Geld verdienen. Das Positive wird nicht thematisiert, und das Schlechte bringt Geld. Ich habe noch keinen gesehen, der hier den Hitlergruß gemacht hat«, schimpft er und hebt ein wenig den rechten Arm. »Und wenn die mal betrunken sind und mal einer eine Latte vom Zaun reißt, was soll’s? Wir gehen jetzt nach Hause.« Die anderen beiden folgen ihm.

Ein paar Meter die Straße hinauf steht das Haus, von dem aus kurz nach Neujahr 2007 20 Nazis loszogen, um in einem nahe gelegenen Wohnhaus linke Jugendliche anzugreifen. Dabei warfen sie mit Flaschen und griffen die Anwesenden mit Schlägen und Tritten an. Die Opferberatung AMAL dokumentierte den Vorfall folgendermaßen: »Alle werden verletzt, drei schwerer, einer davon muss stationär versorgt werden. Die Jugendlichen retten sich in ein Haus, wobei die Rechten versuchen einzudringen. Die informierte Polizei erteilt den Rechten Platzverweise und nimmt wenig später einige Rechte mit aufs Polizeirevier.« In der Regionalzeitung Freie Presse wurde über den Vorfall informiert, in einem ersten Polizeibericht hieß es: »Bürger alarmieren in der Neujahrsnacht die Polizei, weil sie aus einer Wohnung das Gebrüll rechter Parolen vernahmen. Bei der Personalienaufnahme stellen die Beamten fest, dass besagte Personen wenig vorher an einer tätlichen Auseinandersetzung mit drei Jugendlichen beteiligt waren. Die Geschädigten wurden durch eine Bierflasche und durch Tritte verletzt.« In der offiziellen Rechtsextremismusstatistik des sächsischen Innenministeriums wird der Übergriff nicht erwähnt.

Frank ist einer der Betroffenen. Er erzählt, dass er und seine Freunde schon seit Monaten von den Nazis aus dem Nachbarhaus bedroht worden seien. »Die sind uns hinterhergerannt, haben uns beschimpft.« Mit der Kopf-ab-Geste habe man sie begrüßt. »Wenn die Nazis draußen auf dem Fußweg saßen, musste man die Straßenseite wechseln, um da vorbeizukommen.«

Diplommedizinerin Rosemarie Rummel, die im Nachbarhaus eine Hals-Nasen-Ohren-Praxis betreibt, beteuert, von den Nazi-Bewohnern nicht viel mitbekommen zu haben. »Da war schon mal Lärm, aber das sind ganz einfach junge Leute. Im Sommer sind die halt mal mit halbnacktem Oberkörper auf der Straße ’rumgerannt. Ich dachte jetzt immer, da wohnt keiner mehr. Aber was an Wochenenden los ist, weiß ich nicht, ich bin ja immer nur wochentags hier.«

Im Vorübergehen wirkt das Haus, in dem die Nazis wohnen, still. In der linken Erdgeschosswohnung sind die Rollos heruntergelassen, die rechte Wohnung steht leer. Einige verblasste Farbbombenkleckse sind an der Fassade zu sehen.

Im Imbiss und Partyservice neben dem Haus verzehrt ein junger Mann mit Aufnäher (»MTV kills me«) an der Jacke ein Schnitzel mit Pommes. Ob er etwas von den Nazis hier im Ort mitbekommen hat? »Da hättest du vor zehn Jahren kommen sollen, da gab’s hier noch richtige Straßenschlachten. Da ging’s fünfzig gegen fünfzig.« In der Nachbarstadt Lugau, erzählt er, »hatte sich am Bahnhof die Punkszene eingenistet, in Oelsnitz und Stollberg die Rechten, aber auch mit Kontakten nach Aue, Zwickau und überall«. Jetzt sei es ruhiger. »Seit zwei Jahren ist das vorbei.« Ich frage ihn, ob er von dem Übergriff an Neujahr etwas mitbekommen hat. »Das kann sein, da weiß ich aber nichts drüber«, antwortet er.

Eine Frau, die ich einige Häuser weiter in einer Nebenstraße treffe, als sie gerade aus ihrem Auto steigt, weiß mehr. »Da wohnt nicht nur einer, das sind mehrere. Im Sommer sitzen sie auf der Straße und hören ihre Nazimusik, es wird lautstark gefeiert und gegrölt.« Auch andere Anwohner hätten Angst bekommen, insbesondere nachts. »Aber keiner hat den Mut, bei der Polizei anzurufen«, beklagt sie. Es habe etliche Angriffe der Nazis gegeben, so seien beispielsweise an einer Tankstelle Jugendliche aus der HipHop-Szene zusammengeschlagen worden, auch Arbeitskollegen ihres Sohnes seien betroffen gewesen.

Bei offiziellen Stellen hat sie sich nicht beschwert. »So einen guten Draht zur Gemeinde habe ich nicht. Die meisten von der Stadtverwaltung wohnen auch nicht hier. Die verschwinden zu Hause in ihrer Wohnung und bekommen nichts mit.« Den Vermieter des Hauses kennt sie nicht, aber sie vermutet, dass es niemand aus Oelsnitz ist.

»Die letzten Partys in dem Nazi-Haus haben im Oktober stattgefunden«, berichtet Frank. Wie immer seien Nazis aus dem gesamten Umland da gewesen. »Das waren vielleicht die Abschiedspartys von dem einen, der jetzt ausgezogen ist.« Aber auch der Umzugswagen des Nachmieters sei von einem örtlichen Nazi gefahren worden.

»Im obersten Stockwerk wohnt ein Altnazi, das ist so ein Mitläufer, der auf Dorffesten auch gern mal Punks anmacht«, beschreibt Frank einen der Bewohner. Auf derselben Etage gehe ein »Thor-Steinar-Träger« ein und aus. »Das war mal ein Punker, der sich über Oi zum Mode-Fascho gewandelt hat.« Im ersten Stock wohne ein Paar. Sie trage Klamotten von »Troublemaker«, er von »Sport frei«, beides bekannte Hooliganmarken. Auf ihrem Auto prange ein Aufkleber mit dem Schriftzug »hooligan«. Unten links habe bis vor kurzem auch ein Nazi gewohnt, der »im Sommer mit den einschlägigen T-Shirts und Tätowierungen« aufgefallen sei. Durch sein Fenster im Erdgeschoss habe man ein Rudolf-Heß-Plakat sehen können, und als Gardine habe eine Reichskriegsflagge gedient, erzählt Frank.

Er berichtet auch, dass zur Fußball-WM 2006 die Scheibe eines indischen Pizzaservice eingeschlagen worden sei. Ein Mitarbeiter dieses Ladens antwortet mir auf meine Frage, er sei noch nicht so lange in dem Ort, deswegen könne er zu den Problemen mit Nazis nichts sagen. Er habe aber schon mal davon gehört. Dann greift er schnell zum Telefon und ruft jemanden an, von dem er glaubt, er könnte mehr wissen. Aber auch die Person am anderen Ende der Leitung weiß nichts darüber zu erzählen außer: »Es gibt keine größeren Probleme.«

Im Supermarkt lerne ich einen Migranten kennen, der anonym bleiben will. Er lebt seit einigen Jahren hier. Das Haus kennt er. Den Vermieter könne er nicht verstehen. Man müsse die Bewohner »nur einmal sehen, dann merkt man schon, dass es Nazis sind. Früher hast du permanent Nazis auf der Straße gesehen, jetzt sind es weniger geworden. Die Nazis reden nicht, die schlagen sofort. Die glauben nicht an Dialog, das ist eine Form von Diktatur.« Es gebe allerdings zwei Typen von Nazis, die einen seien die Aktiven, die anderen die Passiven. »Die letzteren hassen mich mit den Augen. Das passiert täglich im Supermarkt oder auf der Straße. Das sind viele, nicht nur die, die typisch nach Nazi aussehen. Wenn dir das drei Mal am Tag passiert, bist du kaputt. Deshalb gehe ich nicht so oft einkaufen. Auch in der Nacht gehe ich nicht raus. Niemals«, sagt er.

Vorbei an einer Kegelbahn mit dem Werbespruch »Ein volkstümlicher Sport zu volkstüm­lichen Preisen« gehe ich zu meinem Auto zurück, drehe den Zündschlüssel und verlasse Oelsnitz.