Der 200-Dollar-Job

Fünfzig Jahre ist es her, dass Delmer Daves mit dem Westernklassiker »3:10 to Yuma« (»Zähl bis drei und bete«) das Drama von Gut und Böse, ­Gesetz und Gesetzlosigkeit mit hochdosierter ­Suspense inszenierte. Nun hat sich Regisseur ­James Mangold des Stoffs erneut angenommen und ein ebenso entschlossenes wie komplexes Stück Kinogeschichte geschrieben. Von Jan Distelmeyer

In sechs Monaten werden wir glücklich sein.« Der dies sagt, ist der Farmer Dan Evans, der Held in Delmer Daves’ 1957 ent­standenem Western »Zähl bis drei und bete« (»3:10 To Yuma«). Und weil es mehr eine Frage ist als ein Versprechen, beeilt sich seine Frau Alice mit einer Antwort: »Ja, wir werden glücklich sein.« Ein etwas un­sicheres Lächeln vom Pferd herab, dann reitet Evans seinem Abenteuer entgegen, für das er sich soeben disqualifiziert hat. Sechs Monate will er überbrü­cken, dann wird es schon den Regen geben, der die ausgedörrte Farm in Arizona rettet und seine Familie mit den beiden Söhnen. 200 Dollar kostet das Wasser für diese sechs Monate, die will Evans sich beschaffen und dafür am Ende gar den berüchtigten Gangs­ter Ben Wade zur Eisenbahnstation nach Contention City eskortieren.

Wir werden sein: Wenn Westernhelden sich dadurch auszeichnen, dass sie ihr Schicksal (und damit so oft auch das einer Gesellschaft) in die eigenen Hände nehmen, dass sie Männer der Tat sind und nicht des Hoffens und War­tens, dann ist die Tat dieses Westernhelden nichts anderes als die Ermöglichung von Warten und Hoffen. »Irgendwas musst du unternehmen!« hatte Alice ihren Mann an die dem Genre gemäße Pflicht erinnert. Seine Antwort darauf ist die Verschiebung des Glücks um ein halbes Jahr, das er nur noch finanzieren muss.

Van Heflin spielte Dan Evans in diesem Western aus dem Jahr 1957. In James Mangolds Remake »3:10 To Yuma«, das unter dem deutschen Verleihtitel »Todeszug nach Yuma« startet, ist die Rolle mit Christian Bale besetzt. In Van Heflin fand die Verweigerung von Entschlossenheit und Tatkraft einen Körper, der zunächst das Gegenteil versprach: ein grobschlächtiger Typ, wie geschaffen zum Holzhacken oder Leuteverprügeln, ein Mann wie ein Baum, der keinen Hut braucht, um den Star-Banditen Ben Wade (Glenn Ford in einer seiner besten Rollen) zu überragen.

Wie schon im Überwestern »Mein großer Freund Shane« (»Shane«, 1953), in dem der strah­­­­lend weiße Titelheld für ihn den Tag retten muss, war Van Heflin der Mann, der nicht das tat, was Situation und Physis von ihm forderten. Christian Bale indes, der »American Psycho« und »Batman«, hat eine andere Geschichte, die von Körperlichkeit als Verwandlung und von Maskerade erzählt. Vielleicht ist das ein Grund dafür, warum sich für seinen Dan Evans die Lage zugespitzt hat.

Christian Bales Dan Evans fehlt nicht nur das Geld, sondern auch ein Bein. Er ist Veteran und Opfer des Bürgerkriegs. Zusätzlich zur Dürre werden Familie und Farm durch einen mächtigen Gläubiger und seine Schergen belastet. Der Jüngste der Evans ist zudem chronisch krank, mit Gesten und Worten sprechen Alice (Gretchen Mol) und der ältere Sohn Will davon, wie enttäuscht sie vom Familienoberhaupt sind. Was im Spiel von Van Heflin und Glenn Ford etwas Zeit brauchte, um als Bruch sich zu zeigen, ist hier der Ausgangspunkt: eine massive Krise an allen Ecken und (Körper-)Enden.

Wenn der gescheiterte Farmer über die Zukunft spricht (»In sechs Monaten wird alles grün sein, es wird uns gut gehen.«), ist von Glück schon gar nicht mehr die Rede. Lediglich vom Durchkommen. Von seiner Frau erfährt er schon längst keine Bestätigung mehr, stattdessen spürt er, wie Alice durch ihn hindurchsieht. Sein 200-Dollar-Job, den Outlaw Ben Wade (Russell Crowe) in einem mehrtägigen Ritt zur Bahnstation zu bringen und ihn in den Gefangenentransportzug nach Yuma zu setzen, bedeutet für Dan auch eine Chance zur Flucht. Doch so beladen ist dieser Dan Evans schon in den ersten Minuten, dass man sich fragt, wie er sich überhaupt noch bewegen kann und wohin das Remake mit ihm will. Was soll aus ihm werden – nachdem er und sein Gefangener den Zug nach Yuma bestiegen haben?

Die Zeit, in der Delmer Daves’ »3:10 To Yu­ma« geplant, gedreht und schließlich gezeigt wur­de, war die späte, aber gute Zeit des Westerns. Zwischen 1956 und 1957 produzierte Holly­wood noch über 150 Filme des Genres, darunter 1956 Budd Boettichers »Der Siebente ist dran« (»Seven Men From Now«) und John Fords »Der schwar­ze Falke (»The Searchers«), den wohl meist­beachteten Western überhaupt. Als Klassi­ker von 1957 gelten heute Sam Fullers »Vierzig Gewehre« (»Forty Guns«), John Sturges’ »Zwei rechnen ab« (»Gunfight at the O.K. Corral«), Bud Boettichers »Um Kopf und Kragen« (»The Tall T«), Nicholas Rays »The True Story of Jesse James« und eben »3:10 To Yuma«, der – wie Joe Hembus bemerkte – »›High Noon‹ zu einer Angelegenheit von geradezu lachhafter, welt- und westernfremder Simplizität« degradierte.

Es ist ein hübscher Zufall, dass auch der zwei­te Star- und Großwestern dieser Saison, »Die Ermordung des Jesse James durch den Feigling Robert Ford« (mit Brad Pitt) indirekt auf das Jahr 1957 verweist. 1957 entstand mit dem Film »The True Story of Jesse James« einer seiner Vorläufer und eines seiner Gegenmodelle. Nehmen wir’s als großes Jubiläum.

Begleitet von den Direct-To-DVD-Starts von »Se­raphim Falls« (mit Liam Neeson, Pierce Bros­nan und Anjelica Huston) und Walter Hills »Bro­ken Trail« sowie der verspäteten Kino- und DVD-Auswertung von Tommy Lee Jones’ phantastischem Grenzgang »Die drei Begräbnissse des Melquiades Estrada« (»The Three Burials of Mel­quiades Estrada«), umarmt oder umzingelt die Westernrenaissance dieses Kinoherbstes ein hal­bes Jahrhundert Genregeschichte. Seine zweite Hälfte: In diesen 50 Jahren beendete der Western endgültig seine klassische Existenz im Studiosystem, zog nach Europa, um sich dort in seiner Sauerkraut- und Spaghetti-Version durchzuschlagen, bekam es im New Hollywood u.a. mit Vietnam zu tun und kehrte mehrfach zurück, um sich erbarmungslos selbst heimzusuchen.

Im Fernsehen führte der Western unterdessen eine Parallelexistenz, Mitte bzw. Ende der fünfzi­ger Jahre starteten die Serien »Rauchende Colts« (»Gunsmoke«, 1955) und »Bonanza« (1959). Viel­leicht ist die Westernrenais­sance, die das Kino gegenwärtig erlebt, vom Fernsehen inspiriert worden – von David Milchs großartiger und mehr­fach preisgekrönter Serie auf HBO. »Deadwood« (2004 bis 2006) hat den Western mit viel Aufsehen für das Fernsehen neu erfunden. Verhandelt werden die großen Themen Einwanderung, Gouverne­mentalität, Macht, Gewalt, Sexualität und Geschichtsschreibung. So wie sich heute jeder US-Kinothriller und -Actionfilm an den einschlägigen Fernsehserien orientiert, so muss sich ein Western an »Deadwood« messen.

Man könnte sagen, dass James Mangold mit seinem Remake dem Fernsehen antwortet, indem er entschlossen Kino macht. Nicht nur mit Cinemascope auf der großen Leinwand. Er sprengt den Kammerspielcharakter des Films und zeigt nun auch die Reise, die 1957 ausgespart worden war. Das Ambivalenzverhältnis zwischen Dan Evans und Ben Wade in der Ver­sion mit Van Heflin und Glenn Ford entwickelt sich am Ausgangs- und Endpunkt ihrer Reise. Die Selbstgewissheit und erotische Ausstrahlung dieses flamboyanten und dabei in sich ruhenden Ben Wade, die all das zeigt, was der aufrecht durch sein Abenteuer stolpernde Dan Evans entbehrt, füllte vor allem die Innenräume dieses Western: die Farm, in der Ben Wade Eindruck auf Evans’ Familie macht, und das Hotel in Con­tention, in dem Evans und Wade auf den Zug warten und von Wades Bande belagert werden.

Während die Reisebewegung damals unsichtbar blieb, ist es nun der Weg, der die Geschichte erzählt. Wie sehr Evans seinem Gefangenen un­ter­legen und von ihm nicht nur der 200 Dollar wegen abhängig ist, zeigt sich auf der Strecke, die sie zurücklegen. Und wird gespiegelt in den Begegnungen mit Menschen, die unterwegs ihren Weg teilen oder kreuzen. Westernkino ist das Remake schon deshalb, weil es die Bewegung, die der Western selbst ist, das Durchqueren des Landes, durch das aus der »Wildnis« die »Zivilisation« entstehen soll, zum Motor seiner Erzäh­lung macht.

Eine räumliche Geschichte: Die Spannung zwischen dem gescheiterten Farmer und dem glamourösen Banditen, dem Russell Crowe zusätzlich noch Bibelsprüche, künstlerische Ambi­tionen und neue Brutalität beibringt, wächst auf einer Reise, die das Land und mit ihm die Ge­schichte der USA ausmisst. Aktion erzählt: Trotz Cinemascope sucht die Kamera kaum Panorama­bilder; ist eher der Bewegung nahe, bleibt bei den Figuren und ihren Auseinandersetzungen, beobachtet Schusswechsel und Ritte. Nicht als Einheit, dafür als Montage von Bewegungsbildern ist dieses Land zu erfahren.

Neue Charaktere wie der toughe Kopfgeldjäger McElroy (Peter Fonda) und der bebrillte Arzt Doc Potter (Alan Tudyk) besiedeln das Remake. Das entspricht dem Trend, im Blockbuster auf Gruppen statt auf Einzelschicksale zu fokussieren. Zugleich bringen die Figuren auch neue Stoffe ein: McElroy verkörpert ein Kapitel US-Geschichte, er war im Auftrag der Eisenbahngesellschaft an Massakern an Indianerstämmen beteiligt. Und der Doc wird in exakt dem Augen­blick sterben, als er sich in einen wahren Westernhelden zu verwandeln droht. Heldentum existiert nicht, schon gar nicht als Überlebensstrategie.

Die persönliche Beziehung zwischen Dan Evans und Ben Wade ist bei Mangold nicht mehr ausschließlich privat gefasst, sie existiert innerhalb eines politischen Kontextes. So lässt er Evans, Wade und die anderen nun auch versprengten Indianern begegnen (»Ich dachte, die Regierung hätte ihnen Land gegeben.« – »Die sind geblieben um zu kämpfen.«). Auch spielt die Eisenbahn selbst, das Symbol der Industrialisierung und damit des Abschieds vom Western, im Remake eine größere Rolle als im Original von 1957.

Das Besondere des Western, der so alt ist wie das Kino selbst, liegt darin, dass er immer schon beides gewesen ist: Mythos und Geschichts­schreibung. Das Genre führte die unauflösbare Verbundenheit beider Strategien vor, auch wenn das Mythische – die ewigen, naturalisierten Helden und ihre Aufgaben, die weißen männlichen Protagonisten und ihre (roten oder weißen) Widersacher – im klassischen Western bisweilen verdecken mochte, dass hier stets von nation building gehandelt wurde.

Auch wenn der mythische Raum des Western schon immer auch ein historischer und politischer gewesen ist, seit der Fernsehserie »Deadwood« ist er es zuvorderst. Wie wir wurden, was wir sind – diese Dimension von Geschichte ist in Mangolds Film jederzeit präsent. Der Sezessionskrieg, der in Delmer Daves’ Film kein Thema war, hat den neuen Dan Evans erst zu dem gemacht, was er ist: ein Krüppel in körperlicher und, wie sich zeigen wird, auch in psychischer Hinsicht, weil er seiner Familie nicht erzählen kann, wie er sein Bein tatsächlich verloren hat.

Wenn er und Ben Wade schließlich in Conten­tion ankommen, haben sie die Zivilisation erreicht. Und die zeigt sich so, wie man sie auch in »Deadwood« kennen lernen kann: als ein Rin­gen von persönlichen Interessen und Be­dürf­nis­sen mit einer Idee von Allgemeinheit, die man im Sinne von regelnden Gesetzen und verbindlichen Zielen zu stiften versucht – die man aber auch jederzeit unterlaufen kann, wenn Häl­se durchgeschnitten und die Überreste an die ört­lichen Schweine verfüttert werden. Städte sind noch immer Camps, sie entstehen gerade aus jenem Matsch und Holz, die auch Hollywoods Spätwestern der siebziger und achtziger Jahre prägten.

Bereits vor den Toren der Stadt erfahren Evans, Wade und Co., was Fortschritt bedeutet: In einem Eisenbahnercamp – inmitten der Chinesen, die als gleichsam versklavte Pioniere dem »Feuerross« jenen Weg durch die Wildnis bahnten, der dann als Siegeszug von Weiß über Rot gefeiert wurde – gibt es elektrischen Strom. Er wird zu Folterzwecken eingesetzt. In der Stadt selbst dann beweist Ben Wades treue Bande, wie die Gesellschaft von Contention funktioniert. Für 200 Dollar ist fast jeder hier bereit, Dan Evans über den Haufen zu knallen. Und weil dieses So­ziogramm nicht bloß Statement sein, sondern Westernkino bleiben will, kommt hier die Action zu ihrem Höhepunkt, bei dem Evans und Wade wie Butch Cassidy und The Sundance Kid endgül­tig ein Paar sind. Die Erzählung darüber, wie der Tod sie schließlich trennen wird, treibt die Ablösung des Remake vom offensichtlich ge­liebten Original konsequent voran. Die Frage nach Gut und Böse, nach Recht und Unrecht stellt sich weiter, mit Heldentum hat weder das eine noch das andere etwas zu tun. Eher schon damit, was wer für 200 Dollar zu tun bereit ist.

Todeszug nach Yuma« (USA 2007). Regie: James Mangold. Drehbuch: Halsted Welles, Michael Brandt. Darsteller: Christian Bale, Russell Crowe, Chris Browning, Peter Fonda, Gretchen Mol, ­Logan Lerman, Kevin Durand. Kinostart: 13. Dezember